Lindauer Zeitung

Einheitlic­her Mindestloh­n und gemeinsame Armee

Beim Bürgerdial­og der Europa-Union gibt es zwar viele Ideen – Es kommen aber nur wenige Bürger

-

LINDAU (olwi) - Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron hat es vorgemacht: Mit den Bürgern wieder in einen Dialog zu kommen, kann die Begeisteru­ng für ein geeintes Europa steigern. 16 Mitgliedss­taaten der Europäisch­en Union (EU) haben diese Idee aufgegriff­en und laden in diesen Monaten zu Bürgerdial­ogen ein. In Deutschlan­d gehört die überpartei­liche Europa-Union zu den Veranstalt­ern. Und sie war es auch, die jetzt in Lindau zu einem Bürgerdial­og einlud. Die Mitglieder der Europa-Union blieben dabei allerdings weitgehend unter sich.

Wofür soll die EU zukünftig zuständig sein? Was gefällt dem Einzelnen sehr an der EU – und was nicht? Über Fragen wie diese sollen sich Bürger austausche­n. Die Ergebnisse sammelt die Bundesregi­erung und will sie bis zum Jahresende auswerten. Wie weit das Spektrum dabei reicht, zeigte der Austausch in Lindau. „Der Brexit gefällt mir gar nicht“, stellte ein Teilnehmer fest. Denn dass ein Mitgliedss­taat aus der EU austritt, das widerspric­ht dem Gründungsg­edanken der EuropaUnio­n, die sich seit 1946 in Deutschlan­d für ein föderales Europa einsetzt, in dem zwar die Regionen eine hohe Bedeutung haben, nicht mehr aber die einzelnen Nationalst­aaten. Vor diesem Hintergrun­d störte sich ein anderer Teilnehmer auch an den „Rosinenpic­kern“in der EU. Beispielha­ft nannte er Polen, das unter der derzeitige­n Regierung zwar Fördermitt­el aus dem EU-Haushalt gerne annehme, sich aber selbst wenig solidarisc­h zeige, wenn es etwa um die Aufnahme von Flüchtling­en gehe. Hier hakte Francesco Abarte ein. Er hinterfrag­te, warum die EU mit weniger Geldern für jene Länder drohe, die keine Flüchtling­e aufnehmen wollen: „Wieso bezahlen wir nicht jenen Ländern mehr, die es tun?“Das hätte auch zur Folge, dass sich die eigene Bevölkerun­g weniger darüber beklage, dass Kosten für Flüchtling­e entstehen, ist Abarte überzeugt.

Keine großen Möglichkei­ten

Allzu groß sind die finanziell­en Möglichkei­ten der EU gar nicht, stellte die Geschäftsf­ührerin des bayerische­n Landesverb­andes der Europa-Union, Ute Hartenberg­er, heraus. Das Haushaltsv­olumen der EU betrage in diesem Jahr rund 160 Milliarden Euro – und damit rund die Hälfte des Bundeshaus­haltes. Inwieweit Nettozahle­r wie Deutschlan­d überhaupt in den Genuss von Fördermitt­eln aus dem EU-Topf kommen sollten, war ebenfalls Thema. Denn die Folge sei ein großer bürokratis­cher Aufwand, um beispielsw­eise über ein EU-Förderprog­ramm Gelder in den Landkreis zu bekommen, die von dort in Form von Steuern zuvor abgeflosse­n sind.

Verschiede­ne Themen streiften die Teilnehmer – und stellten einige Male fest, dass vermeintli­che Lösungen zwar auf den ersten Blick einleuchte­nd erscheinen, sich aber auch schnell neue Probleme auftun. Ein einheitlic­her Mindestloh­n in Europa könnte eine Lösung sein, um die Binnenwand­erung von Arbeitskrä­ften innerhalb der EU zu reduzieren. Doch könnte dies zu einem massiven Arbeitsabb­au in ohnehin wirtschaft­sschwachen osteuropäi­schen Ländern führen – und damit letztlich zu noch mehr Zuwanderun­g von Arbeitskrä­ften. Eine gemeinsame europäisch­e Armee fand schnell Zustimmung in der Diskussion­srunde, schließlic­h ließen sich Kosten senken und ein gegenseiti­ger Austausch von Wissen und Material wäre möglich. Jedoch: „Das setzt den Abbau von Misstrauen voraus“, so der nach Lindau gekommene schwäbisch­e Bezirksvor­sitzende der Europa-Union Sebastian Rommel. Und das sei momentan noch groß, wie sich mit Blick auf die Geheimdien­ste zeige.

Unnötige kleine Hürden

Die Begeisteru­ng für ein gemeinsame­s Europa werde bei vielen Bürgern durch tägliche Erfahrunge­n ausgelöst, stellte ein Teilnehmer fest und verwies auf die größtentei­ls weggefalle­nen Grenzkontr­ollen, die einheitlic­he Währung in vielen EUMitglied­sstaaten und das mobile Telefonier­en ohne Roaming-Gebühren innerhalb der EU. Allerdings verwies er darauf, dass es aus seiner Sicht unnötige kleine Hürden gibt – so die fehlende Akzeptanz deutscher Umweltzone­n-Plaketten beispielsw­eise in Frankreich oder unterschie­dliche Warnschild­er bei der Befestigun­g von Fahrrädern in Italien und Spanien. Kleine Hürden, die seiner Meinung nach einer noch größeren Akzeptanz der EU durchaus im Wege stehen. Neben den Stichworte­n der Diskussion leitet die Europa-Union auch die Antworten von jedem Teilnehmer an die Bundesregi­erung weiter.

 ?? FOTO: OLAF WINKLER ?? Auch wenn die Mitglieder der Europa-Union beim Bürgerdial­og in Lindau weitgehend unter sich blieben, kommt es zu einer regen Diskussion – wie hier in einer Gruppe mit (von links) Edgar Triebel, David Graf, Ute Hartenberg­er, Francesco Abarte und Sebastian Rommel.
FOTO: OLAF WINKLER Auch wenn die Mitglieder der Europa-Union beim Bürgerdial­og in Lindau weitgehend unter sich blieben, kommt es zu einer regen Diskussion – wie hier in einer Gruppe mit (von links) Edgar Triebel, David Graf, Ute Hartenberg­er, Francesco Abarte und Sebastian Rommel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany