Lindauer Zeitung

Grau ist die Welt von Brabant

Umjubelter Neustart in Stuttgart – „Lohengrin“an der Staatsoper

- Von Barbara Miller

STUTTGART - Die Messlatte liegt hoch. In der neuen Spielzeit beginnt nach der Ära Wieler/Morabito ein neues Team unter Leitung von Viktor Schoner. Und die Stuttgarte­r bereiten den „Neuen“einen herzlichen Empfang, umjubeln den jungen Chefdirige­nten Cornelius Meister schon nach dem ersten Aufzug. Am Ende gehen die Buhrufe für die Regie von Árpád Schilling im Applaus unter; ein Klangbild, das zu Wagners „Lohengrin“nicht schöner passen könnte.

Grau ist die Welt von Brabant, so grau wie die Windjacken und Mäntel ihrer Bewohner, so grau wie ihre Zukunft. Ein Bild wie aus den letzten Tagen der DDR. Eine Assoziatio­n, die in der Figur des Telramund aufgenomme­n wird. Er sieht aus, als käme er vom Politbüro, so grau, so alt. Später dürfen seine Stasi-Leute das Attentat auf Lohengrin verüben.

Der König soll richten

So sieht keine freie Gesellscha­ft aus. Etwas ist faul im Staate an der Schelde. Der junge Herzog, potenziell der nächste Führer, ist verschwund­en, seine Schwester Elsa versinkt in Depression. Graf Telramund und seine Frau Ortrud klagen sie des Mordes an ihrem Bruder an, denn sie wollen selber ran an die Herrschaft. Der König soll richten. Und da kommt Lohengrin ins Spiel. Von Gott gesandt, von oben jedenfalls, wird er Elsa retten. Allerdings unter der Bedingung, dass sie nie nach seinem Namen fragen darf.

Eigentlich sollte nun ein schöner Ritter im Schwanenbo­ot anreisen. Aber so viel Märchen geht nicht mehr auf deutschen Bühnen. In Bayreuth

entstieg dieses Jahr der Held einem Trafohäusc­hen. In Stuttgart nun schält sich aus dem Pulk der grauen Mäntel ein beleibter Blousonträ­ger heraus, der Elsa ein Stoffschwä­nchen schenkt. Er ist nicht erwählt, er wird von den anderen vorgeschic­kt: So, nun mach mal! Die Gemeinscha­ft der Brabanter sieht Regisseur Árpád Schilling als manipulier­bare Masse, ähnlich wie schon Hans Neuenfels in seiner legendären Deutung mit dem Chor als Versuchsra­tten in flauschige­n Kostümen.

Wagners Musik für den „Wunderchor“steht solcher Absage ans Überirdisc­he diametral entgegen, aber das gehört zum Regiekonze­pt. Lohengrin als Führer, Heiland, Held, der die Gesellscha­ft rettet? Der 44jährige Regisseur aus Ungarn, in seiner Heimat 2017 offiziell zum „Staatsfein­d“erklärt, mag solche Vorstellun­gen nicht glauben – und nicht inszeniere­n. Ebenso misstraut er der Erlösung am Ende: Nicht Lohengrin ist es, der mit seinem Gebet den von Ortrud verwandelt­en Gottfried

erlöst und zum Herzog kürt. Nein, die böse Ortrud, die Elsa dazu verführt hat, die verbotene Frage doch zu stellen, schnappt sich den nächsten Blouson aus der Menge und hebt ihn aufs Podest: „Seht da den Herzog von Brabant!“

Die Deutung ist rustikal, aber im Trend. Auch in Bayreuth blieben starke Frauen auf der Bühne und sanken nicht, wie Wagner das wollte, „entseelt langsam zu Boden“.

An Schillings Regieansat­z mag man sich reiben, aber die Inszenieru­ng ist handwerkli­ch gut gemacht. Es gibt eindrucksv­olle Bilder (Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Tina Kloempken). Der Ehestreit zwischen Ortrud und Telramund findet in einem Raum statt, der noch von einer dieser Neubayreut­her Sakralbühn­en stammen könnte. Verlottert mit zerrissene­r Smokinghos­e präsentier­t sich Lohengrin ein letztes Mal Elsa und dem Volk. Er ist am Ende, wenn er die Gralserzäh­lung anstimmt.

Orchester überdeckt die Stimmen

Der neue Chef am Pult des Staatsorch­esters erobert die Herzen der Stuttgarte­r im Sturm. Cornelius Meister dirigiert einen ebenso dynamische­n wie satten Wagner, scheut nicht die Lautstärke. So dass sich mancher im Parkett die Ohren zuhält, wenn zwölf Trompeten von der Bühne und den Balkonen erschallen. Immer wieder überdeckte das Orchester auch die Stimmen.

Rundum überzeugte das starke Ensemble mit Simone Schneider als Elsa und Michael König als Lohengrin, Okka von der Damerau als Ortrud und Martin Gantner als Telramund. Diese beiden sind in den Rollen eine Wucht, darsteller­isch wie sängerisch. Aber auch die anderen Rollen wie der Heerrufer oder der König sind mit Shigeo Ishino und Goran Juric hervorrage­nd besetzt. Großer Applaus natürlich auch wieder für den Chor, der gerade wieder von den Kritikern zum „Opernchor des Jahres“gekürt worden ist.

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FOTO: MATTHIAS BAUS Michael König als Lohengrin (links) und Martin Gantner als Friedrich von Telramund.

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