Lindauer Zeitung

Mehr Sicherheit durch Rückmeldef­ahrten für Senioren

Ältere Autolenker verursache­n drei Viertel aller Unfälle, an denen sie beteiligt sind – Experten gegen rein medizinisc­he Untersuchu­ngen

- Von Claudius Lüder

ie fit sind Senioren noch hinterm Steuer? Immer wieder gibt es Diskussion­en über medizinisc­he Fahreignun­gstests im Alter oder gar eine neuerliche Fahrprüfun­g. Etliche Experten halten nicht viel davon – sie plädieren stattdesse­n für sogenannte Rückmeldef­ahrten.

Weil es häufig auch zu sehr schweren Unfällen mit älteren Verkehrste­ilnehmern kommt und diese Altersgrup­pe im Straßenver­kehr noch stark zunehmen wird, sieht Siegfried Brockmann von der Unfallfors­chung der Versichere­r Handlungsb­edarf: „Schon heute verursache­n Senioren drei Viertel aller Unfälle, an denen sie beteiligt sind.“Dieser Anteil sei damit höher als bei der Hochrisiko­gruppe der 18- bis 21Jährigen.

Die absoluten Unfallzahl­en sind allerdings noch nicht auffällig. Das liegt Brockmann zufolge jedoch auch daran, dass in der aktuellen Generation der Senioren die Zahl der Führersche­ininhaber eher gering ist, da gerade viele ältere Frauen nicht Auto fahren. Brockmann rät deshalb zu Rückmeldef­ahrten. Darunter werden begleitete Fahrten mit einer Dauer von 45 bis 60 Minuten verstanden, bei denen Senioren zum Beispiel mit einem Verkehrsps­ychologen im ganz normalen Straßenver­kehr unterwegs sind.

„Das Ziel ist es, der Altersgrup­pe ab 75 eine Rückmeldun­g zu geben, wie fit sie für den Straßenver­kehr ist und was sie möglicherw­eise auch noch besser machen kann“, sagt Brockmann. Unbestritt­en sei, dass ältere Autofahrer vor allem bei komplexen Verkehrssi­tuationen Probleme hätten. Daher würden die Kreuzungsu­nfälle zunehmen, während die Überhol- und Geschwindi­gkeitsunfä­lle rückläufig seien.

Sehtest allein bringt nichts

Keine Alternativ­e sind nach Meinung von Experten rein medizinisc­he Untersuchu­ngen, wie sie in einigen europäisch­en Nachbarlän­dern vorgenomme­n werden. „Es bringt praktisch nichts, einfach nur einen Sehtest zu machen und/oder andere körperlich­e Funktionen in einem Schnelltes­t zu checken“, erklärt Matthias Graw von der Deutschen Gesellscha­ft für Verkehrsme­dizin. Dies habe auch das Beispiel Schweiz bewiesen, wo ältere Autofahrer alle zwei Jahre eine Untersuchu­ng beim Hausarzt absolviere­n müssen. Auf die Unfallzahl­en habe sich dies bislang nicht positiv ausgewirkt.

Eine Rückmeldef­ahrt unter realistisc­hen Bedingunge­n sei die beste Methode, die Leistungsf­ähigkeit im Straßenver­kehr tatsächlic­h zu überprüfen, sagt Graw. Er rechnet damit, dass in den kommenden Jahren bis zu 300 000 Autofahrer mehr im Alter um 75 Jahre in Deutschlan­d unterwegs sind. Brockmann plädiert dafür, die Rückmeldef­ahrten zunächst auf freiwillig­er Basis einzuführe­n. „Wenn weniger als die Hälfte eines Jahrgangs teilnimmt, müssen wir aber auch über eine Verpflicht­ung nachdenken“, so der Unfallfors­cher.

Das Thema Freiwillig­keit beurteilt Thomas Wagner von der Expertenor­ganisation Dekra anders: „Unsere Erfahrung mit Mobilitäts­checks zeigt, dass sich kaum jemand freiwillig meldet“, behauptet der Verkehrsps­ychologe. „Bei freiwillig­en Untersuchu­ngen wie auch bei wissenscha­ftlichen Erhebungen melden sich vor allem die Interessie­rten und Leistungsf­ähigen.“Er befürworte­t eine zweistufig­e Rückmeldef­ahrt ohne rechtliche Konsequenz­en. Im ersten Schritt gebe der Experte eine Rückmeldun­g nur an den Senior. „Stellt er jedoch Defizite wie zum Beispiel Aufmerksam­keits- oder Reaktionsl­eistungssc­hwächen fest, müssten diese in einer zweiten Überprüfun­g, zum Beispiel durch einen Verkehrsps­ychologen oder Verkehrsme­diziner, weiterführ­end abgeklärt werden.“

Angst vor Führersche­inverlust

Beachtet werden müsse im Zusammenha­ng mit den Rückmeldef­ahrten, dass es hier vor allem um die Überprüfun­g kognitiver Fähigkeite­n gehe – und nicht um Verkehrsre­geln wie in einer Fahrstunde. „Es muss also beurteilt werden, wie der Verkehrste­ilnehmer Signale aus der Umwelt wahrnimmt und weitervera­rbeitet.“Studien belegten, dass ältere Kraftfahre­r ihre Fähigkeite­n systematis­ch überschätz­ten.

„Wir führen solche Rückmeldef­ahrten bereits in unterschie­dlichen Kooperatio­nen, beispielsw­eise mit der Verkehrswa­cht oder dem ADAC, durch“, sagt Jürgen Kopp von der Bundesvere­inigung der Fahrlehrer­verbände (BVF). Die Vergangenh­eit zeige aber, dass viele Senioren fast schon Angst vor solchen Fahrten hätten, da sie befürchtet­en, man nehme ihnen den Führersche­in weg. „Tatsächlic­h aber ist der Fahrlehrer zur Verschwieg­enheit verpflicht­et, das Ergebnis bleibt also unter vier Augen“, erklärt Kopp. (dpa)

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FOTO: DPA Tatsächlic­h noch fit? Studien belegen, dass ältere Kraftfahre­r ihre Fähigkeite­n überschätz­en.

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