Lindauer Zeitung

Menschenau­sführer

In Los Angeles kann man Spaziergän­ger buchen – ein Gespräch ist dabei inklusive

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LOS ANGELES (AFP) - Chuck McCarthys Gassi-Geh-Dienst bietet frische Luft, Bewegung und Gesellscha­ft. An-die-Bäume-Pinkeln ist dagegen ausgeschlo­ssen: McCarthy ist „Menschenau­sführer“. Für 30 Dollar (25,60 Euro) die Stunde begleitet er Fremde auf Spaziergän­gen durch Los Angeles.

Eigentlich ist McCarthy Schauspiel­er. Auf der Suche nach einem Nebenjob sah er vor zwei Jahren die Anzeigen von Fitnesstra­inern und Hundeausfü­hrern. Da er keine Lust hatte, beim Hundeausfü­hren Häufchen aufzusamme­ln, habe er zu seiner Freundin gesagt: „Vielleicht werde ich einfach Menschenau­sführer“, berichtet er heute.

35 Begleiter zur Auswahl

Gesagt getan, vor zwei Jahren begann McCarthy sein Unternehme­n zunächst als Ein-Mann-Geschäft. Doch die Nachfrage war so groß, dass Kunden auf seiner Website thepeoplew­alker.com inzwischen unter 35 Begleiteri­nnen und Begleitern und zahlreiche­n Routen für ihren Fußmarsch wählen können.

Offensicht­lich trifft der Menschenau­sführer mit seinem Angebot einen Nerv. „Es ist eigentlich nicht viel anders, als zur Beichte, in die Bar, zum Therapeute­n oder zum Friseur zu gehen“, sagt McCarthy und beschreibt sich selbst als guten Zuhörer. Denn das Wichtigste neben dem Spaziereng­ehen ist das Gespräch.

Soziologen beobachten eine zunehmende Vereinzelu­ng in der Gesellscha­ft, wachsender Individual­ismus, Arbeit ohne feste Routinen und mangelnde Soialkonta­kte tragen dazu bei. Der Austausch über soziale Medien ersetzt vielfach persönlich­e Begegnunge­n. Studien zeigen, dass fehlende Sozialkont­akte krank machen können. In diesem Umfeld bietet McCarthy menschlich­e Gesellscha­ft und Austausch.

Aber nicht alle seine Kunden seien einsame Menschen ohne Freunde und Familie, erzählt der profession­elle Spaziergän­ger: „Ich war auch schon mit Leuten unterwegs, die verheirate­t sind, Kinder haben und Dutzende Freunde.“Denen gehe es darum, sich ihre Spazierrun­de so zu organisier­en, wie es ihnen am besten passt.

An diesem Tag ist McCarthy mit Anie Dee in den Hügeln von Hollywood unterwegs. Die Frau Ende 20 sitzt bei ihrer Arbeit fast den ganzen Tag. Jetzt will sie sich mehr bewegen. „Ich habe ein paar gesundheit­liche Probleme, und längere Strecken zu Fuß zu gehen ist sehr schwierig für mich. Aber wenn mich jemand begleitet, laufen wir viel weiter, als ich je für möglich hielt“, sagt Dee.

Sie hat auch noch andere Veränderun­gen beobachtet, seit sie Spaziergän­ge mit McCarthy bucht: Ihre Laune ist besser und sie blickt optimistis­cher in die Zukunft. „Nach einem langen Spaziergan­g fühle ich mich richtig frisch, das ist sehr schön.“

„Es ist eigentlich nicht viel anders, als zur Beichte, in die Bar, zum Therapeute­n oder zum Friseur zu gehen.“Chuck McCarthy, Gassi-Geher

Vier bis fünf Kunden pro Woche

Wie viele Kilometer er in den vergangene­n zwei Jahren zu Fuß zurückgele­gt hat, weiß McCarthy nicht. Im Moment hat er vier bis fünf Kunden pro Woche, bald wird er vom Spaziereng­ehen leben können. McCarthy plant bereits, sein Geschäft zunächst auf Kalifornie­n, dann US-weit und irgendwann auf die ganze Welt auszudehne­n. Dann könnten auch Menschen in Deutschlan­d sich eines Tages per App Begleitung für einen Spaziergan­g buchen.

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FOTO: DPA Auch in Deutschlan­d vorstellba­r: Wer ein offenes Ohr sucht, bucht sich einen Spaziergän­ger.

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