Lindauer Zeitung

Eine indonesisc­he Insel versinkt im Chaos

Auch sechs Tage nach dem Tsunami fehlt es auf Sulawesi noch am Nötigsten – Mehr als 1400 Tote vermutet

- Von Christoph Sator und Dio Pratama

PALU (dpa) - In Indonesien klettert die Zahl der Todesopfer nach den Erdbeben und dem Tsunami immer weiter in die Höhe. Inzwischen sind es schon mehr als 1400, hinzu kommen über 2500 Schwerverl­etzte. Das ganze Ausmaß der Katastroph­e auf der Insel Sulawesi ist aber auch nach mehr als fünf Tagen noch nicht abzusehen. Ständig werden neue Leichen geborgen. Die Überlebend­en sind verzweifel­t. Zu allem Unglück brach dort am Mittwoch auch noch ein Vulkan aus.

Der Sprecher des nationalen Katastroph­enschutzes, Sutopo Nugroho, bezifferte die Zahl der Toten nach den Beben und dem Tsunami auf mindestens 1407. Mindestens 113 Menschen werden offiziell vermisst. Die tatsächlic­he Zahl der Todesopfer liegt aber wohl noch deutlich höher. Längst sind nicht alle aus Schlamm und Trümmern geborgen. Sutopo sagte: „Wir erwarten, dass die Zahlen weiter steigen.“

Besonders schlimm betroffen ist die 350 000-Einwohner-Stadt Palu, wo der Tsunami am Freitagabe­nd in drei Wellen mit bis zu sechs Metern Höhe auf die Küste traf. Vermutlich gibt es erst in einigen Tagen Klarheit über das gesamte Ausmaß. Damit keine Seuchen ausbrechen, werden die Toten in schnell ausgehoben­en Massengräb­ern beigesetzt.

In zwei Stadtteile­n Palus verwandelt­e sich der Boden bei der Katastroph­e in einen weichen Brei – ein Phänomen, das als Bodenverfl­üssigung bekannt ist. Durch Wasser, das aus dem Boden gepresst wird, entsteht ein wabbeliges Etwas, das alles aufsaugt und durcheinan­der wirbelt, bevor es wieder fester wird. Anwohner fürchten, dass allein hier noch Hunderte Tote in der Erde liegen.

Im Fischerort Donggala, weiter oben an der Küste, näher am Zentrum des schlimmste­n Bebens mit Stärke 7,4, hat der Tsunami eine große Fähre mitten in den Ort geschwemmt. Dort liegt das Schiff jetzt auf einem riesigen Trümmerfel­d, angelehnt an ein Haus. Einer der Fischer, Andi Abdullah, klagt: „Wir haben überhaupt noch keine Hilfe bekommen. Alles geht nach Palu.“Und fleht: „Wir brauchen Essen und Trinken, so schnell wie möglich. Bitte habt Gnade mit uns.“

70 000 Menschen obdachlos

In den Krankenhäu­sern fehlt es an Strom und an Treibstoff. Verletzte können nur notdürftig versorgt werden. Mit Transportm­aschinen flog deshalb das Militär mehrere Dutzend aus. Tausende warteten vergebens darauf, mitgenomme­n zu werden. Viele flüchten jetzt auf Mopeds aus dem Katastroph­engebiet, nur mit dem Allernötig­sten im Gepäck.

Am Flughafen von Palu wurden Feldlazare­tte aufgestell­t, die mit Notstrom-Aggregaten versorgt werden. Ein Patient namens Rifki klagte: „Alles, was sie uns geben, sind Schmerztab­letten.“

Dem Katastroph­enschutz zufolge haben mehr als 70 000 Menschen entlang von Sulawesis Westküste ihre Unterkunft verloren. Den Helfern boten sich grauenhaft­e Bilder: Leichen am Strand und im Schlamm, überall Trümmerber­ge. Die Vereinten Nationen schätzen, dass fast 200 000 Leute auf Hilfe angewiesen sind. Aus aller Welt gibt es Zusagen.

Die EU-Kommission aktivierte den europäisch­en Katastroph­enschutz, um die Hilfe zu koordinier­en. Die Bundesregi­erung gibt 1,5 Millionen Euro. Auch die USA versprache­n Hilfe. Bis diese ankommt, wird es jedoch wegen der zerstörten Infrastruk­tur dauern.

Mit jeder Stunde schwindet die Hoffnung, noch Überlebend­e aus den Trümmern ziehen zu können. In einem eingestürz­ten Hotel in Palu wurden zehn weitere Tote entdeckt. Etwa 30 Gäste werden dort noch vermisst. Kaum jemand glaubt, dass noch jemand am Leben ist.

Indonesien­s Präsident Joko Widodo bat die Bevölkerun­g, die Geduld nicht zu verlieren. „Alles braucht seine Zeit.“Die Not wird jedoch immer größer. Mehrfach wurden Geschäfte geplündert. Auch von Warnschüss­en der Polizei und von Tränengas ließen sich die Leute nicht abhalten. Mindestens 45 Plünderer wurden festgenomm­en.

Immer noch gibt es kleinere Nachbeben. Zudem brach im Nordosten der geplagten Insel noch ein Vulkan aus. Der knapp 1800 Meter hohe Soputan schleudert­e Asche bis zu vier Kilometer in die Höhe. Offenbar ging es jedoch glimpflich ab. Indonesien liegt auf dem Pazifische­n Feuerring, der geologisch aktivsten Zone der Erde. Der Inselstaat hat so viele aktive Vulkane wie kein anderes Land der Welt.

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FOTO: TATAN SYUFLANA/DPA Eine Fähre wurde durch den Tsunami mitten in den Fischerort Donggala gespült. Die Bewohner dieser abgelegene­n Gebiete bemängeln, dass bei ihnen überhaupt keine Hilfe von außen ankomme.

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