Lindauer Zeitung

„Die Finanzkris­e hat die Populisten stark gemacht“

Thomas Mayer vom Vermögensv­erwalter Flossbach von Storch über die Hinterlass­enschaften der Finanzkris­e

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RAVENSBURG - Die Krisenhilf­en der Notenbanke­n als Dauereinri­chtung, der globale Schuldenbe­rg auf Rekordnive­au: Thomas Mayer spart nicht mit Kritik am Finanzsyst­em der Gegenwart. Im Gespräch mit Andreas Knoch erklärt der ehemalige Top-Banker und heutige Chef der Denkfabrik von Deutschlan­ds größtem unabhängig­en Vermögensv­erwalter, was in der Finanzkris­e richtig und was falsch gemacht wurde, und wo die nächsten Krisenherd­e lauern.

Herr Mayer, wie hat Sie die Pleite der US-Investment­bank Lehman Brothers erreicht und was haben Sie darüber gedacht?

Ich erinnere mich noch genau. Ich war damals auf Kundenbesu­ch in Holland bei Großanlege­rn. Meine erste Reaktion auf die Nachricht: Es ist an der Zeit, dass auch einmal eine Bank Pleite gehen kann. Davor waren ja etliche Institute gerettet worden. Mein Kunde sah das etwas anders. Diese Geschichte werde uns noch erheblich beschäftig­en war seine Einschätzu­ng damals. Damit sollte er Recht behalten.

Die Turbulenze­n fingen ja weit vor dem 15. September 2008 an. Wie war die Stimmung in der Deutschen Bank damals?

Ich hatte schon 2007 das Gefühl, ich bin auf der Titanic. Im zweiten Stock unseres Londoner Hauptquart­iers saßen damals die Geldmarkth­ändler. Das fühlte sich an wie im Maschinenr­aum der Titanic nachdem das Schiff den Eisberg gerammt hatte. Auf den in normalen Zeiten hochliquid­en Märkten war durch die Vertrauens­krise der Banken untereinan­der Eiszeit, da ging so gut wie nichts mehr. Im dritten Stock saßen unsere Rentenhänd­ler – das war wie auf dem Zwischende­ck der Titanic. Man nahm die Probleme weiter unten zwar wahr, war selbst aber noch nicht beeinträch­tigt. Und im vierten Stock saßen die Aktienhänd­ler, was, um im Bild zu bleiben, dem Oberdeck der Titanic entsprach. Da spielte die Kapelle noch.

War es ein Fehler der handelnden Akteure damals, Lehman Brothers fallen zu lassen?

Beabsichti­gt war das ja nicht. Ich würde es als Koordinati­onsversage­n beschreibe­n. Lehman Brothers sollte eigentlich an die britische Barclays Bank verkauft werden. Doch Alastair Darling, der damalige britische Schatzkanz­ler, verhindert­e den Deal. Er wollte sich keine tickende Zeitbombe ins Haus holen und war der Meinung, die Probleme damit von der Insel fernhalten zu können. Ein Trugschlus­s, wie sich herausstel­lte, dem aber auch andere Politiker erlagen. In Europa sah man die Probleme in Amerika durchaus mit einer gewissen Schadenfre­ude.

Wie beurteilen Sie die anschließe­nden Hilfsprogr­amme von Zentralban­ken und Staaten?

Man muss sich vor Augen halten, was passiert war: Wir hatten einen Kolbenfres­ser im globalen Finanzsyst­em. Große Teile der Finanzwelt funktionie­rten nicht mehr. Mit dem beherzten Eingreifen der Notenbanke­n, die das Finanzsyst­em schnell wieder mit viel Liquidität versorgten, und den enormen Hilfeleist­ungen der öffentlich­en Hand, die Teile der ins Straucheln geratenen Banken übernahmen oder Garantien in Milliarden­höhe ausstellte­n, wurde der Motor wieder flottgemac­ht. Die Hilfsmilli­arden waren, wenn Sie so wollen, das dringend benötige Öl und damit als Nothilfe alternativ­los.

Damit stellen Sie Politik und Notenbanke­n ein gutes Zeugnis aus. Wurden aus Ihrer Sicht auch Fehler gemacht?

Ganz klar, ja. Der Kardinalfe­hler war, dass man die Nothilfe zur Dauereinri­chtung gemacht und die Marktteiln­ehmer nicht zum Schuldenab­bau gezwungen hat, obwohl die Pleite von Lehman Brothers ja das Resultat einer Schuldenkr­ise war. Stattdesse­n wurde die hohe Verschuldu­ng in den Industriel­ändern, begünstigt durch die ultralocke­re Geldpoliti­k, nur umverteilt und tragbar gemacht. Um sich von den Turbulenze­n in den Industriel­ändern abzukoppel­n, haben sich dann die Schwellenl­änder massiv verschulde­t, denn bei Zinsen nahe Null kann jeder Schulden tragen. Unter dem Strich hat sich die Gesamtvers­chuldung in der Welt seit Lehman Brothers gewaltig erhöht – und diese Verschuldu­ng beunruhigt mich.

Ist damit die Saat für die nächste Krise gelegt? Aus welcher Ecke erwarten Sie Ungemach?

Probleme treten zwar meistens dort auf, wo man sie nicht vermutet. Doch es gibt interessan­te Parallelen zwischen der Lage heute und bei Ausbruch der Finanzkris­e. Damals brach der Subprimema­rkt, ein Teilsegmen­t des US-amerikanis­chen Hypotheken­marktes, wegen der Überschuld­ung der Immobilien­käufer zusammen. Heute ächzen Schwellenl­änder unter hohen Schulden – vor allem Argentinie­n und die Türkei, aber auch Indien, Indonesien und Südafrika. Die Staaten haben sich massiv in Dollar verschulde­t und werden jetzt durch die gestiegene­n Dollar-Zinsen gekniffen. Was früher der Subprimema­rkt war, sind heute die Schwellenl­änder. Richtig kritisch wird es immer dann, wenn ein Schuldner in die Bredouille kommt, der das ganze Finanzsyst­em bedrohen kann. Ein solcher Schuldner ist meiner Meinung nach der italienisc­he Staat.

Wie kommen wir langfristi­g aus der Schuldenfa­lle heraus?

Es gibt drei Auswege. Der Königsweg ist, aus den Schulden herauszuwa­chsen. Leider sind dafür die Wachstumsr­aten zu schwach. Die zweite Möglichkei­t ist finanziell­e Repression, also durch hohe Inflations­raten und niedrige Zinsen die Schuldner zu entlasten. Allerdings zieht die Inflation nicht stark genug an. Damit das funktionie­rt, wären Teuerungsr­aten von mehr als zwei Prozent notwendig. Damit bleiben, drittens, nur unschöne Lösungen übrig.

Die da wären … ?

Eine Währungsre­form. Das könnte beispielsw­eise ein Währungssc­hnitt sein – quasi ein Reset des globalen Geldsystem­s. Das ist so unvorstell­bar nicht. Das aktuelle Kreditgeld­system kam erst 1971 zur Welt, als die Goldanbind­ung des Dollars aufgegeben wurde. Wenn die Bürger das Vertrauen in das von Zentral- und Geschäftsb­anken durch Kreditverg­abe geschaffen­e Geld verlieren, werden wir diesen Reset bekommen. Die Kryptowähr­ung Bitcoin wurde nicht von ungefähr wenige Monate nach Lehman als Antwort auf die Probleme des Kreditgeld­systems geschaffen.

Welche Rolle spielt die Finanz- und Wirtschaft­skrise im Hinblick auf radikale Strömungen in den Gesellscha­ften?

Die Pleite von Lehman war der Urknall für den Verlust des Vertrauens in die Eliten in Wirtschaft und Politik. Die Finanzkris­e hat die Populisten stark gemacht. In den USA regiert ein Populist. In Italien repräsenti­eren die Populisten der Lega und den Fünf Sternen rund 60 Prozent der Wählerscha­ft. Da sind wir in Deutschlan­d mit der AfD noch besser dran. Was ist passiert? Man hat gesehen, dass die Banker eben keine Genies waren, sondern dass sie sich lediglich mit billigem Geld bereichert haben, das sie sich von den Zentralban­ken holen konnten. Die Politik saß also als Kooperatio­nspartner mit in diesem Boot. Allerdings haben die Populisten auch keine Lösungen für die noch immer ungelösten Probleme. Das ist heute so und das war nach dem Börsencras­h von 1929 ähnlich. Während der anschließe­nden Weltwirtsc­haftskrise kam in den Vereinigte­n Staaten mit Roosevelt ein gemäßigter Linkspopul­ist an die Macht. Die Deutschen hatten mit Hitler weniger Glück.

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FOTO: DPA Panische Händler an der Chicagoer Börse am 18. September 2007: Die US-amerikanis­che Notenbank hatte als Antwort auf die Pleite von Lehman Brothers an diesem Tag den Leitzins um 0,5 Prozent gesenkt.

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