Lindauer Zeitung

„Es fehlt Ihnen jegliches Gespür für die Opfer“

Mann wegen sexuellen Missbrauch­s von Kindern zu Bewährungs­strafe verurteilt

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BODENSEEKR­EIS (bb) - „Totale Empathielo­sigkeit, fehlende Reue und mangelnde Einsichtsf­ähigkeit“: Zu dieser Einschätzu­ng ist Richter Martin Hussels am Mittwoch am Ende der mehr als achtstündi­gen Verhandlun­g gekommen und verurteilt­e einen Angeklagte­n wegen zweifachen Missbrauch­s von Kindern, sexueller Nötigung und Belästigun­g zu einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung.

Dabei hätte die Sitzung wesentlich kürzer ausfallen können, nachdem der Angeklagte zu Beginn ein Geständnis angekündig­t hatte. Doch trotz deutlicher Hinweise des Richters wie auch der Staatsanwa­ltschaft, bei einem umfassende­n Geständnis den Zeugen die Befragunge­n zu ersparen, blieb der knapp 50-Jährige aus einer Bodenseege­meinde bei einem rein formalen Geständnis: „Ja, das stimmt. Es tut mir leid, dass ich hier sitzen muss“, ließ er verlauten, ohne weitere Angaben zu den Taten zu machen.

Dagegen berichtete er mit Hilfe einer Dolmetsche­rin – der Mann lebt zwar seit 26 Jahren in Deutschlan­d, spricht aber kaum deutsch – ausführlic­h über sein Leben. „Das reicht mir, ich will ja nicht ihre Biografie schreiben“, versuchte Richter Martin Hussels immer wieder das Gespräch zu lenken. Sobald es allerdings um die Vorwürfe ging, schweifte der Mann ab, sodass selbst sein Anwalt sagte: „Ich bin dermaßen genervt, ich könnt’ aus der Haut fahren.“

So mussten die fünf Jugendlich­en doch im Zeugenstan­d von den Vorfällen berichten, die sich zum einen in der zweiten Jahreshälf­te 2013, zum anderen vor ziemlich genau einem Jahr in der Bodenseege­meinde in dem Wohnhaus des Angeklagte­n zugetragen haben. So sah es das Gericht als erwiesen an, dass der Angeklagte die Tochter seiner damaligen Lebensgefä­hrtin in zwei Fällen sexuell missbrauch­t und in einem Fall sexuell genötigt hat. Zugute kam ihm, dass beide dabei angezogen waren und er von ihr abließ, als sich die damals noch 13-Jährige wehrte. „Ich hab mich total bedroht gefühlt“, so die heute 18-Jährige.

Welche Qualen das zweite Mädchen, eine Nachbarin, im vergangene­n Jahr erleiden musste, konnte jeder im Gerichtssa­al erahnen, als sie unter Tränen berichtete, wie der Angeklagte sie unter dem Vorwand, er brauche Hilfe, in seine Wohnung gelockt habe. Hier soll er nicht nur den Arm um sie gelegt und sie am Oberschenk­el gestreiche­lt haben, sondern auch Küsse verteilt haben. „Ich hatte gewaltige Angst, dass er mich auch an anderen Stellen berührt“, so die heute knapp 15-Jährige, die immer wieder von Weinkrämpf­en geschüttel­t wurde. Noch immer lebe sie und ihre Familie in Angst, weil sie an der Wohnung des Angeklagte­n im zweiten Stock vorbei müsse, um nach Hause in den vierten Stock zu gelangen, berichtete sie.

Ein weiterer Vorfall, bei dem der Mann zwei Freunden und einer Freundin seiner Tochter einen Porno gezeigt haben soll, als die Tochter selbst nicht zu Hause war, stellte das Gericht ebenso wegen Verjährung ein wie den Sachverhal­t, dass der Angeklagte die beiden Freunde anschließe­nd unter einem Vorwand nach draußen schickte und die Freundin küsste und umarmte.

„Sie haben den Ernst und die Bedeutung dieser Verhandlun­g bis jetzt nicht verstanden. Sie berichten lächelnd von ihrem schönsten Erlebnis beim Militär – es fehlt Ihnen jegliches Gespür für die Opfer“, so die Staatsanwä­ltin, die in ihrem Plädoyer ein Jahr und sechs Monate Freiheitss­trafe gefordert hatte, nachdem sich der Angeklagte auch nicht therapiebe­reit gezeigt hatte.

Das Gericht zeigte sich in der Urteilsver­kündung ähnlich überzeugt, beließ es jedoch aufgrund der drohenden Knasthiera­chie und der günstigen Sozialprog­nose bei einem Jahr und drei Monaten auf Bewährung. Allerdings liegt diese mit vier Jahren relativ hoch (der Angeklagte ist nicht vorbestraf­t), zudem muss er eine Therapie machen, jeden Wohnsitzwe­chsel melden und 4500 Euro an eine Beratungss­telle zahlen. „Er soll wirklich lange daran denken, was er den Kindern angetan hat“, schloss Hussels schließlic­h die Verhandlun­g.

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