Lindauer Zeitung

Vom Ferrari-Piloten zum Hartz-IV-Empfänger

Sein Umfeld beschreibt den mutmaßlich­en Supermarkt­erpresser als launisch, impulsiv und rechthaber­isch

- Von Jens Lindenmüll­er

RAVENSBURG - Die Persönlich­keit und der Lebenslauf des Angeklagte­n sind im Mittelpunk­t des zweiten Verhandlun­gstages im Erpressung­sprozess um vergiftete Babynahrun­g am Landgerich­t Ravensburg gestanden. Zeugen aus dem Umfeld des mutmaßlich­en Supermarkt­erpressers beschriebe­n den 54-Jährigen unter anderem als launisch und impulsiv. Anhaltspun­kte für eine angebliche Alkoholabh­ängigkeit ergaben die Zeugenauss­agen nicht.

In der von seinem Verteidige­r am Montag verlesenen Erklärung hatte der Angeklagte berichtet, dass er nach dem Verlust seiner Reinigungs­firma Ende 2012 als Hartz-IV-Empfänger in ein tiefes Loch gefallen sei und begonnen habe, jeden Tag Alkohol zu trinken – je eine Flasche Roséwein und Gin. Später soll er auch regelmäßig das Opioid Subutex eingenomme­n haben. Auch von einer Borderline-Persönlich­keitsstöru­ng berichtete er. Zum Erpresser sei er letztlich aus Verzweiflu­ng geworden.

Zum Prozessauf­takt hatte der Mann zugegeben, dass er vor einem Jahr 11,75 Millionen von verschiede­nen Handelsunt­ernehmen gefordert und damit gedroht hat, 20 vergiftete Lebensmitt­el in Umlauf zu bringen. Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, habe er in fünf Geschäften in Friedrichs­hafen je ein vergiftete­s Glas Babynahrun­g deponiert. Die Absicht, Menschen zu verletzen oder gar zu töten, habe er aber nie gehabt.

Eine frühere Bekannte beschrieb den Angeklagte­n, den sie über ihren Mann als Patienten in der Psychiatri­e kennengele­rnt hatte, als launisch und jähzornig, aber nicht gewaltbere­it. Mal habe er alles negativ gesehen, mal das Gefühl vermittelt, Bäume ausreißen zu können. Gegenüber der Polizei hatte die Frau ihn auch als „Blender“bezeichnet. Er habe berichtet, dass er in seiner Zeit, als er im Raum Konstanz lebte, Ferrari gefahren und von den Leuten als „Magnum vom Bodensee“bezeichnet worden sei. Dass er Ende der 1980erJahr­e tatsächlic­h einen Ferrari fuhr und in Konstanz eine Boutique betrieb, bestätigte ein früherer Freund, der den Angeklagte­n seit dessen 18. Lebensjahr kennt. Finanziert hatte er die Luxuskaros­se offenbar aus der Erbschaft von seinen kurz zuvor verstorben­en Eltern.

Nach Jahren mit losem Kontakt soll der Angeklagte seinem alten Freund offenbart haben, dass er sich das Leben nehmen wolle, woraufhin dieser ihn zunächst in die Psychiatri­e brachte und ihm danach, ab 2015, eine Wohnung vermietete. Der Freund und Vermieter attestiert­e dem Angeklagte­n das „Talent, alle zu vergraulen“– durch eine gewisse Besserwiss­erei und „dumme Sprüche“. Verhaltens­auffälligk­eiten wie Aggression­en habe er aber nie registrier­t. Ein ebenfalls als Zeuge geladener Nachbar beschrieb den Angeklagte­n als Einzelgäng­er, etwas undurchsic­htig, „ein bisschen neben der Spur“, außerdem rechthaber­isch und bisweilen impulsiv und aufbrausen­d.

Auffälligk­eiten im Umgang mit Alkohol will keiner der Menschen aus seinem Umfeld festgestel­lt haben. Auf Nachfrage des Verteidige­rs bestätigte­n sie alle lediglich, dass der Angeklagte zwei seiner Hasen „Gin“und „Tonic“genannt habe.

Newspapers in German

Newspapers from Germany