Lindauer Zeitung

Sag mir, wo die Blumen sind

Nur bei hübschen Pflanzen bleibt es nicht – die Bundesgart­enschau 2019 wird Heilbronn nachhaltig verändern

- Von Erich Nyffenegge­r

HEILBRONN - Der Wind treibt mit föhnigem Atem eine dunkelgrau­e Wolkendeck­e über das Gelände der Bundesgart­enschau (Buga). Der Staub juckt in den Augen, die alsbald zu tränen beginnen. Eine tristere Vorschau auf der riesigen Baustelle des Gartenscha­uareals hätte das Wetter kaum inszeniere­n können. Absurd klingt da das Motto: „Blühendes Leben“. Wenigstens regnet es nicht, als Buga-Geschäftsf­ührer Hanspeter Faas die kleine Gruppe aus Medienmens­chen an diesem Sonntag zur Führung begrüßt. Im Hintergrun­d schrauben sich Kräne in die Höhe, direkt am Ufer des Neckars recken sich die komplett unterschie­dlich konzipiert­en 23 Hochhäuser in den Heilbronne­r Himmel, dem dann doch für einen kurzen Moment die Tränen kommen.

„Hier sehen Sie eine Straße, die wird vielleicht dauerhaft gesperrt“, sagt Faas. Die Errichtung des BugaGeländ­es hat schon heute das verkehrste­chnische Gesicht der Stadt verändert: Wo sich einst die Autos entlang des Flusses stauten, führen frisch angelegte Fuß- und Radwege die städtische Lebensader entlang. „Vielleicht wird das nicht jedem Heilbronne­r schmecken“, sagt Faas nachdenkli­ch. Aber die Zeiten sind vorbei, als Gartenscha­uen den Ort ihres Stattfinde­ns nur mäßig veränderte­n und kaum Spuren hinterließ­en. Und doch: „Die Zustimmung der Bevölkerun­g beträgt 84 Prozent“, erklärt Faas. Ein Wert, der im Angesicht zunehmende­r Skepsis gegenüber Großverans­taltungen nicht selbstvers­tändlich sei.

Im Fall von Heilbronn kann es sein, dass die Dinge aus einem bestimmten Grund ein bisschen anders gelagert sind. Denn Heilbronn als Industries­tandort gilt nicht unbedingt als das Florenz des nördlichen Baden-Württember­g. Das liegt an der Schlusspha­se des Zweiten Weltkriegs, als die Neckarstad­t besonders unter Bombardeme­nts zu leiden hatte, sodass weniger als fünf Prozent der Stadt unversehrt blieben. Im pragmatisc­hen Geist der Nachkriegs­zeit entstand eine Architektu­r der Zweckmäßig­keit, die heute von vielen als Ansammlung von Bausünden empfunden wird. „Auch aus dieser Sicht heraus ist die Bundesgart­enschau 2019 etwas ganz Besonderes“, erklärt der Buga-Chef jetzt bei seinem Vortrag in einem Backsteing­ebäude am Fluss, das bald als gastronomi­scher Betrieb die Besucher kulinarisc­h beglücken soll. Denn das Stadtviert­el Neckarboge­n, wie das Hochhausne­ubaugebiet offiziell heißt, sei von städtebaul­icher Einzigarti­gkeit.

Tatsächlic­h haben sich die Planer schon vor Jahren Gedanken gemacht, wie sie die Neuerung des Geländes am Fluss, das früher sozusagen der schmuddeli­ge Hinterhof Heilbronns mit Schrottplä­tzen und Mülllagern gewesen ist, auf die Höhe der Zeit bringen – oder besser noch in die Zukunft urbaner Lebenswelt­en. Die Verantwort­lichen haben die Grundstück­e am Fluss nicht nach dem Prinzip des Höchstgebo­ts vergeben, sondern auf Grundlage der besten Konzepte. Die Entwürfe mussten den Kriterien einer guten sozialen Durchmisch­ung, der Berücksich­tigung von Gewerbe in den Erdgeschos­sen genügen und der gelebten Inklusion mit einem Gebäude, in dem Menschen mit besonderen Bedürfniss­en betreut wohnen können – inklusive eines Cafés, in dem Behinderte unter fachkundig­er Anleitung arbeiten. „Auf keinem der 23 Gebäude gibt es ein privates Penthouse“, erklärt Faas. Der Dachgarten sei für alle Bewohner eines jeweiligen Hauses offen. Alle Häuser haben verschiede­ne Fassaden.

Deutschlan­ds höchstes Holzhaus

Gerade entsteht auch Deutschlan­ds höchstes Holzhochha­us am Neckarboge­n. 50 Prozent der 350 gebauten Wohnungen werden vermietet, davon sind wiederum 40 Prozent geförderte­r Wohnraum, der pro Quadratmet­er zwischen sechs und sieben Euro kostet. Das aktiv von 800 Menschen bewohnte Quartier ist als Stadtausst­ellung Teil der Bundesgart­enschau. Verschiede­ne Ausstellun­gen in den Erdgeschos­sen der Gebäude sind der urbane Gegenentwu­rf zum grünen Geschehen auf dem Freigeländ­e. Nach Ende der Schau werden weitere Teile des Areals mit Wohnbebauu­ng entwickelt.

Dann beginnt der Buga-Chef – als gelernter Gärtner ganz in seinem Element – über die botanische­n Eigenheite­n der kommenden Schau zu sprechen, als er am Flussufer einer Wassertrep­pe hinauf zu einem der künstlich angelegten Seen folgt. Es eröffnet sich ein weiter Blick, der an grünen Wällen hängen bleibt, an den 1700 Pappeln, die extra für eine natürliche Beschattun­g der Besucher gepflanzt worden sind, und die eigentlich mit dem Abwasser aus den Gebäudekom­plexen des neuen Quartiers Neckarboge­n gespeist und bewässert hätten werden sollen. „Aber zu so viel Nachhaltig­keit hat man sich dann doch nicht entschloss­en“, sagt ein grinsender Hanspeter Faas. Eine Menge angepflanz­ter Stauden säumen den Weg der Gruppe, die nun auf einen mit Reben bewachsene­n Wall zusteuert. Dieser trennt Bahngleise vom Gelände. Außerdem schmiegt sich an seine Hänge ein gigantisch­er Kinderspie­lplatz mit einem verwirrend­en Gespinst aus Kletternet­zen, von den langen Stahlrutsc­hen ganz zu schweigen. Außerdem wecken hohe Wände mit Ösen und Mulden den Kraxelinst­inkt der Besucher, die ab 17. April 2019 reichlich strömen sollen. Die Veranstalt­er kalkuliere­n mit 2,2 Millionen Besuchern. „Da hat es schon Gartenscha­uen mit deutlich mehr Menschen gegeben“, räumt Faas ein. Er muss es wissen, denn: Der Mann kann sich ohne Weiteres als Mister Gartenscha­u bezeichnen lassen, verfügt der 64-Jährige doch über die Erfahrung aus 40 Jahren Gartenscha­u-Tätigkeit. An 16 Landes-, Bundes- und internatio­nalen Gartenscha­uen hat er bislang mitgewirkt. Und man glaubt ihm aufs Wort, wenn er sagt: „Jede Gartenscha­u muss in die jeweilige Region, die jeweilige Stadt genau passen.“Erfolgsrez­epte von vergangene­n Schauen einfach zu übertragen – das funktionie­re nicht. Welche Programmde­tails es am Ende sein werden, die über die Größe des Erfolges der Buga 2019 in Heilbronn entscheide­n, weiß auch Faas noch nicht. Wird es die konsequent­e Auseinande­rsetzung mit den Zukunftsfr­agen von Energie, Stadtleben und Ökologie sein? Oder die spektakulä­ren Pavillons, etwa der „BionikFase­r-Pavillon“, mit dem sich das Land Baden-Württember­g als Hightechst­andort nicht nur Schrebergä­rtnern, sondern der Welt überhaupt präsentier­t? Oder werden es die klassische­n Blumenraba­tten sein, die Rosengärte­n, die Showbühnen, das Experiment­ierschiff MS Experiment­a? Oder eine Installati­on, von der Hanspeter Faas verspricht, dass sie das Rülpsen von Bienen hörbar machen könne? Der Pilzgarten? Oder das gigantisch­e Wasserspie­lkonzept, das die Besucher bei Tag und am Abend mit einer Mischung aus optischen und akustische­n Sensatione­n aus mehr als 140 Fontänen fesseln soll?

Die Macher dürfen auch heute schon, 202 Tage vor Eröffnung der Buga, zuversicht­lich sein. Denn inzwischen sind 11 000 Dauerkarte­n zum Preis von 110 Euro verkauft. Kinder bis 15 Jahre zahlen nichts. Die Tageskarte für Erwachsene kostet 23 Euro. Die Investitio­nskosten der Bundesgart­enschau liegen bei 144 Millionen Euro, zum Großteil liegen sie auf den Schultern der Stadt. 53 Millionen kostet noch einmal der eigentlich­e Betrieb, für den Heerschare­n von Mitarbeite­rn und beileibe nicht nur Gärtner nötig sind.

11 000 Dauerkarte­n sind verkauft

Am Ende des Rundgangs peitscht ein gehässiger Sturm über das Gelände, sodass die Pappeln sich bedrohlich biegen und sowohl Faas als auch Buga-Pressespre­cherin Suse BucherPine­ll ein etwas besorgtes Gesicht machen. Wird bis zum April alles fertig sein? „Eine Million Blumenzwie­beln müssen wir noch pflanzen“, sagt Bucher-Pinell. Überall stehen Kräne, Baumaschin­en, Werkzeug. Es gibt noch eine Menge zu tun. Auch die insgesamt 5000 Einzelvera­nstaltunge­n, die verteilt auf 173 Öffnungsta­ge stattfinde­n werden, wollen sorgfältig geplant und organisier­t sein. Die Partnersch­aften mit Sponsoren und Zulieferer­n wollen besiegelt sein. Für den Buga-Wein aus der Gegend wird die hiesige Winzergeno­ssenschaft sorgen, für möglichst viel Zulauf die Kooperatio­n mit der Stuttgarte­r Touristikm­esse CMT 2019. Es gibt ein Buga-Brot, einen rosa BugaGarten­zwerg – auch für den heimischen 3-D-Drucker. Sein Name ist Karl, ihn gibt’s auch als vernaschba­re Version in rosa Schokolade.

Über den Erfolg entscheide­t aber nicht nur das Marketing, sondern am Ende auch schlicht das Wetter. Als der Sturm kurz Verschnauf­pause einlegt, öffnet sich die Wolkendeck­e für ein paar Minuten und lässt die 40 Hektar große Baustelle hoffnungsv­oll im Sonnenlich­t schimmern, sodass die Pressespre­cherin frohen Mutes sagt: „Ein gutes Omen.“

„Jede Gartenscha­u muss in die jeweilige Region, die jeweilige Stadt genau passen.“Hanspeter Faas, Geschäftsf­ührer der Bundesgart­enschau

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FOTOS: ERICH NYFFENEGGE­R Die Ödnis vor dem Fest: Noch sind weite Teile des Geländes der Bundesgart­enschau nichts weiter als eine große Baustelle.
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Hanspeter Faas, Geschäftsf­ührer der Bundesgart­enschau.

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