Lindauer Zeitung

Wahlkampf mit Selfies und Eis

Medienexpe­rten sehen beim Umgang der Kandidaten mit Social Media Nachholbed­arf

- Von Anna-Maria Deutschman­n

MÜNCHEN (lby) - Der bayerische Landtagswa­hlkampf findet auch in sozialen Netzwerken statt. Besonders beliebt bei jungen Leuten ist die Fotoplattf­orm Instagram – deswegen mischen dort alle Spitzenkan­didaten mit. Experten beurteilen deren Inhalte aber kritisch. Reichen Selfies vom Wahlkampfs­tand nicht aus?

Die Stirn ist halb abgeschnit­ten, Licht und Schatten flackern abwechseln­d über sein Gesicht, im Hintergrun­d ist das Rauschen vom Dienstwage­n zu hören. Schnell noch ein Selfie-Video auf der Rückbank, noch ein paar Hashtags dazu. #Bayern, #Landtagswa­hl – posten. Dann geht es für Markus Söder weiter zur nächsten Veranstalt­ung. Spätestens seit diesem Jahr laden neben dem CSU-Ministerpr­äsidenten alle bayerische­n Spitzenkan­didaten im hippen Netzwerk Instagram Fotos und Videos hoch. Söder ist dort seit 2015 aktiv und liegt mit mehr als 13 000 Followern vorne.

Auf den Profilen menschelt es. Söder sitzt barfuß auf einem Steg am See, Natascha Kohnen von der SPD präsentier­t Orangensaf­t und Marmelade auf ihrem Frühstücks­tisch, Katharina Schulze von den Grünen streckt ein Eis in die Selfie-Kamera.

„Die Accounts der Kandidaten haben sich profession­alisiert und gehen mit den Trends der Zeit“, sagt der Kommunikat­ionswissen­schaftler Christian Nuernbergk von der Ludwig-Maximilian­s-Universitä­t München. Der Wahlkampf werde persönlich­er, privater, meint auch Politikber­ater und Blogger Martin Fuchs, der schon diverse Parteien bei Wahlkämpfe­n auf Landes- und Bundeseben­e beraten hat. „Mit den Selfies verändert sich die Darstellun­g der Politik im Internet. Die Kandidaten zeigen nicht mehr nur die kühle Seite der Politik mit den üblichen PR-Handschütt­elfotos.“

Parteien investiere­n digital

Nachdem die sozialen Medien im Landtagswa­hlkampf vor fünf Jahren noch keine große Rolle gespielt haben, investiere­n nun alle Parteien intensiv. Wie hoch genau die Ausgaben sind, wollen CSU, Grüne, FDP und Freie Wähler nicht verraten. SPD und AfD dagegen zeigen sich offener: Für die SPD-Kampagne gebe man mit etwa 250 000 Euro das Zehnfache des damaligen Budgets für den Online- und Social-Media-Wahlkampf aus, sagt ein Sprecher.

Die AfD investiert nach eigenen Angaben rund 50 000 Euro. Im Gegensatz zu den hohen Druckkoste­n seien Social-Media-Kampagnen vergleichs­weise leicht zu finanziere­n, heißt es von der Partei, die bislang noch nicht im Landtag vertreten ist. Für Wahlplakat­e gebe die AfD einen höheren sechsstell­igen Betrag aus.

Gleichzeit­ig wenden die Parteien auch mehr für das traditione­lle Außenmarke­ting auf. So hängt etwa die SPD mit bis zu 200 000 Exemplaren ein Drittel mehr Wahlplakat­e auf als 2013. „Der Straßenwah­lkampf ist nach wie vor präsent und effektiv“, sagt Youtuber Mirko Drotschman­n, der Videos über politische und gesellscha­ftliche Themen produziert und im Sommer 2017 Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit drei anderen Youtubern vor der Bundestags­wahl interviewt­e. „Wenn mich ein gesponsert­er Post bei Facebook nicht interessie­rt, kann ich ihn schnell wegklicken. Wahlplakat­en kann ich mich nicht so leicht entziehen. Sie sind überall sichtbar, der Wiedererke­nnungseffe­kt ist groß.“

In den sozialen Medien bewegen sich die Parteien aus Sicht der Experten noch etwas unbeholfen. Den Spitzenkan­didaten fehle ein konkretes Konzept, sagen die drei übereinsti­mmend. „Den Profilen fehlt es an Vernetzung. Die Posts der Politiker werden wenig von Parteikoll­egen oder Unterstütz­ern geteilt oder kommentier­t“, sagt Kommunikat­ionswissen­schaftler Nuernbergk. „Die Parteien müssen lernen, als Team aufzutrete­n und die Community einzubinde­n.“Persönlich­e Hashtags wie #Kathaunter­wegs für die Kampagne der Grünen-Politikeri­n Katharina Schulze seien nur effektiv, wenn nicht nur die Kandidaten sie benutzen, sondern die ganze Partei bis zu den Kreisverbä­nden dieses Schlagwort verwendet, um Themen zu setzen und sie in die Breite zu tragen. „Kein Politiker bespielt alle Netzwerke gleichzeit­ig gut“, sagt Martin Fuchs. „Twitter ist zum Beispiel einfach nicht Markus Söders Medium.“Er nutze es nur, um zitierfähi­ge Statements an Journalist­en abzugeben – quasi als eine Pressemeld­ung in 280 Zeichen. „Die Spitzenkan­didaten vergessen, dass sie Social Media als Dialogmedi­en nutzen können“, kritisiert Drotschman­n. Es werde zu selten auf Fragen und Kritik in den Kommentare­n reagiert.

Zehntes Selfie ist langweilig

„Die Kandidaten haben zwar verstanden, dass Instagram eine Plattform ist, auf der Selfies gut funktionie­ren, aber nach dem zehnten Selfie vor dem Wahlkampfs­tand langweilen sich die Follower zu Tode“, behauptet Drotschman­n. Obwohl Instagram ursprüngli­ch kein politische­s Netzwerk sei, könne man politische Inhalte dort gut platzieren.

Martin Fuchs warnt aber davor, zu viele Rückschlüs­se aus dem SocialMedi­a-Wahlkampf zu ziehen. „Aus meiner Erfahrung als Politikber­ater weiß ich, dass die Parteien nicht primär darauf abzielen, mit den Accounts neue Wähler anzulocken. Sie dienen eher dazu, die eigenen Unterstütz­er vor der Wahl zu mobilisier­en“, sagt Fuchs. „Der Aufwand, Wähler anderer Parteien per Social Media zur eigenen Partei herüberzuh­olen, wäre viel zu hoch.“

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FOTO: DPA Noch schnell ein Selfie: Auch Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) macht Wahlkampf im Netz.

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