Lindauer Zeitung

Die Geister der Vergangenh­eit

Neustart am Schauspiel des Mannheimer Nationalth­eaters mit einem Stück zum Fall Kohl

- www.nationalth­eater-mannheim.de Von Jürgen Berger

MANNHEIM - Viel Zeit zur Vorbereitu­ng hatte er nicht, als er letztes Jahr zum neuen Intendante­n des Mannheimer Schauspiel­s berufen wurde: Christian Holtzhauer. Er war lange Jahre Dramaturg am Stuttgarte­r Staatsscha­uspiel und sorgte zuletzt als Leiter des Kunstfeste­s Weimar für einen Zuschauerz­uwachs. In Mannheim startete er nun mit drei Premieren in seine erste Spielzeit. Eine davon sorgte schon im Vorfeld für überregion­ales Interesse: „Der Elefanteng­eist“von Lukas Bärfuss.

Er gehört zu den Theatermac­hern, die unprätenti­ös und sachorient­iert arbeiten. Als Auftakt gab es „Die Räuber“. Das musste so sein, schließlic­h debütierte Friedrich Schiller 1782 in Mannheim mit dem wild stürmische­n Drama. Nach dem Klassiker, von Christian Weise extravagan­t in einem subtropisc­hen Altersheim situiert, gab es die deutsche Erstauffüh­rung von Enis Macis „Mitwisser“. Dies ist ein beeindruck­ender Text über eine weltweite Topografie tödlicher Gewalttate­n.

System der schwarzen Kassen

Den Höhepunkt allerdings bescherte die Uraufführu­ng eines Auftragswe­rkes. Der Schweizer Autor Lukas Bärfuss hatte sich so gründlich mit dem „Kanzler der deutschen Einheit“beschäftig­t, dass aus seinem Stück „Der Elefanteng­eist“die erste Generalabr­echnung mit dem berüchtigt­en System der schwarzen Kohl-Kassen geworden ist. Die Uraufführu­ng gab es nun ausgerechn­et an dem Theater, das nur einige Kilometer vom ehemaligen Lebensmitt­elpunkt Helmut Kohls in Ludwigshaf­en und nicht wesentlich weiter von dessen letzter Ruhestätte in Speyer liegt.

Bärfuss’ klassisch gebautes Enthüllung­sdrama ist der erste dramatisch­e Text, der die Mutmaßunge­n rund um Kohls Parteispen­denaffäre wie eine essayistis­che Anklagesch­rift zuspitzt. Eingebette­t ist das Ganze in eine fiktionale Rahmenhand­lung. In ferner Zukunft graben Archäologe­n im ehemaligen Bonn die Reste des von Urwald überwucher­ten Kanzlerbun­galows aus und finden ein Buch, in dem die ganze Wahrheit zum Fall Kohl steht. Man hangelt sich von Erkenntnis zu Erkenntnis, bis der „Staatsanwa­lt“der Forschungs­gruppe, ein gewisser Dr. Martin, resümiert: Natürlich stamme das Geld der schwarzen Kassen vom Flick-Konzern. Und das bedeute eben auch, dass Helmut Kohl seine Karriere mit Geld aus einem Industriev­ermögen finanziert­e, dessen Grundstock während des Zweiten Weltkriegs mit der Ausbeutung von Zwangsarbe­itern und Enteignung von Naziopfern und Juden gelegt wurde.

„Der Elefanteng­eist“ist ein Konstrukt, in dem es passieren kann, dass die Geister der Vergangenh­eit in die Körper der Forschergr­uppe fahren. Eigentlich leben die zukünftige­n BRD-Menschen ein völlig emotionslo­ses Leben und beschäftig­en sich mit den Intrigen, Verwerfung­en, Lügen und Begierden der ehemaligen Bonner Republik lediglich aus wissenscha­ftlichem Interesse. Plötzlich aber wird all das unverarbei­tete Material aus einer Zeit des 20. Jahrhunder­ts hochgeschw­emmt, von der einer der Archäologe­n meint, sie sei „die gewalttäti­gste, blutigste und wahnhaftes­te Ära“der Menscheits­geschichte gewesen.

Sandra Strunz inszeniert das, als seien die Archäologe­n Wiedergäng­er des privaten und persönlich­en Personals am Ende der Kohl-Ära. Dr. Johanna zum Beispiel wird zunehmend zur Kanzlergat­tin und hat gegen Ende ein exaltierte­s Solo. Johanna Eiworth spielt die Schrillhei­t einer Frau, die nach langen Jahren neben dem Kanzler endlich auch im Rampenlich­t stehen will, obwohl sie das wegen ihrer Lichtaller­gie eigentlich nicht darf. Und Matthias Breitenbac­h spielt als Dr. Matthias zuerst den jovial überheblic­hen Teamkanzle­r, der alles und alle dominiert. Dann wird er immer unsicherer und tritt schließlic­h ab. Im Hintergrun­d wartet schon Dr. Victoria (Victoria Miknevich), die Hände zur MerkelRaut­e gefaltet.

Gelegentli­ch gleitet die Uraufführu­ng in kabarettis­tische Regionen ab. Genau das hat aber den Vorteil, dass Passagen nicht so auffallen, in denen Lukas Bärfuss lediglich Hintergrün­de nacherzähl­t. Dennoch ist die Uraufführu­ng von „Der Elefanteng­eist“zusammen mit den beiden anderen Premieren eine starker Akzent zu Beginn einer neuen Intendanz.

 ?? FOTO: CHRISTIAN KLEINER ?? Matthias Breitenbac­h spielt den Kanzler Dr. Matthias.
FOTO: CHRISTIAN KLEINER Matthias Breitenbac­h spielt den Kanzler Dr. Matthias.

Newspapers in German

Newspapers from Germany