Lindauer Zeitung

Ein Weltstar in der Kleinstadt

Der US-amerikanis­che Künstler Frank Stella in der Stadtgaler­ie Tuttlingen

- Von Dieter Kleibauer

TUTTLINGEN - Sein Name steht in einer Reihe der großen amerikanis­chen Künstler wie Warhol, Rothko, Johns oder Rauschenbe­rg: Frank Stella stellt von heute an Werke in der Galerie der Stadt Tuttlingen aus. Ein Weltstar in einer deutschen Kleinstadt.

Der Künstler ist noch draußen, eine rauchen. Dann kommt er – Basecap, Karohemd, staubige Schuhe – unscheinba­r, klein, mit müden Augen, der Jetlag, das Alter. Erst gestern ist er mit Frau und Assistenti­n in Zürich gelandet und mit dem Zug nach Tuttlingen gefahren, hat vom IC aus den Rheinfall in Schaffhaus­en bewundert. Und nun steht Frank Stella hier: 82 Jahre alt, Maler, Bildhauer, Objektküns­tler. Und eine Legende der Moderne. Einer, dessen Karriere um 1960 begonnen hat und der noch immer, wenngleich reduziert, tätig ist. Er steht da gebeugt, ein leichtes Zittern in den Händen, wenn er seine Coca-Cola trinkt.

Bereits zum zweiten Mal stellt er Werke in der Donaustadt aus. Wie verschlägt es einen aus New York in die schwäbisch­e Provinz? Galerielei­terin Anna-Maria Ehrmann-Schindlbec­k kennt ihn privat aus Berufsjahr­en in den Staaten und aus ihrer Zeit als Kuratorin der Jenoptik-Stiftung in Jena. Vor sieben Jahren zeigte sie Plastiken von Stella, großformat­ige, wilde Werke in Tuttlingen, wo sie fast die Galerie sprengten.

Im Dialog mit anderen

Jetzt geht es konvention­eller zu: Großformat­ige Bilder hängen in schlichten Rahmen an den Wänden. „Abstract Narration“lautet der Titel, ein scheinbare­r Gegensatz. Es handelt sich um Serien, Auseinande­rsetzungen mit dem Werk anderer Künstler, mit Hermann Melvilles Roman „Moby Dick“etwa, mit Italo Calvinos Sammlung italienisc­her Märchen, Darstellun­gen imaginärer Orte.

Im Mittelpunk­t steht eine Serie, mit der sich Stella mit dem russischen Wegbereite­r der Moderne, dem Konstrukti­visten El Lissitzkij, auseinande­rgesetzt hat. Stella hat vor Jahren eine Edition der Graphikser­ie Lissitzkij­s über das jüdische Pessach-Lied „Had Gadya“erworben, eine Art „Der Herr, der schickt den Jockel aus“mit religiösem Überbau. Stella hat diesen Korpus anfangs der 80er-Jahre geschaffen. Die Bilder jetzt an den Wänden in der Tuttlinger Stadtgaler­ie zu sehen, ist für ihn wie ein „Blick in den Spiegel“, sagt er mit einem Zwinkern. Und er findet sie „nicht so schlecht.“

Wenn er sein Schaffen heute eingeschrä­nkt hat, dann liegt das daran, dass es harte Arbeit für einen alten Mann ist. Hinter jedem Werk steckt ein langer Prozess; auf den ersten Blick offenbaren die Bilder die vielen Arbeitssch­ritte nicht. Zum Beispiel „Juam“: 112 (!) Druckvorgä­nge, 144 verwendete Farben, zwei Jahre Entstehung­szeit, unterschie­dliche Techniken wie Druckeleme­nte aus Aluminium, dazu gegossenes Metall, Lithografi­e, Siebdruck, Metallstic­h, Aquatinta, Radierung, Prägedruck. Etwas vergessen? Ach ja: Holzschnit­t, alles auf 202 mal 156 Zentimeter­n.

Stella arbeitet wie ein Staubsauge­r, er nimmt alles auf, Literatur (unter anderem verehrt er Heinrich von Kleist und die deutsche Romantik), bildende Kunst, Komponiste­n, kunsthandw­erkliche Traditione­n, Zeitgeschi­chte, sogar Sport. Als er 1991 an der „Moby-Dick“-Serie arbeitet, fällt ihm zufällig ein Buch mit chinesisch­en Gittermust­ern in die Hände – und fügt solche Muster gleich in sein Oeuvre ein. Dass Tuttlingen am europäisch­en Fluss Donau liegt, der Rhein aber auch nicht weit weg liegt, interessie­rt ihn auch. In welche Richtung fließt die Donau, will er wissen; er wohnt in einem soliden Hotel zwischen Fluss und Galerie, „nothing fancy“, mehr fordert er nicht, sagt die Galerielei­terin.

Für die Stadt Tuttlingen und AnnaMaria Ehrmann-Schindlbec­k ist eine Ausstellun­g mit Frank Stella – sie ist exklusiv zu sehen – ein großer Wurf. Die Kosten liegen im fünfstelli­gen Bereich; vor allem durch die hohen Versicheru­ngssummen und die Transportk­osten für die Werke, die eigens für diese Ausstellun­g aus den USA eingefloge­n sind. Ein paar spendable Sponsoren aus der Tuttlinger und auswärtige­n Wirtschaft haben die Werkschau möglich gemacht, unterstrei­cht die in der Szene gut vernetzte Anna-Maria Ehrmann-Schindlbec­k – allein aus dem 50 000-Euro-Etat der Galerie könnte sie solche Veranstalt­ungen nicht finanziere­n.

Die Stella-Ausstellun­g 2011 haben seinerzeit etwa 3500 Besucherin­nen und Besucher gesehen. Und wie damals gilt auch diesmal das Prinzip wie bei allen Ausstellun­gen in der Stadtgaler­ie: Eintritt frei.

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FOTO: STADTGALER­IE „Bene Come il Sale“nennt Frank Stella diese Arbeit.
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FOTO: KLEIBAUER Der Künstler Frank Stella mit der Galerielei­terin Anna-Maria Ehrmann-Schindlbec­k

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