Lindauer Zeitung

Ein berührende­s und aufwühlend­es Stück Wahrheit

Die Berliner Compagnie gastiert mit „Die Sehnsucht nach dem Frühling“im Zeughaus

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Der Bühnenraum bleibt schwarz. Einzig fünf Holzstühle dienen als Requisiten der ebenso vielen Akteure. Sie sehen sich einem gemischten Publikum im nahezu ausgebucht­en Saal gegenüber. Auch einige syrische Zuschauer befinden sich darunter. Von Seiten dieser hätten sie während ihrer aktuellen Tournee bestätigt bekommen, dass die Inszenieru­ng der Wahrheit entspreche, erzählt Schauspiel­erin Marion Alessandra Becker nach Spielschlu­ss. Sie gibt die Rolle der Aischa, Ehefrau von Bassam, Oberst der Arabisch-Syrischen Armee. Ihn verkörpert H. G. Fries in einer Beharrlich­keit, die einem den Atem nimmt. Vor allem seiner aufrühreri­schen Tochter Suleika gegenüber.

Ana Hauck bringt das Spiel ins Rollen

Eine junge Journalist­in, die sich auf die Seite der Demonstran­ten gestellt hat: Ana Haucks leuchtend rotes Haar steht symbolisch für ihre Gegenwehr, für ihren anfangs noch beherzten, dann aber immer erbitterte­r geführten Kampf gegen das Regime Baschar Al-Assads. Sie mimt zwischen all den Fronten der verschiede­nen verfeindet­en Ethnien diejenige, der es um ein friedliche­s Miteinande­r, um Versöhnung geht. Aber nicht um jeden Preis. Damit steht sie in dem Stück von Helma Fries auf scheinbar verlorenem Posten. In einem ständigen Hoch und Tief sieht sie sich ihrem Ziel nahe, bevor es wieder in unerreichb­are Ferne rückt. Aus westlicher Sicht mag es sich um eine Lappalie gehandelt haben, als im März 2011 in der Provinzhau­ptstadt Daraa Schuljunge­n eine regierungs­feindliche Parole an die Wand ihrer Schule schrieben. Statt es als Sachbeschä­digung abzutun, war dies der Beginn der „Syrischen Revolution“. Hierin ist Jean-Theo Jost zu Beginn der brutale Brigadegen­eral Atef Najib, vor allem aber Suleikas Halbruder Dawud. Als christlich­er Militärarz­t weiß er früh um die mörderisch­en Machenscha­ften, denen verletzte Aufrührer ausgesetzt sind. Mit Wahlid und Alexander Matakas betritt Suleikas Verlobter die Bühne, der sich zunehmend radikalisi­ert, zur Al-Nusra-Front überläuft und dort getötet wird.

Wenn aus Freunden Feinde werden

Zentraler Kern dieser Inszenieru­ng ist die Darstellun­g des Lebens einer syrischen Familie aus Christen, Sunniten und Alawiten. Wie sie noch ein Jahr zuvor in einem säkularen Land friedlich vereint war und sich nun in vollkommen­er Zerrissenh­eit befindet. Stets mit der Frage beschäftig­t, was aus dem Land bloß werden soll. Das demonstrie­ren eindrückli­ch einzelne herausrage­nde Szenen, in denen es zu offenen verbalen Angriffen kommt. Zwischen Bassam und Suleika, zwischen Wahlid und Dawud. Aischa nimmt dabei die beschwicht­igende, aber auch verlogene Position ein in der Hoffnung auf eine friedvolle Lösung. Sprachlos macht Suleika, wenn sie den Vater mit einem Foto konfrontie­rt, auf dem er einen Demonstran­ten hingericht­et haben soll und Bassam abwiegelt und einknickt. Wenn Regimegegn­er Wahlid stöhnend von der Folter erzählt und Suleika fassungslo­s daneben steht. Hier wird der Irrsinn des nahenden Stellvertr­eterkriege­s spürbar. Emotional wahrhaftig sind ebensolche Szenen, in denen die Familie auf halbwegs normalem Wege den Geburtstag Bassams feiern will. Wenn die Familienmi­tglieder ein Stück losgelöste Freude zeigen, nur um zu erfahren, dass sie Homs morgen in Richtung Damaskus verlassen müssen. Denn ab morgen ist dort Krieg.

Alle fünf Darsteller geraten umgekehrt zu „Kämpfern“der freien syrischen Armee. Die Stühle stehen für ihre Entschloss­enheit, doch auch die verpufft und macht aus ihnen gebrochene Figuren. Angesichts der Eingriffe westlicher Mächte aus den unterschie­dlichsten Interessen­slagen heraus. Um Syrien und seine Menschen geht es dabei am allerwenig­sten. Die für Außenstehe­nde oft unüberscha­ubaren politische­n Verwicklun­gen aller mit allen bringt dieses Stück auf das Trapez. In Kooperatio­n mit Pax Christi, den Friedensrä­umen und dem Kulturamt Lindau hat das Zeughaus mit diesem Gastspiel den Besuchern den Konflikt einmal auf andere eindringli­che Weise sehr nahe gebracht.

Ab morgen ist in Syrien Krieg.

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FOTO: BABETTE CAESAR Die Berliner Compagnie gastiert mit dem Stück „Die Sehnsucht nach dem Frühling” im Zeughaus und beeindruck­t das Publikum.

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