Der Wolf treibt den Puls hoch im Allgäu
Nach Viehrissen fordern Bergbauern den schnellen Abschuss der Raubtiere – Ministerpräsident Söder bestärkt sie in dieser Haltung
WERTACH - Der Morgen ist kühl, aber die Stimmung kocht hoch beim Bergbauernprotest in der Oberallgäuer Marktgemeinde am Fuß des 1738 Meter hohen Grünten: Rund 300 Männer, Frauen und Kinder stehen da, viele in Tracht. Immer wenn ein Redner betont: „Der Wolf muss weg“, bimmeln besonders starke Mannsbilder mit großen Kuhglocken. Nach Ansicht der Bergbauern ist seit August nichts mehr so, wie es war. Dreimal ist ein Wolf über Weidevieh hergefallen – und dies noch gefährlich nah bei Ortschaften. Fünf Kälber und drei Schafe fielen ihm zum Opfer; es waren die ersten solcher Nutzviehrisse in der Region.
„Weidetiere statt Wolfsreviere“steht fordernd auf einem Banner. Ein Bub schwenkt ein Schild mit der Aufschrift „Stoppt den Wolf endlich“. Stimmführer in der Menge erklären ihn zum Untier, wünschen die EUArtenschutzrichtlinie zum Teufel. Wieder folgt das große Kuhglockengeläut. Ein bisschen Bimmelenergie aber sparen sich die Bauern noch auf, für einen wichtigen Gast aus München: Ministerpräsident Markus Söder will auch in Wertach um die letzten Stimmen für seine schwächelnde CSU kämpfen.
Der Wolf ist Topthema im Landtagswahlkampf; nach Ansicht der Bergbauern vollkommen zu Recht. „In unserem dicht beweideten Gebiet hat der Wolf keinen Platz. Nun muss die Politik endlich reagieren“, meint Franz Hage. Der drahtige ältere Mann setzt mit einer ultimativen Drohung nach: „Wenn im nächsten März noch ein Wolf im Allgäu ist, gibt es nächstes Jahr keinen Viehscheid.“Mit Vollbart, Älplerhut, Wolljanker und Lederhose bedient Hage das Bergbauernklischee perfekt. Er ist Vorsitzender des Alpwirtschaftlichen Vereins im Allgäu – was er sagt, ist fast Gesetz für den alpinen Südteil dieses Landstrichs.
Der Viehscheid – eine heilige Kuh
Der Viehscheid, anderswo auch Almabtrieb genannt, nimmt im Allgäuer Festkalender einen zentralen Platz ein. Nach dem Alpsommer kommen die Tiere zurück ins Tal. Waren es glückliche Tage auf den Hochweiden der Berge, treffen in den Dörfern geschmückte Kühe ein. In Tracht gewandete Hirten, Senner und Sennerinnen feiern meist, bis das Stehen schwerfällt. Ein Allgäu ohne dieses Fest wäre ein schwerer Schlag für das heitere Heile-WeltImage der Gegend und das mächtige Tourismusgewerbe. Hier will Hage den Hebel ansetzen. „Eigentlich ist der Viehscheid unser Hirtenfest. Fällt er aus, schmerzt dies aber viele andere: die Urlauber, die Hoteliers und so weiter“, sagt er.
Im Tourismusbereich zeigt man sich bereits alarmiert. „Das Allgäu ohne Viehscheid wäre eine Imagekatastrophe“, glaubt ein Hotelier aus dem zentralen Oberallgäuer Fremdenverkehrsort Oberstdorf. Er will ungenannt bleiben, „weil es in dieser Diskussion so viele Emotionen gibt“. Selbst ganze Tourismusverbände halten sich lieber bedeckt, „bevor es Prügel von allen Seiten gibt“.
Gerne wird von den Fremdenverkehrsleuten darauf verwiesen, dass die demonstrierenden Bergbauern wohl keine Ahnung von den möglichen Folgen einer Wolfsjagd haben. Insider des Tourismusgewerbes sehen im Fall eines Abschusses eine Welle der Empörung aus dem ganzen Bundesgebiet auf das Allgäu zurollen. Insgeheim befürchtet man, dass die Tierschützerszene ihre komplette Protestmaschinerie einsetzen würde. Es folgt der Hinweis auf 2006, als Bär Bruno in Oberbayern abgeschossen wurde. Danach kamen zahllose Ankündigungen, dass Leute nie wieder Urlaub im Freistaat machen wollten.
Die weiß-blaue Tourismusstatistik weist jedoch keinen Einbruch bei den Gästezahlen aus. Im Gegenteil: Jahr für Jahr zählt Bayern mehr Besucher. Zwei Landtagsabgeordnete aus dem Oberallgäu sehen ein mögliches Imageproblem denn auch gelassen: Eric Beißwenger von der CSU und Leopold Herz von den Freien Wählern. Beide sind landwirtschaftlich tätig und sich beim Wolf politisch einig. Herz sagt klar: „Ich will den raschen Abschuss des Wolfes.“
„Entnahme aus der Natur“
Beißwenger wählt Politsprech und fabuliert von einer „Entnahme aus der Natur“. Er und Herz warnen ausdrücklich davor, dass bei einem Bleiben des Wolfes die Alpwirtschaft rasch zusammenbrechen würde. „Keiner bringt doch noch Vieh in die Berge, wenn es womöglich gerissen wird“, glaubt Beißwenger. Und ohne Beweidung würden die Bergwiesen rasch zuwuchern. Das Allgäu, wie man es jetzt kenne, sei dann in seiner Existenz bedroht.
Die Frage ist, ob ein solches Szenario nicht vielleicht doch etwas zu viel der Ehre für ein einzelnes Raubtier ist? Hierzu kommt von den Bergbauern jedoch auch eine Antwort. „Es sind mehr Wölfe unterwegs“, behauptet Richard Zeller aus Burgberg, einem anderen Ort am Fuß des Grünten. Vom Alter her kann der Mann als landwirtschaftlicher Veteran bezeichnet werden. Eigentlich ist Zeller auch eher wortkarg. Das hindert ihn aber nicht daran, dem Wolf beim Wertacher Protest lauthals alles Schlechte zu wünschen – zumal einer seiner Nachbarn von den Rissen betroffen war. Jedenfalls geht Zeller von „mindestens zwei bis drei Wölfen“aus. Dies hätten Jäger im Winter anhand von Spuren festgestellt.
Tatsache ist, dass bereits 2014 ein Wolf von einem Weidmann fotografiert wurde – eine erste Sichtung im Allgäu nach fast 200 Jahren. Seitdem sind immer wieder Durchzüge von Wölfen festgestellt worden. „Jetzt noch daran zu glauben, das Allgäu wolfsfrei halten zu können, ist eine Illusion“, meint Thomas Gehring, ein weiterer regionaler Landtagsabgeordneter. Der gelernte Lehrer ist für die Grünen in München und gibt sich beim Wolf pragmatisch: „Macht er kein Problem, ist alles gut. Macht er Probleme, muss im Zweifel über einen Abschuss nachgedacht werden.“
Gehrings Meinung nach ist die Staatsregierung immer noch nicht mit ihrem Wolfsmanagementplan fertig. „Trotz ausreichend Zeit“, schimpft der Grünen-Politiker. „Dann wäre alles geregelt: Entschädigungen für Landwirte ebenso wie der Umgang mit einem problematischen Wolf.“Das Bayerische Landesamt für Umwelt sieht dies als zuständige Behörde anders und fühlt sich gut gerüstet. Ökoverbände stützen wiederum Gehrings Sichtweise.
Im Nachbarbundesland Baden-Württemberg ist der Plan zur Bewältigung der Wolfsprobleme übrigens ebenso umstritten, bei Bauern und Jägern. Sie fühlen sich bei diesem Konzept nicht ausreichend eingebunden. Das grün geführte Umweltministerium in Stuttgart hält das Land hingegen für „bereit für den Wolf“.
Die Bewährung fürs baden-württembergische Management der Raubtiere läuft bereits. Ein Wolf scheint sich fest im nördlichen Schwarzwald angesiedelt zu haben. Er reißt immer wieder Schafe. Im April kamen unweit von Bad Wildbad bei einer Wolfsattacke gleich mehr als 40 der friedvollen Weidetiere um. Wie im Allgäu gibt es in der alten Kurstadt die harsche Forderung: „Abschießen.“
Kürzlich ist Umweltstaatssekretär André Baumann in den Schwarzwald gereist, um die Gemüter zu beruhigen. Der frühere Nabu-Landeschef betonte jedoch auch seinen Standpunkt: „Wir werden mit dem Wolf leben müssen.“Baumann empfiehlt, was in seinem Ministerium als Ausweg gilt: wolfssichere Elektrozäune und eventuell noch Hütehunde – alles vom Land gefördert.
Die Schwarzwaldbauern sind skeptisch. Ihre Kollegen im Allgäu winken bei Zäunen sogar gleich ab. Während des Wertacher Protests meint Almhirte Josef Übelhör: „Im Hochgebirge Zäune über Felsen und Schluchten zu ziehen, ist schlicht nicht möglich.“Die mächtigen Hütehunde hält der knorrige Mann wiederum zu teuer in der Anschaffung und im Unterhalt. „Zudem kann ein solcher Hund beim Schutz des Viehs auch auf Wanderer losgehen“, gibt er zu bedenken.
Dann verstummt Übelhör. Zugleich scheppern die Kuhglocken aus der Demonstrantenmenge. Ministerpräsident Söder trifft ein, leger mit einem Sommerjacket bekleidet. „Ich verspreche euch: Wir lösen das Wolfsproblem rasch“, ruft er in die Menge. Zustimmendes Lärmen. Söder macht deutlich, dass er den Wolf im Allgäu für fehl am Platz hält. Noch mehr Kuhglockenlärm. Der Ministerpräsident strahlt übers ganze Gesicht. Später flüstert einer der umstehenden Bergbauern: „Wenn es der Söder mit dem Wolf nicht hinbekommt, dann haben wir immer noch genug Wilderer im Allgäu.“
„Wenn’s der Söder nicht hinbekommt, haben wir immer noch genug Wilderer.“Ein Bergbauer in Wertach