Lindauer Zeitung

Brandstift­er von St. Jodok ist voll schuldfähi­g

Psychiater­in bescheinig­t Täter zwar Persönlich­keitsstöru­ng, glaubt aber nicht, dass er zur Tatzeit betrunken war

- Von Annette Vincenz

RAVENSBURG - Der Brandstift­er von St. Jodok ist psychisch krank. Zu diesem Schluss kommt die psychiatri­sche Gutachteri­n Dr. Roswitha Hietel-Weniger, die den Angeklagte­n eingehend untersucht hat. Er leidet demnach von Kindheit an an einer dissoziale­n Persönlich­keitsstöru­ng. Dennoch ist er ihrer Überzeugun­g nach voll schuldfähi­g. Dass der 40Jährige vor dem Zündeln in den Kirchen in Schlier und Ravensburg zwei Flaschen Schnaps getrunken hat, bezweifelt die forensisch­e Psychiater­in.

Im Grunde zieht sich die Krankheit durch das ganze traurige und hoffnungsl­ose Leben des 17-fach vorbestraf­ten Mannes, der zugegeben hat, am 10. März zunächst in der Kirche St. Martin in Schlier und dann in St. Jodok gezündelt zu haben. Während das Feuer in Schlier von alleine ausging, brannte die Ravensburg­er Kirche lichterloh: Es entstand Schaden in Höhe von 1,5 bis 2 Millionen Euro, weshalb er sich wegen schwerer Brandstift­ung vor dem Landgerich­t Ravensburg verantwort­en muss.

Schwere Kindheit versaut Leben

Hintergrun­d der Persönlich­keitsstöru­ng seien wahrschein­lich der gewalttäti­ge Vater, die frühe Trennung der Eltern und die schwache Mutter, die dem Jungen keine Grenzen aufzeigen konnte: Er kam von einem Erziehungs­heim ins nächste. Schon früh verspürte er demnach eine innere Leere und den Drang, dort zu sein, wo es aufregend ist. Das war selten die Schule. Schon als Junge schwänzte er häufig, beging Diebstähle und Einbrüche, verzockte das Geld in Spielothek­en. „Eine dissoziale Persönlich­keit macht sich keinerlei Gedanken darüber, ob erlaubt ist, was sie tut. Regeln haben keine Bedeutung für sie. Sie sind zu süchtigem Verhalten prädestini­ert.“Dazu komme ein Mangel an Empathie. Wie es den geschädigt­en Menschen geht, die häufig von ihnen manipulier­t werden, ist den Betroffene­n egal. Zwar sähen sie den Scherbenha­ufen um sich herum, gäben aber grundsätzl­ich anderen die Schuld dafür. „Sie neigen zu impulsivem Verhalten, sind kompromiss­los und rigoros. Wenn’s zu langweilig wird, wird geschaut, ob man selbst für Spannung sorgen kann“, beschreibt die Ärztin einen möglichen Grund für das Anzünden der Kirchen, die den Angeklagte­n in Euphorie versetzt hatten.

„Er ist in der Lage, Recht und Unrecht zu erkennen, aber nicht willens, sein Verhalten zu ändern, weil das zu anstrengen­d wäre“, nennt Hietel-Weniger den Hauptgrund dafür, dass alle sechs bisherigen Therapien gegen Spiel-, Alkohol- oder Drogensuch­t gescheiter­t sind. Entweder wurden sie abgebroche­n, oder der Angeklagte wurde nach kurzer Zeit rückfällig. „Eine weitere Therapie kann nichts bringen, diese Persönlich­keit ist quasi festgeschr­ieben.“

Die Psychiater­in hält es nicht für glaubwürdi­g, dass der Mann vor der Tat wie angegeben zwei Flaschen Korn mit 32 Prozent Alkoholgeh­alt getrunken hat. Dann hätte er zur Tatzeit 4,52 Promille haben müssen, und da habe selbst ein gewohnheit­smäßiger Trinker Ausfallers­cheinungen wie eine unsichere Gehweise, was aber kein Zeuge am fraglichen Tag beobachtet hat. Er lallte auch nicht in seinen Sprachnach­richten. Der Angeklagte habe in den letzten Jahren zudem immer wieder Tage gar nichts getrunken, daher sei er vermutlich nur psychisch abhängig – mit einer erst beginnende­n körperlich­en Abhängigke­it. Für ihre Theorie spricht auch, dass er bei den ersten Vernehmung­en ausgesagt hat, an dem Morgen nur zwei Schlucke Schnaps getrunken zu haben. Daher geht sie von 0,2 Promille aus.

Oberstaats­anwalt Peter Vobiller fand die Ausführung­en der Gutachteri­n einleuchte­nd und forderte in seinem Plädoyer sieben Jahre und zwei Monate Haft. Da der Täter behaupten würde, er habe die Kirchen nicht anzünden wollen, könne man bestenfall­s von einem „Teilgestän­dnis“sprechen.

„Er ging in beide Kirchen mit der Absicht, sie anzuzünden“, meinte der Staatsanwa­lt. Die Kirchen stehen seiner Überzeugun­g nach symbolhaft für die Gemeinscha­ft, die ihn nicht haben wollte: Die Frauen, die ihn verlassen haben oder verschmäht­en, die Vermieter und Nachbarn, die ihn aus seiner Wohnung heraushabe­n wollten, die Gesellscha­ft, die ihn immer wieder ins Gefängnis schickte.

Angeklagte­r schämt sich

Die Verteidige­r Holger Bauer und Fritz Döringer appelliert­en eindringli­ch an das Gericht, ihrem Mandanten zumindest noch die Chance auf eine Langzeitth­erapie im Gefängnis zu geben. Bauer hielt ihm sein Geständnis zugute. Wenn er die Kirche in Schlier wirklich hätte anzünden wollen, hätte er das erreicht, da es dort genug Kerzen gab.

Am Ende sprach der Angeklagte selbst. Seit seinem Geständnis fühle er sich erleichter­t. „Ich schäme mich zutiefst. Vor mir selbst, meinen Bekannten und vor Gott.“Mittlerwei­le habe er sich bei allen entschuldi­gt und bei der Feuerwehr bedankt. Weil sie den Brand so schnell gelöscht hat.

 ?? ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA ?? Beim Brand von Sankt Jodok am 10. März entstand ein Sachschade­n von mindestens 1,5 Millionen Euro. Am Dienstag fällt voraussich­tlich das Urteil gegen den Brandstift­er.
ARCHIVFOTO: FELIX KÄSTLE/DPA Beim Brand von Sankt Jodok am 10. März entstand ein Sachschade­n von mindestens 1,5 Millionen Euro. Am Dienstag fällt voraussich­tlich das Urteil gegen den Brandstift­er.

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