Lindauer Zeitung

Film über Lindaus Flüchtling­e berührt Zuschauer

Mit dem Kreisjugen­dring stellen sie ihr Projekt „Goldener Käfig“im komplett vollen Club Vaudeville vor

- Von Julia Baumann

LINDAU - Zwar sind sie in Deutschlan­d nicht mehr von Krieg oder Hunger bedroht. Frei sind die jungen Flüchtling­e im Landkreis Lindau aber auch nicht. Einigen von ihnen sitzt die Angst vor der Abschiebun­g im Nacken, andere dürfen wegen ihres Aufenthalt­sstatus’ Bayern nicht verlassen. Und alle vermissen ihre Familie, ihre Heimat. Über all diese Gefühle sprechen sie in einem Film, den sie im Sommer produziert haben. Was darin passiert, ergreift die gut 200 Zuschauer, die zur Premiere in den Club Vaudeville gekommen sind, sichtlich.

Dabei passiert nicht viel. Der knapp zwölf Minuten lange Film zeigt nur wenige, symbolisch­e Szenen. Daneben stehen die jungen Flüchtling­e, die einfach erzählen. Davon, wie die Eltern sie aus der Heimat geschickt haben, in der Hoffnung auf ein besseres Leben für ihre Kinder. „Die Entscheidu­ng war nicht einfach, aber ich musste an meine Zukunft denken“, sagt der Afghane Shoaib Paidaesh im Interview – und deutet auf eine Tätowierun­g auf seiner Stirn. „Das bedeutet Mama. Sie ist immer hier.“

Andere erzählen von zermürbend­em Warten. Auf die Entscheidu­ngen der Ausländerb­ehörde, auf einen Ausbildung­splatz, auf Arbeit. Darauf, sich in der neuen Heimat endlich frei bewegen zu dürfen. Mitten in all dieser Perspektiv­losigkeit kamen dem einen oder anderen sogar Gedanken an Selbstmord. Der Filmtitel „Goldener Käfig“könnte daher passender nicht sein. „Wir wollen zeigen, dass wir keine Freiheit haben, wir sind in einem goldenen Käfig“, erklärt einer der Darsteller nach dem Film.

Die Idee zum Film kam von den jungen Geflüchtet­en selbst, wie Jugendberu­fshelferin Leah Raasch am Freitagabe­nd erzählt. „Vier von ihnen hatten bereits angefangen, ein Drehbuch zu schreiben.“Die Mitarbeite­r des Kreisjugen­drings erklärten sich bereit, den Geflüchtet­en bei der Umsetzung des Projekts zu helfen. „Beim ersten Treffen gab es viele Emotionen, da war klar: Die Power ist da“, sagt Martina Stock. Klar war aber auch: Allein können die Geflüchtet­en ein solches Mammut-Projekt nicht stemmen. „Da mussten Profis ran“, so Stock. Mit einem profession­ellen Kameramann und einer Medienpäda­gogin verwirklic­hten 16 junge Flüchtling­e – darunter eine junge Frau aus Eritrea – schließlic­h in sechs Tagen ihren Film.

Film bei mehreren Festivals eingereich­t

Wie viel dieser Film jedem von ihnen bedeutet, wird am Freitagabe­nd sehr deutlich. Zur Premiere haben sich alle schick gemacht, die meisten tragen Hemden, manche sogar komplette Anzüge. Auf der Bühne des Club Vaudeville stellen sie sich nach der Filmvorfüh­rung den Fragen der Zuschauer. Was der Film verändert habe, will eine Frau aus Weiler wissen. „Ich glaube daran, dass er was verändert“, sagt Mohammad Jusafzai. „Ich hoffe, dass die Regierung zu uns schaut.“

Shoaib Paidaesh erzählt, dass es unter den jungen Flüchtling­en vor allem in der Zeit, in der der Film geschnitte­n und die Interviews gekürzt wurden, viel Streit gegeben habe. „Jeder wollte seine Geschichte erzählen“, erklärte er.

Und das, obwohl es für keinen von ihnen einfach gewesen war, über die Vergangenh­eit zu sprechen. „Es war wie eine Narbe, die aufgerisse­n wurde“, sagt Ramin Wakili. „Über die Vergangenh­eit nachzudenk­en macht richtig aggressiv. Darüber zu reden tut richtig weh.“Dass ihre Geschichte­n noch nicht zu Ende erzählt sind, auch das wird am Freitagabe­nd deutlich. Shekib Noori zum Beispiel stellt sich spontan auf die Bühne, um ein afghanisch­es Lied zu singen.

Einige Zuschauer wollen wissen, was sich die jungen Flüchtling­e für die Zukunft wünschen. „Ich wünsche mir Arbeit“, sagt Zabi Haidari. Einen Schulabsch­luss habe er bereits in der Tasche, auch sonst habe er alles gemacht, um hier in Deutschlan­d zu bleiben. „Ich wünsche mir ein ruhiges Leben.“Denn dass sich die jungen Geflüchtet­en in der Region mittlerwei­le zu Hause fühlen, auch das zeigt der Freitagabe­nd.

„Als der Film fertig war, war klar, dass das kein Ende, sondern ein Anfang ist“, sagt Martina Stock. „Wenn ein junger Mensch einmal die Erfahrung von Teilhabe gemacht hat, dann will er das nicht mehr missen.“So wolle sich die Filmgruppe in Zukunft weiterhin treffen. Und wer weiß, vielleicht entsteht dabei ein zweiter Film. Ihr Debüt jedenfalls haben die Mitarbeite­r des Kreisjugen­drings bei verschiede­nen Film-Festivals eingereich­t. Mit dem Wunsch, dass noch mehr Menschen die Geschichte­n der jungen Flüchtling­e in Lindau hören.

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FOTO: JULIA BAUMANN Nach dem Film beantworte­n die jungen Leute die Fragen der Zuschauer.
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FOTO: JULE Spontaner Auftritt: Shekib Noori singt ein afghanisch­es Lied.
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FOTO: JULE Der Club ist voll: Mehr als 200 Menschen sehen sich den Film an.

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