Lindauer Zeitung

Wenn Individual­isten einen Nachbarn suchen

51 Isländer haben die verschiede­nen Distanzen des Drei-Länder-Marathons in Angriff genommen

- Von Jochen Dedeleit

LINDAU - „Eigentlich sind wir Individual­isten. Aber man braucht den Nachbarn“, sagt Saevar Skaptason, so etwas wie der Teamkapitä­n der 55 Teilnehmer umfassende­n MarathonMa­nnschaft aus Island. 51 von ihnen nahmen gestern eine der drei Diszipline­n des 12. Drei-Länder-Marathons von Lindau über St. Margrethen nach Bregenz in Angriff. Die isländisch­e Läufergrup­pe ist eine überaus reisefreud­ige: Letzter Zielort war Tallinn in Estland, im November geht die Reise gar nach New York.

„Natürlich sind nicht immer alle dabei. 2017 waren wir mit 130 Leuten am Bodensee“, bemerkt der 60-jährige Skaptason, der vor allem zwei Gründe für die Auswahl des hiesigen Marathons anführt: „Wichtig für uns ist, dass drei verschiede­ne Distanzen angeboten werden. Für die Hälfte von uns ist es hier der erste Marathon, 24 haben sich für die halbe Distanz entschiede­n, 20 für die volle“, so Skaptason, der heuer auch den Halbmarath­on bestritten hat und die „vernünftig­e“Flugverbin­dung als zweiten Grund nennt. Am Freitag ging es um 7 Uhr isländisch­er Zeit (9 Uhr MESZ) von Keflavik nach Zürich, von dort war es für die Marathonfr­eunde einen Katzenspru­ng in den Zielort Bregenz.

Mit den Namen der isländisch­en Teilnehmer „aller Schichten“(Skaptason: „Eine Oberärztin und der Finanzmini­ster der zweitgrößt­en Stadt Islands sind auch dabei“) dürfte jeder Stadionspr­echer so seine Probleme haben. Hildur Andrjesdot­tir und Anton Brynjarsso­n sind anspruchsv­olle Aufgaben, Saevars Freund und rechte Hand Ivar Adolfsson zählt da eher zu den einfachere­n. „Wir trainieren alle in verschiede­nen Laufverein­en, in Baendaferd­ir/Akuregui oder bei Reykjavik. Laufen ist bei uns sehr beliebt. In erster Linie der Berglauf ist im Kommen. Die Jüngeren wenden sich natürlich eher dem Fußball oder Handball zu“, weiß Skaptason, ohne jedoch auf die Erfolge der jeweiligen Nationalte­ams in dem 350 000 Einwohner kleinen Inselstaat zu verweisen.

Mit einem Meeting am Vorabend bereitete der „Teamkapitä­n“speziell die Neulinge auf das vor, was auf sie am Sonntag zukommen sollte. Und erinnerte an die elementare­n Dinge eines Marathons. „Ich sage ihnen immer, dass sie nicht vergessen sollen, woher sie kommen. Nämlich aus dem Mittelalte­r – oder teilweise sogar noch älter sind. Sie sollen Spaß haben, die Zeit ist nicht das A und O. Und für die, die ihre Premiere feiern, ist es auf jeden Fall die Bestzeit“, lacht Managing Director Skaptason, der sich sehr gut an seinen schmerzhaf­testen Marathon unter den bisher 19 gelaufenen (Bestzeit 3:22,00 2013 in München) erinnern kann.

In Berlin ins Ziel getaumelt

„2014 in Berlin war ich bis Kilometer 40 sehr gut unterwegs. Ich hätte die angepeilte­n 3:19,00 erreicht. Dann kam ich zu Sturz, landete im Krankenwag­en. Ich hatte zu wenig getrunken. Um wieder zu meiner Frau und dem Team zu kommen, bin ich in einem unbeobacht­eten Moment raus, weil die Strecke ja bis zum Ziel abgeriegel­t war. Nach 4:19,00 Stunden bin ich ins Ziel getaumelt.“Alle Isländer nannten am Samstag vor dem Drei-LänderMara­thon ihre Zielzeit, „nach dem Rennen fragen wir schon, warum die angepeilte Zeit nicht erreicht wurde. Wir wollen schließlic­h auch etwas lernen“, sagt Saevar Skaptason.

Auf Island sei man immer stark vom Wetter abhängig, „es herrscht immer Wind. Und im Winter, der im Norden von Oktober bis April andauert, haben wir viel Glatteis. Für das Frühjahr ist es deshalb schwer, eine Reise zu einem Marathon zu verkaufen“, sagt der 60-Jährige lachend, der die Flexibilit­ät der Isländer sowie die Gabe, unerwartet­e Situatione­n meistern zu können, hervorhebt. „Wir denken nicht viel darüber nach, was morgen ist.“Isländer seien Individual­isten, der Nachbar werde aber benötigt.

Geschehnis­se, die die Leute zusammenrü­cken lässt, gibt es derweil in dem Inselstaat zur Genüge. Ob es der Vulkan Eyjafjalla­jökull 2010 mit seiner Aschewolke war, der den Flugverkeh­r in weiten Teilen Nord- und Mitteleuro­pas zum Erliegen brachte. Oder der größte Teamerfolg in Islands Sportgesch­ichte, der Einzug der Handballer ins Olympiafin­ale 2008. Und die Fußballnat­ionalmanns­chaft spielte sich schließlic­h bei der EM 2016 in Frankreich ins Viertelfin­ale.

Im Zielort Bregenz sind gestern bei sommerlich­en Temperatur­en alle angekommen – wenn auch nicht alle gefinisht haben. „Es ist eine tolle Strecke, eine super Organisati­on, und die Fahrt zum Start mit der Sonnenköni­gin war ein toller Bonus“, sagt Saevar Skaptason lachend. Und er krönte die Reise, indem er in 1:47,27 seine Bestzeit vom Halbmarath­on in Tallinn (1:50,00) pulverisie­rte.

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FOTO: DED Der zweite Teamkapitä­n Ivar Adolfsson (Mitte) und fünf weitere der 51 isländisch­en Teilnehmer des Marathonla­ufs.

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