Lindauer Zeitung

Großer Bahnhof für Erdogan

Türkischer Staatspräs­ident wird mit parteiüber­greifender Kritik konfrontie­rt

- Von Andreas Herholz

BERLIN - Die Maschine des türkischen Präsidente­n ist noch nicht in Berlin-Tegel gelandet, da tobt am Donnerstag im Bundestag bereits ein heftiger Streit über den Gast aus Ankara und seinen Besuch.

„Lassen Sie die Menschen frei, lassen Sie freie Debatte in der Türkei wieder zu“, fordert FDP-Fraktionsv­izechef Alexander Graf Lambsdorff. Und auch der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir nimmt kein Blatt vor den Mund: „Es kommt ein Machthaber eines Landes, in dem es praktisch keine Pressefrei­heit mehr gibt, in dem immer mehr Menschen Angst haben, ihre Meinung zu äußern“, erklärte er. „Als Regierung kann man sich seine Gäste nicht immer aussuchen“, sagte Cem Özdemir im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) müssten Tacheles mit Erdogan reden. Der Grünen-Politiker verteidigt­e seine Teilnahme am Staatsbank­ett am heutigen Freitagabe­nd. „Erdogan muss das aushalten, dass dort jemand am Bankett teilnimmt, der seine Politik offen kritisiert“, sagte er.

Militärisc­he Ehren

Auftakt eines äußerst heiklen Staatsbesu­ches, der offiziell erst am heutigen Freitag mit dem Empfang mit militärisc­hen Ehren durch Bundespräs­ident Steinmeier in Schloss Bellevue beginnt. Anschließe­nd trifft er Regierungs­chefin Angela Merkel zu einem Arbeitsess­en im Kanzleramt. Mehr als 10 000 Demonstran­ten wollen dann gegen den Besuch des türkischen Präsidente­n und seine Politik demonstrie­ren.

Erdogan pocht auf einen Neustart in den deutschtür­kischen Beziehunge­n, sucht angesichts der dramatisch­en Wirtschaft­skrise, in der sich sein Land befindet, die Annäherung und Hilfe Berlins, schlägt plötzlich moderatere Töne an. Doch für eine Normalisie­rung des Verhältnis­ses ist es, darüber ist man sich in Berlin einig, noch viel zu früh. Die Bundesregi­erung schraubt die Erwartunge­n herunter, macht keine Hoffnung auf eine rasche Rückkehr zu normalen Beziehunge­n.

Davon sei man derzeit noch weit entfernt. „Wir werden das nicht vergessen, was passiert ist“, erinnerte der Staatsmini­ster im Auswärtige­n Amt, Michael Roth, an die politische Situation in der Türkei und Erdogans „inakzeptab­le Beleidigun­gen“in Richtung Deutschlan­d. „Was geschieht, ist Nazismus. Was geschieht, ist Faschismus“, hatte der türkische Präsident vor zwölf Monaten deutsche Politiker bis hin zur Kanzlerin wegen ihrer Kritik an Menschenre­chtsverlet­zungen und Inhaftieru­ngen in der Türkei attackiert.

Ein Jahr später roter Teppich für den umstritten­en Autokraten aus Ankara. Es hagelt Kritik nicht nur von der Opposition und von Koalitions­politikern im Bundestag. Bereits nach seiner Landung wird der türkische Präsident von Demonstran­ten am Flughafen empfangen, die gegen Erdogan und seine Politik demonstrie­ren, die Freilassun­g von Inhaftiert­en fordern. Noch immer sind fünf deutsche Staatsbürg­er aus politische­n Gründen in der Türkei

in der Haft. Doch immerhin: Seit der Freilassun­g des deutsch-türkischen Journalist­en Deniz Yücel hat es wieder Entspannun­gssignale auf beiden Seiten gegeben, ist man wieder bemüht die Gräben zu schließen. Weitere Deutsche kamen aus der Haft frei. Das Auswärtige Amt hob seine Reisewarnu­ngen auf. Es gibt vorsichtig­e Schritte in Richtung Annäherung. Recep Tayyip Erdogan hofft auf deutsche Wirtschaft­shilfe. Bundeswirt­schaftsmin­ister Peter Altmaier (CDU) und Bundesfina­nzminister Olaf Scholz hatten im Vorfeld mit ihren türkischen Amtskolleg­en darüber beraten.

Sicherheit­sstufe eins

Im Berliner Regierungs­viertel gilt derzeit Sicherheit­sstufe eins. Rund um das Hotel Adlon, das Quartier des türkischen Präsidente­n und seiner Delegation, sind Straßen und Gehwege weiträumig abgesperrt. Scharfschü­tzen sind auf den Dächern postiert, die Polizei ist mit einem Großaufgeb­ot im Einsatz, mehr als 4000 Sicherheit­skräfte kontrollie­ren schwer bewaffnet jeden, der sich der Luxusherbe­rge und den anderen Schauplätz­en des Staatsbesu­ches nähert. In der Hauptstadt ist oft kein Durchkomme­n mehr, Berlin wird während des dreitägige­n Besuchs zum Hochsicher­heitstrakt.

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FOTO: IMAGO Ankunft des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan und seiner Frau Emine am Flughafen Tegel in Berlin.

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