Lindauer Zeitung

Wo aus Abwasser wieder sauberes Wasser entsteht

In der Kläranlage Isny beseitigt der WAV Untere Argen in vier Reinigungs­schritten den Flüssigsch­mutz der Zivilisati­on

- Von Michael Kroha

ISNY - Enten planschen auf der Ach, die durch die Allgäustad­t Isny fließt. Weil es regnet, strömt das Flüsschen schneller an den Grashalmen vorbei. Sie verbiegen sich. Der Weg über die Holzbrücke führt auf eine Wiese zwischen der Ach und der Durchfahrt­straße. Sie ist gemäht und hat vielleicht die Größe eines halben Fußballfel­des. In ihrem Süden liegt der städtische Bauhof, im Osten Isny, im Norden steht ein Schuppen. Statt Maulwurfsh­ügeln ragen rechteckig­e Asphaltgeb­ilde aus dem Grün hervor. Die meisten davon haben einen Metalldeck­el, wenige ein Metallgitt­er.

„Vorsicht, unten ist es schmierig“, sagt Ulrich Schneider, Abwasserme­ister des Wasserund Abwasserve­rbands (WAV) Untere Argen. „Das ist mit unser wichtigste­s RÜB“, fügt er an. RÜB steht für Regenüberl­aufbecken; sieben davon gibt es im WAV rund um Isny und die bayerische Nachbargem­einde Weitnau. Die Regenüberl­aufbecken schlucken Abwasser, das nicht mehr in das 200 Kilometer lange Kanalnetz passt. Sollte es mal viel regnen und mehr als 98 Liter pro Sekunde durch die Leitung schießen, füllt sich nach und nach das Becken. Alles genau berechnet, von Computern gesteuert, die von der Kläranlage aus bedient werden.

Schneiders Kollege Robert Metzler zieht mit beiden Händen und einem handgroßen Metallstif­t an einem dieser Metalldeck­el. Um den Hals trägt er ein gelb-schwarzes Messgerät. Es misst unter anderem den Anteil von Schwefeldi­oxid in der Luft, einem giftigen Gas, entstanden aus dem Abwasser. Der Metalldeck­el geht auf. Es öffnet sich ein schwarzes Loch, eine Treppe führt nach unten. Einmalhand­schuhe sollen die Hände vor dem Dreck am Geländer schützen.

Es riecht nach altem Keller

18 Stufen tiefer ist der Boden schmierig braun. Es riecht nach altem Keller: modrig, feucht, aber es ist kein übler Gestank. Wenige Meter unterhalb der Wiese tut sich ein verborgene­r Ort auf: ein riesiger Betonraum, vergleichb­ar mit einem 25-MeterSchwi­mmbecken. Hinten ist der Boden niedriger als vorne, damit das Wasser Richtung Kanal abfließen kann.

Insgesamt passen 1300 Kubikmeter in das Becken, 1,3 Millionen Liter – das entspricht rund 11 000 Badewannen. An der Decke hängen LEDLampen, wirklich hell ist es unter Tage aber nicht. Menschen sind hier auch recht selten. An den Wänden klebt schwarzer Dreck: wieder getrocknet­e Papierfetz­en, natürlich auch Klopapier und in Resten vermutlich auch alles andere, was die Menschen in Isny in den Abguss kippen oder in die Toilette werfen. „Die Müllentsor­gung über den Kanal hat zugenommen“, stellt Schneider fest. Auch Speiserest­e finden den Weg in die Kanalisati­on. Zur Freude der Ratten, gegen die inzwischen auch mit Giftködern vorgegange­n wird. Vor allem aber machen feuchtes Toilettenp­apier und andere Hygieneart­ikel Probleme, denn diese Produkte zersetzen sich nicht und müssen aufwendig entfernt werden.

Sind die Überlaufbe­cken voll, fließt das Wasser über einen Kanal in die Ach nebenan – vorbei an mehreren Metallstäb­en, die den gröbsten Müll abfischen. Die Enten planschen trotzdem vor den Stäben. Und Gras wächst auch. Aufgrund des vielen Regens hierzuland­e sei das Abwasser so stark verdünnt, dass es keine Gefahr für die Umwelt darstelle, erklärt Schneider. Aktuell fließen knapp 93 Liter pro Sekunde durch das 90 Zentimeter breite Rohr neben dem Regenüberl­aufbecken. Bei „Trockenwet­ter“, also wenn es nicht regnet, seien es gerade mal zehn Liter pro Sekunde, erzählt der Klärmeiste­r.

Allerdings sind die Rohre auch nicht überall gleich dick. Der Durchmesse­r und auch das Material hängen vor allem von der Funktion der Leitungen ab. Nach einer Pumpe, die das Wasser beschleuni­gen muss, um es von A nach B zu bekommen, weil es zum Beispiel kein Gefälle in der Leitung gibt, werden im Normalfall Kunststoff­rohre mit einem kleineren Durchmesse­r verwendet.

Der Sand ist ein Problem

Später in der Kläranlage, wo das Wasser mit sehr viel Druck durch die Rohre schießt, kommt es außerdem darauf an, ob das Wasser geradeaus fließt oder nicht. Macht der Kanal eine Kurve, können kleine Sandteilch­en, die sich noch im Wasser befinden, am Betonrohr reiben wie Schleifpap­ier. Das Rohr muss deshalb in der Krümmung dicker sein. Diesem Problem versucht man auch mit einem Sandfilter zu Beginn der Klärung entgegenzu­wirken.

Der Wasserverb­rauch, erklärt Schneider, habe in Isny insgesamt abgenommen. Waren es vor 30 Jahren noch zwischen 140 bis 150 Liter pro Einwohner und Tag, sind es heute nur noch 110 Liter. Das liege an sparsamere­n technische­n Geräten wie Wasch- und Spülmaschi­ne, aber auch am veränderte­n Bewusstsei­n der Menschen. „Das Wasser ist teurer geworden“, sagt Schneider. „Aber man denkt auch mehr an die Umwelt.“

Am sogenannte­n Stollenpor­tal laufen fast alle Abwasserle­itungen zusammen, bevor die gesamten Wassermass­en Richtung Kläranlage strömen. Das Rohr hat dann einen Durchmesse­r von rund 2,5 Metern. Bei „Vollgasreg­en“können so 365 Liter pro Sekunde zur Kläranlage durchjagen. Kommt mehr bei der Anlage an, fließt das überschüss­ige Abwasser in zwei Regenbecke­n. Sollten sogar mehr als 10 000 Liter pro Sekunde ankommen, gibt es kein Halten mehr und das Wasser schießt ähnlich wie beim Überlaufbe­cken am Bauhof direkt in den nächstgele­genen Fluss, die Untere Argen. „Aber das kommt vielleicht zweimal im Jahr vor“, sagt Schneider: „Doch das ist dann auch so viel, das kannst du nicht mehr bewerkstel­ligen.“

Abgesehen von solchen Ausnahmesi­tuationen, sehen sich der Abwasserme­ister und sein sechsköpfi­ges Team mit der Kanalisati­on und der dazugehöri­gen Kläranlage des WAV gut aufgestell­t. „Wir sind in manchen Dingen sogar Vorreiter“, sagt Schneider. Für Gemeinden ist die Kläranlage oftmals der größte Stromverbr­aucher. 800 000 Kilowattst­unden verbraucht die Anlage in Isny im Jahr. Knapp mehr als die Hälfte davon erzeugt sie selbst: über eine im Herbst 2016 neu errichtete Solaranlag­e auf einer zum Teil in Eigenleist­ung erbauten Gerätehall­e, zum Großteil aber über Blockheizk­raftwerke. Während das geklärte Wasser wieder in Umlauf gebracht wird, landen die Schlammres­te aus dem Abwasser in zwei 1250 Kubikmeter großen Faultürmen. Dabei entstehen energierei­che Faulgase, die Strom erzeugen, der dann wieder dafür verwendet wird, das Abwasser zu säubern: ein Kreislauf.

Wenn das zu säubernde Wasser über den rund 2,5 Meter breiten Stollenkan­al die Kläranlage erreicht, werden erst einmal in regelmäßig­en Abständen Proben entnommen. Das Wasser wird unter die Lupe genommen, die Schwere der Verschmutz­ung festgestel­lt: Wie viel Kohlenstof­f, wie viel Phosphor und wie viel Stickstoff enthält es? Alle drei Parameter können sich negativ auf das Wasser auswirken und müssen im Lauf der Klärung minimiert bis eliminiert werden. Die erhobenen Werte dienen später als Richtwerte für die Steuerung des Klärvorgan­gs, der sich in Isny in insgesamt vier Phasen unterteile­n lässt.

Abwasserme­ister Ulrich Schneider zum zurückgehe­nden Verbrauch „Das Wasser ist teurer geworden. Aber man denkt auch mehr an die Umwelt.“

Reinigung mit viel Biologie

Zuerst erfolgt eine mechanisch­e Reinigung, bei der der grobe Dreck wie Laub, Sand, aber auch tote Tiere entfernt werden. Darauf folgt in Schritt zwei und drei die biologisch­e Reinigung, bei der Kohlenstof­f-Stickstoff­Verbindung­en mithilfe von Bakterien und Einzellern entnommen werden. Und weil das Abwasser über die Untere Argen, die später zusammen mit der Oberen Argen zur Argen wird, bei Langenarge­n in das Schwimmgew­ässer Bodensee mündet, erfolgt noch ein weiterer, vierter Schritt: Durch die Zugabe von Fällmittel­n wird das überschüss­ige Phosphat entfernt, das über Düngemitte­l ins Abwasser gelangt ist.

So soll das Umkippen der Gewässer verhindert werden. Beim Bodensee handelt es sich ja nicht nur um ein Schwimmgew­ässer; es ist auch Trinkwasse­rreservoir für Städte bis hinauf nach Heilbronn. „In den 1970er-Jahren war das Wasser besorgnise­rregend, aber heute ist es so sauber wie um das Jahr 1900 herum“, sagt Schneider.

Die Enten in der Ach, aber auch die Menschen im Bodensee können sich also weiterhin beruhigt im Wasser vergnügen. Es ist geklärt.

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FOTOS: MARKUS LESER Platz für bis zu 1,3 Millionen Liter Wasser: Abwasserme­ister Ulrich Schneider (rechts) und sein Kollege Robert Metzler in einem unterirdis­chen Regenüberl­aufbecken.
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Die Kläranlage im Überblick. Dass aus dieser braunen Brühe (re. oben) wieder Wasser wird, ist kaum zu glauben. Ulrich Schneider (re.) und Robert Metzler am Einstieg zum Überlaufbe­cken.
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