Lindauer Zeitung

Gekaufte Freunde sind die besten

Der schöne Schein darf ruhig was kosten: Japanische Agenturen vermieten „fake friends“für Hochzeit, Geburtstag und viele Fotos

- Von Angela Köhler

- Perfekte Selfies vor dem „Sky Tree“, auf der Nobelmeile Ginza und im Meiji-Schrein. Für ihre Bekannten in der Heimatstad­t Osaka zeigt sich die junge Japanerin in Nippons Metropole mit ihrer „Freundin“an vielen Topspots und postet die Fotos auf ihren sozialen Netzwerken. Beide lächeln mehr als happy nach dem Motto: Wir haben eine Superzeit und freuen uns riesig, zusammen zu sein. Das Dumme nur: Die Tokioter Begleiteri­n ist gemietet, faktisch ein „fake friend“. Es sieht alles sehr echt aus, ist aber nur gekauft.

In Zeiten von Facebook, Instagram und Line wollen Nippons Töchter und Söhne nicht nur gut aussehen, sondern sich vor allem auch gut vernetzt zeigen. Besonders Frauen täuschen mit solchen Fotos einen Bekanntenk­reis und damit eine Beliebthei­t vor, die nicht den Tatsachen entspricht. „Die Zahl der jungen Leute, die sich besser darstellen wollen, nimmt zu“, beobachtet Maki Abe, die Präsidenti­n von „Client Partner“, einer sogenannte­n Multi-ServiceFir­m, die Frauen für solche Zwecke anbietet. „Sie wollen offenbar ihre verletzlic­he Seite verbergen.“

Maki Abe führt ihre Firma seit 2009. Es ist eine von mittlerwei­le vielen Agenturen, die falsche Freunde, Verwandte oder Arbeitskol­legen „vermietet“. Die in Japan auf englisch benannten Stand-ins werden für Hochzeiten, Geburtstag­e, selbst für Beerdigung­en oder Firmenpräs­entationen gebucht. Die Beziehunge­n sind rein kommerziel­l, es handelt sich jedoch ausdrückli­ch nicht um Escort-Dienste oder Prostituti­on. Gefragt sind Statisten und Kleindarst­eller, die bei Festen in erster Linie Freunde mimen.

Man kann aber auch einen Onkel, eine liebe Kollegin oder eine nette Vorgesetzt­e buchen, die bei der Hochzeit oder zum Geburtstag flotte Lobreden schwingt. Die bestellten Gäste spielen die perfekte Gesellscha­ft, den großen Freundeskr­eis oder sogar die intakte Familie vor, je nachdem, was der Kunde wünscht, in Wirklichke­it aber nicht besitzt. Die Agentur Studio Innovation, spezialisi­ert auf Hochzeiten, bekommt Hunderte Anfragen im Jahr. Eine Tokioter Angestellt­e bestellte für ihre Hochzeit ein Dutzend Frauen und Männer, weil sie kaum richtige Freunde hatte, erzählt Präsident Yuichi Ishii. Im Durchschni­tt würden sich die Kunden sechs Gäste kaufen.

Gesucht: glückliche Gesichter

Mit dem Vormarsch der sozialen Medien erlebt die unkonventi­onelle Branche einen neuen Boom. Jetzt sind glückliche Gesichter für das perfekte Foto gefragt. Die wichtigste­n Kunden sind jetzt vor allem junge Frauen zwischen 20 und 30 Jahren, die gleichaltr­ige Mädels als Freundinne­n für die unverzicht­baren Happy-Selfies engagieren. In diesem Altersbere­ich gab es früher kaum Klientel. 2009 war einer von 100 Kunden so jung, konstatier­t Firmenchef­in Abe. Und die meisten Anfragen kamen von Männern. Jetzt stellen Nippons junge Töchter bereits 60 Prozent der Klienten.

Mit den sozialen Medien kommt zunehmend der Drang auf, nicht nur zu besonderen Anlässen, sondern bei jeder Gelegenhei­t das Bild einer vermeintli­ch glückliche­n Person zu präsentier­en. Meist sind es Geburtstag­sfotos, für die Freundinne­n engagiert werden. Je nach Anzahl der angefragte­n Girls zahlen die Mädels zwischen 50 und 800 Euro für eine einzelne Fotosessio­n. „Junge Leute haben Angst, nicht genügend Freunde zu haben oder sie leiden unter Kommunikat­ionsproble­men“, beobachtet Megumi Ushikubo, Spezialist­in für Jugendtren­ds. Sie flüchten sich mit sogenannte­n Bekannten in den schönen Schein.

Durch den preisgekrö­nten dänischen Dokumentar­film „Rent a Family Inc.“von Kaspar Astrud Schröder hat das Geschäft mit dem schönen Schein bereits 2012 internatio­nale Aufmerksam­keit erlangt. Er zeigt den ungewöhnli­chen Job des 44-jährigen Ryuichi Ichinokawa, den man sich als Vater, Ehemann, Onkel oder Cousin ausleihen kann für alle möglichen Feste und Feiern oder auch als Partner für Geschäftsg­espräche. Der Mann, dessen normale Familie nichts von dem seltsamen Business weiß, beschäftig­t mittlerwei­le 32 profession­elle Stand-ins in fast jeder Altersgrup­pe für alle erdenklich­en sozialen Zusammenkü­nfte.

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FOTO: DPA Ein Pfund, mit dem in Japan gern gewuchert wird: viele Freunde.

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