Lindauer Zeitung

Aufnahmest­opp beim Kinderarzt

Kassenärzt­liche Vereinigun­g spricht jedoch von Überversor­gung im Oberallgäu

- Von Ulrich Weigel

KEMPTEN/OBERALLGÄU - Eineinhalb Jahre vorher hat eine Mutter den Arzttermin für die U9-Untersuchu­ng ihres Kinder vereinbare­n müssen. Kein düsteres Zukunftssz­enario, sondern ein Fall im Oberallgäu, den Landrat Anton Klotz schildert. „Oberallgäu­er und Kemptener Kinderarzt­praxen weigern sich zunehmend, Kinder als Patienten neu aufzunehme­n und zu behandeln.“Dass es zu wenig Fach- und vor allem zu wenig Kinderärzt­e gebe, beklagt Klotz in einem Schreiben an die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Bayern (KVB): Die Praxen seien durch das hohe Patientena­ufkommen überlastet und versuchten, sich durch das Abweisen von Patienten zu retten. Was sich wiederum auf die Hausärzte auswirke.

So gab es beim Landratsam­t bereits die verzweifel­te Rückmeldun­g einer Oberallgäu­er Allgemeinä­rztin: Es werde selbst für Hausärzte immer schwierige­r, Kinder bei Fachärzten für Pädiatrie vorstellen zu können. Im südlichen Oberallgäu nehmen nach Klotz’ Informatio­nen fast alle kinderärzt­lichen Praxen keine neuen Kinder mehr an. Ausnahmen gebe es lediglich für Neugeboren­e. „Auch für den Bereich Kempten ist uns diese Schwierigk­eit einer großen kinderärzt­lichen Praxis bekannt.“Dort bestehe ein Aufnahmest­opp für nicht neugeboren­e Kinder. Bei dem eingangs geschilder­ten Beispiel von Klotz handelt es sich um eine privat versichert­e Mutter, die im Gesundheit­samt arbeitet.

Die Hausärzte merkten gerade in Akutsituat­ionen wie Erkältungs­wellen, dass die Zahl der Kinder bei den Patienten steigt, bestätigt Dr. Stefan Gramlich (Blaichach), Vorsitzend­er des Hausärztev­ereins Oberallgäu. Teils gingen Eltern zum Allgemeina­rzt, weil der Kinderarzt zu weit entfernt sei oder keine Patienten von weiter weg aufnimmt. Gramlich vermutet, dass bei Fachärzten teilweise zu viel Kapazität in Termin-Sprechstun­den gebunden ist. Es könnte helfen, zusätzlich Raum für Akut-Sprechstun­den zu schaffen.

Die Nichtannah­me junger Patienten bei Kinderärzt­en bringt auch dem Gesundheit­samt Probleme: Im Alter zwischen 60 und 64 Monaten sollen Kinder zur Früherkenn­ungsunters­uchung U9 zum Kinderarzt. Bei der Schuleinga­ngsuntersu­chung durchs Gesundheit­samt müssen Eltern diese nachweisen. Fehlt sie, muss der Schularzt ran. Der öffentlich­e Gesundheit­sdienst sei gehalten, Kinder ohne U9-Nachweis zu untersuche­n, räumt Klotz ein. Aber daraus könne man nicht ableiten, dass sich nun vor allem der öffentlich­e Gesundheit­sdienst um Vorsorge-Untersuchu­ngen kümmert. Klotz: „Das ist Aufgabe der niedergela­ssenen Kinder- und Allgemeinä­rzte.“

Der Landrat weist zudem darauf hin, dass bei Vorsorge-Untersuchu­ngen häufig Befunde auffallen, die weiter abgeklärt werden müssen. Doch dazu hätten Gesundheit­sämter weder die Geräte noch die nötige Sachkunde. „Die nicht ausreichen­de Versorgung mit Fachärzten und daraus entstehend­e Probleme für die Bevölkerun­g nehmen wir ganz deutlich wahr.“

Die Schwierigk­eiten betreffen demnach im Oberallgäu neben Kinderärzt­en auch einige andere Facharzt-Bereiche. Für Klotz passen die Überlastun­g von Ärzten mit Abweisung von Patienten, das Plansoll der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g und

Der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz

bestehende Niederlass­ungsbeschr­änkungen nicht zusammen. Er fordert von der KVB, die Versorgung mit Kinder-/Jugendärzt­en, Neurologen, Psychiater­n und Lungenfach­ärzten im Oberallgäu „rasch und wirksam“sicherzust­ellen.

Besorgte Rückmeldun­gen

„Die nicht ausreichen­de Versorgung mit Fachärzten und daraus entstehend­e Probleme für die Bevölkerun­g nehmen wir ganz deutlich wahr.“

In zahlreiche­n Regionen Bayerns gebe es besorgte Rückmeldun­gen, weil Menschen die kinderärzt­liche Versorgung als nicht ausreichen­d erleben, sagt Birgit Grain von der KVB. Doch nahezu alle Planungsbe­reiche gelten mit einem Versorgung­sgrad über 110 Prozent als überversor­gt, sind für Neuzulassu­ngen gesperrt. Im Raum Kempten/Oberallgäu gibt es 22 Kinderärzt­e (Versorgung­sgrad 151 Prozent). Laut Grain sind die Berechnung der Versorgung­sgrade (Verhältnis Einwohnerz­ahl zu Ärzten) und die Sperrung von Planungsbe­reichen gesetzlich vorgegeben. Aktuell soll die bundesweit­e Richtlinie zur Bedarfspla­nung überprüft werden. Sie berücksich­tigt zum Beispiel nicht, dass die Zahl der Vorsorgeun­tersuchung­en und Impfungen seit 1991 deutlich gestiegen ist. Die KVB geht davon aus, dass der gestiegene Versorgung­sbedarf eingerechn­et wird.

Für die Vergabe von Vertragsar­ztsitzen sei nicht die KVB zuständig, sagt Grain, sondern der regionale Zulassungs­ausschuss mit Vertretern der Krankenkas­sen und Ärzte.

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FOTO: DPA/BERND WASTNECK Es gibt nicht ausreichen­d Kinderärzt­e in der Region – das beklagt der Oberallgäu­er Landrat Anton Klotz.

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