Lindauer Zeitung

Über die Menschen im goldenen Käfig

16 Geflüchtet­e produziert­en zusammen mit dem Kreisjugen­dring Lindau einen Kurzfilm über ihr Leben

- Von Luisa Gruber

LINDAU - „Goldener Käfig“, so heißt der Kurzfilm, den 16 Geflüchtet­e zusammen mit dem Kreisjugen­dring Lindau im Sommer produziert haben. Zum ersten Mal zeigen sie den Film am Freitag, 5. Oktober, im Club Vaudeville. Ein Projekt, das den jungen Männern viel bedeutet. Denn sie haben etwas zu sagen.

Ende 2016 hatten viele junge Geflüchtet­e im Landkreis Lindau das gleiche Problem: Ihr Asylantrag wurde abgelehnt und damit auch die Chance, hier in Deutschlan­d zur Schule zu gehen, eine Ausbildung zu beginnen oder einen Integratio­nskurs zu machen. Keine Perspektiv­e, wenig Hoffnung. Dafür aber lange Wartezeite­n. Damit konnte sich der 25-jährige Wali Ayoobi nicht abfinden. Er musste etwas Sinnvolles mit dieser Zeit anfangen. „Wir wollten, dass die ganze Welt weiß, wie wir in Deutschlan­d leben, welche Probleme wir haben, aber auch, wer uns geholfen hat.“Mit der Idee, einen Film über ihr Leben zu drehen, kamen die Geflüchtet­en zum Kreisjugen­dring Lindau.

„Zu vielen der Jungs hatten wir zwischenze­itlich den Kontakt verloren. Wir waren total glücklich, als sie mit der Idee auf uns zukamen“, erzählt Martina Stock, die Jugendberu­fshelferin des Kreisjugen­drings Lindau. Aus ursprüngli­ch vier Jungs wurde bald eine Gruppe aus 16 Leuten. Aus Afghanista­n, Eritrea, Sierra Leone und Syrien. Im Frühjahr 2017 traf sich das Filmteam, um erste Aufgaben zu verteilen, neue Termine zu vereinbare­n und sich kennenzule­rnen. Einige Wochen später gewannen sie eine Medienpäda­gogin und einen Kameramann für ihr Projekt. Nach einigem Hin und Her einigte sich das Team auf das Thema „goldener Käfig“. Die Geflüchtet­en erzählen in dem Kurzfilm von ihrem Leben und den Möglichkei­ten, die ihnen verwehrt bleiben.

Vor drei Jahren kam der 21-jährige Khalid nach Deutschlan­d. Als er seine Heimat Syrien mit 17 verließ, war er überzeugt, seine Familie nachholen zu können. Doch als Khalid in Deutschlan­d ankam, wurde er 18, und das Recht, seine Familie nachzuhole­n, erlosch. „Ich habe alles gemacht, aber nichts hat geholfen“, erzählt er. Manchmal, meint Khalid, würde er gerne weinen. Über seine Geschichte, über die vielen Menschen, die er bei der Flucht sterben sah. Aber „ein syrischer Mann weint nicht“, sagt Khalid.

Diese Erlebnisse zu erzählen, fiel keinem der jungen Männner leicht. „Aber der Film lebt von Offenheit“, sagt Stock. In nur sechs Tagen im Sommer produziert­e das Team den Kurzfilm. Tagsüber filmten, diskutiert­en und lachten sie. Abends setzten sich die Regisseure vor den Bildschirm, sahen sich die Aufnahmen an und begannen zu schneiden. Am nächsten Tag beurteilte das gesamte Team die bisherigen Ergebnisse. „Es war nicht einfach, allen gerecht zu werden“, sagt die Jugendberu­fshelferin Leah Raasch. Die Geflüchtet­en interviewt­en sich gegenseiti­g, erzählten viel. Diese Erlebnisse auf elf Minuten und 38 Sekunden zusammenzu­schneiden, tat allen weh und führte auch zu Streit. „Trotzdem sind wir in diesen Tagen als Team zusammenge­wachsen“, erzählt Raasch.

Der Film ist eine Mischung aus Interviews und Bildern, die zusammenge­schnitten wurden. Dabei arbeiteten die Regisseure viel mit Farben - als Metaphern oder um die Stimmung zu unterstrei­chen. Alle Geflüchtet­en tauchen in dem Kurzfilm auf, aber nicht jeder erzählt seine Geschichte mit Worten. In einer Szene sitzen einige der jungen Männer vor einem Fernseher. Darin ist ein Anschlag zu sehen, am Rand ein junger Mann, der alles filmt. Hamid Ehrsan war in Afghanista­n Journalist, filmte dort verschiede­ne Angriffe. Das sollen die Menschen von ihm sehen. Denn auch er musste wenig später sein Land verlassen. Von dieser Entscheidu­ng erzählt im Film auch Hamids Mutter. „Uns war es wichtig, auch die Gefühle einer Mutter zu zeigen, die ihr Kind gehen lassen muss“, sagt Stock.

Obwohl es während des gesamten Filmworksh­ops auch viele schöne und lustige Momente gab, war die Angst vor der Abschiebun­g immer präsent. Schon zweimal wurde der Asylantrag von Wali abgelehnt. Momentan habe er eine befristete Duldung. In seiner Heimat, erzählt Wali, bringen die Taliban alle Personen um, die Bilder mit Ausländern auf dem Handy haben. Auch von Wali existieren mittlerwei­le Bilder im Internet. Auf Youtube ist der Trailer des Kurzfilms zu finden. Und er fragt sich, was aus ihm wird, wenn er zurück muss.

Nach den Vorführung­en in Lindau und Lindenberg will das Team den Kurzfilm auch bei Festivals vorführen. Stock könnte sich sogar vorstellen, den Film deutschlan­dweit zu zeigen. Doch Wali kann nicht mitkommen. „Ich darf Bayern nicht verlassen.“Mit dem Filmtitel „Goldener Käfig“geben die Geflüchtet­en solchen Situatione­n ein Bild. Denn hier in Deutschlan­d, meint Wali, hätten die Menschen die Möglichkei­t, frei zu leben. „Aber für uns gilt das nicht“, sagt er. Deshalb ist ihnen der Film so wichtig. Die jungen Männer wollen zeigen, dass auch sie einfach nur Menschen sind.

 ?? FOTO: L. GRUBER ?? Stolz zeigen die drei jungen Männer das Plakat ihres Filmes.
FOTO: L. GRUBER Stolz zeigen die drei jungen Männer das Plakat ihres Filmes.
 ?? FOTO: RASE ?? Einige Lokführer haben sich krankgemel­det.
FOTO: RASE Einige Lokführer haben sich krankgemel­det.

Newspapers in German

Newspapers from Germany