Lindauer Zeitung

„Es gibt einfach zu viele Störungen an den Zügen“

Ronald Pofalla, Infrastruk­turvorstan­d der Deutschen Bahn, über Probleme und Projekte auf der Schiene

-

BERLIN - Vor vier Jahren ist der ehemalige Kanzleramt­schef Ronald Pofalla aus der Politik ausgestieg­en, um sich mehr um die Familie zu kümmern. Ruhig ist es trotzdem nicht um ihn geworden: Als Infrastruk­turvorstan­d der Deutschen Bahn ist er für das neue Konzept Digitale Schiene Deutschlan­d verantwort­lich, genauso wie für Großbaupro­jekte wie Stuttgart 21. Dorothee Torebko und Dieter Keller sprachen mit ihm über eines der größten Modernisie­rungsproje­kte der Bahn-Geschichte.

Vergangene Woche wurde ein Brief von Bahn-Chef Richard Lutz öffentlich, in dem von miesem Management und sinkender Qualität die Rede ist. Auch Sie unterschri­eben das Dokument. Inwiefern ist die Infrastruk­tur für die Probleme verantwort­lich?

Eisenbahn ist Mannschaft­ssport. Da wirken sehr viele Faktoren zusammen. Einige der Probleme sind hausgemach­t. Andere sind externer Natur, wie die Auswirkung­en des Rekordsomm­ers 2018. Das hat ja ganz Deutschlan­d auch jenseits der Bahn zu spüren bekommen. Klar ist, wir müssen schneller unsere Hausaufgab­en machen, da gibt es nichts zu beschönige­n.

Wie wollen Sie gegensteue­rn?

Es gibt einfach zu viele Störungen an den Zügen, und wir müssen auch bei der Infrastruk­tur besser werden. Diese Themen haben wir erkannt und arbeiten mit aller Kraft entgegen.

Eine Lösung ist, dass bald Tausende Züge digital fahren und Millionen mehr Menschen transporti­eren sollen. Wie soll das geschehen?

Wir haben schon viele hundert Kilometer Schiene digitalisi­ert, und wir sind jetzt dabei, das European Train Control System (ETCS) einzuführe­n. Mit dem Programm Digitale Schiene Deutschlan­d wollen wir aber noch deutlich an Geschwindi­gkeit zulegen.

Was bringt das System?

In Europa haben wir 20 verschiede­ne Zugsteueru­ngssysteme. Deshalb ist Verkehr zwischen den einzelnen Ländern ziemlich komplizier­t. Wenn wir ETCS flächendec­kend einführen, können unsere Güterzüge in ganz Europa fahren und sind zum ersten Mal mit dem Lkw auf der Straße vergleichb­ar. Die machen an keiner Grenze halt, unsere Züge leider schon.

Mehr Güterverke­hr ist ein Vorteil. Was bringt das System den Fernverkeh­rskunden?

Die Digitalisi­erung ermöglicht uns, ohne den Bau eines zusätzlich­en Kilometers Schiene mehr Kapazität im Netz zu schaffen. Denn die Zugabständ­e, die heute oft sehr groß sind, schmelzen zusammen. So können wir mehr Züge fahren lassen. Der Plan ist, dass wir bis zu 20 Prozent mehr Kapazität auf die Strecke bringen. Das neue System führt auch zu einer höheren Pünktlichk­eit. Es bewirkt, dass die Züge unabhängig­er von menschlich­er Steuerung sind und damit zuverlässi­ger.

Auf der Strecke Berlin-München wird ETCS genutzt. Am Anfang gab es Probleme. Sind die immer noch vorhanden?

Wir hatten leider Kinderkran­kheiten an unseren Zügen. Das hatte mit der Strecke nichts zu tun. Zum Glück haben wir das schnell in den Griff bekommen. Die neue Technik hat einen Quantenspr­ung bewirkt. Denn wir fahren heute auf der Strecke mit einer durchschni­ttlichen Pünktlichk­eit von über 90 Prozent. Das würden wir uns dann für die gesamten Verkehre wünschen.

In Ländern wie der Schweiz ist ETCS Standard. Warum hat es in Deutschlan­d so lange gedauert?

Dass wir später dran sind, ist heute unser Glück. Denn Länder wie die Schweiz haben zwar ETCS eingeführt. Sie haben aber den Level 1 implementi­ert. Europa schreibt heute den Level 2 vor. So sind wir jetzt in der grandiosen Situation, nichts mehr nachrüsten zu müssen. Andere Länder müssen nun nachsteuer­n.

Mehr Kunden bedeuten mehr Einnahmen. Außerdem können langfristi­g Kosten gespart werden, weil etwa die Wartung der Signale entfällt. Heißt das, dass die Ticketprei­se sinken?

Ja, wenn wir flächendec­kend die Digitale Schiene Deutschlan­d haben, wird das Schienenne­tz billiger zu betreiben sein. Wenn das passiert, sin- ken die Trassenpre­ise und damit können die Bundesländ­er mit demselben Geld mehr Regionalve­rkehr bestellen. Auch der Güter- oder Fernverkeh­r profitiert hier, und am Ende werden es unsere Kunden an ihrem Portemonna­ie spüren.

Viele Kunden merken die Auswirkung­en der Digitalisi­erung erst, wenn Strukturen fehlen. Das Internet in den ICEs ist immer noch extrem langsam und teilweise gar nicht vorhanden. Warum?

Wir haben alle ICEs mit der nötigen Technik ausgestatt­et, um im Internet zu surfen und zu telefonier­en. Insgesamt haben wir 100 Millionen Euro investiert. Wir können die beste Technik in einem ICE haben, wenn es Funklöcher gibt, können wir nichts machen. Deshalb ist unsere Forderung an die Bundesnetz­agentur, bei der jetzt ausstehend­en Ausschreib­ung für die 5G-Netze die Ausleuchtu­ng unseres Kernnetzes verpflicht­end vorzuschre­iben.

Die Bahn will in den kommenden Jahren zehn Prozent mehr Strecken im Vergleich zum aktuellen Stand elektrifiz­ieren. Welche Strecken kommen dafür infrage?

Der Koalitions­vertrag sieht die Erhöhung von 60 auf 70 Prozent der Elektrifiz­ierung der Strecken vor. Jetzt erarbeiten wir mit der Bundesregi­erung ein Programm, welche Strecken das sein könnten. Schon heute fahren wir aber 90 Prozent des gesamten Verkehrs auf elektrifiz­ierten Strecken.

Anfang des Jahres war der Baustart zur Elektrifiz­ierung der Südbahn von Ulm nach Friedrichs­hafen. Bis Ende 2021 soll gebaut werden. Wie ist der Stand?

Das Ziel ist nach wie vor ambitionie­rt, denn es ist ein großer Streckenab­schnitt. Aber nach jetzigem Stand erfüllen wir den Zeitplan.

Die Bahn lehnt die Neigetechn­ik auf der Gäubahn ab. Diese Technik ist aber entscheide­nd, damit das Ertüchtigu­ngsprogram­m des Landes Baden-Württember­g für die Gäubahn greift. Was spricht gegen die Neigetechn­ik?

Wir sind nicht gegen Neigetechn­ik. Wenn die Regierung entscheide­t, dass wir die Strecke mit dieser Technik ausbauen, dann tun wir das auch. Derzeit sind wir in den Finanzieru­ngsgespräc­hen. Nach derzeitige­m Stand gehe ich davon aus, dass wir bis zum Jahresanfa­ng eine Finanzieru­ngsvereinb­arung haben können. Wir werden den Abschnitt HorbNeckar­hausen, für den Planrecht vorliegt, dann umgehend realisiere­n. Für mich hat die Gäubahn höchste Priorität.

Sie haben den Fertigstel­lungstermi­n für Stuttgart 21 auf Ende des Jahres 2025 verschoben und die Kostenkalk­ulation auf 8,2 Milliarden Euro angepasst. Stimmt dieser Zeit- und Kostenplan überhaupt noch?

Ja, der stimmt. Es war eine lange Diskussion im Aufsichtsr­at und im Vorstand, und wir haben die Zusage gemacht, dass wir bis zum Fahrplanwe­chsel, also Dezember 2025, Stuttgart 21 und bis zum Fahrplanwe­chsel 2022 die Neubaustre­cke Ulm-Wendlingen fertigstel­len. Die Neubaustre­cke wird einen gewaltigen Fahrzeitge­winn bedeuten. Wir halbieren da die Fahrzeit. Kein Mensch wird mehr mit dem Auto fahren, wenn er zeitökonom­isch handelt. Denn er steht in den verkehrsdi­chten Zeiten lange im Stau, mit uns rauscht er in einer halben Stunde nach Stuttgart rein.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Ein ICE der Deutschen Bahn. „Wir müssen auch bei der Infrastruk­tur besser werden“, sagt Ronald Pofalla.
FOTO: IMAGO Ein ICE der Deutschen Bahn. „Wir müssen auch bei der Infrastruk­tur besser werden“, sagt Ronald Pofalla.

Newspapers in German

Newspapers from Germany