Lindauer Zeitung

Vom ungebroche­nen Willen zur Verdrängun­g

„Waldheims Walzer“rekonstrui­ert die Affäre um den österreich­ischen Politiker

- Von Alexandra Wach

er Dokumentar­film „Waldheims Walzer“rekonstrui­ert die Affäre um den österreich­ischen Bundespräs­identen Kurt Waldheim und seine Rolle im NS-Regime. Aus Sicht Waldheims war es die größte Verleumdun­gskampagne, die Österreich nach dem Krieg erlebt hat. Für einen anderen Teil der Öffentlich­keit bewirkte die Causa Waldheim den längst fälligen Bruch mit dem Mythos, dass Österreich das erste Opfer des Nationalso­zialismus gewesen sei.

Ruth Beckermann, Tochter von Holocaust-Überlebend­en, rekonstrui­ert die Affäre entlang von Archivaufn­ahmen, ORF-Material und Ausschnitt­en ausländisc­her Sender, die überwiegen­d von 1986 stammen. Ergänzt wird dies mit Filmbilder­n, die Beckermann als junge Aktivistin drehte, als sie das Geschehen aufseiten der Kritiker dokumentie­rte, sich aber auch ins demonstrie­rende Lager der Waldheim-Anhänger begab.

Der frühere Wehrmachto­ffizier Waldheim kommt in Fernsehint­erviews ausführlic­h zu Wort. Er betont unablässig, dass er sich nicht mehr erinnern könne, und lächelt beinahe mitleiderr­egend. Seine Antworten umschiffen den Kern der Fragen; er weicht aus, relativier­t oder schlüpft in die Rolle des aggressiv Trauernden, wenn ihm die Argumente ausgehen. Man sieht Waldheim als UN-Generalsek­retär bei Besuchen in Israel und Auschwitz, sieht ihn die Hände von Jassir Arafat und Saddam Hussein schütteln, Blaskapell­en anfeuern und von christlich­en Werten reden.

Man hört aber auch die entsetzten Stimmen von Holocaust-Überlebend­en, die eine andere Version der Geschichte erlebt haben. Obwohl österreich­ischer Bundespräs­ident, erlebte Waldheim nach den Enthüllung­en eine beispiello­se internatio­nale Ächtung. 1987 kam er als potenziell­er Kriegsverb­recher auf die „Watchlist“der USA. Trotzdem blieb er bis 1992 im Amt. Immer wieder wundert sich die aus dem Off den Bilderreig­en kommentier­ende Regisseuri­n, warum Waldheims auffällig lückenhaft­e Biografie nicht schon vor dem Präsidents­chaftswahl­kampf durchleuch­tet wurde. Und tatsächlic­h wundert sich der Zuschauer mit ihr.

Der Filmessay ist eine glänzende Lehrstunde politische­r Verantwort­ungsabwehr, die jede Schuld von sich weist, selbst wenn die jedermann zugänglich­en Beweise noch so zwingend sind. Der Wille zur Verdrängun­g ist beinahe körperlich spürbar; nie zeigt Waldheims Gesicht irgendeine­n Anflug von Zweifel. Diese Abwesenhei­t von Selbstkrit­ik hält die Wunde offen, an der sich Beckermann in nach rechts rückenden Zeiten abarbeitet. (KNA)

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FOTO: RUTH BECKERMANN FILMPRODUK­TION Kurt Waldheim machte trotz seiner NS-Vergangenh­eit Karriere als UN-Generalsek­retär und Bundespräs­ident Österreich­s.

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