Lindauer Zeitung

Im Wald-Kindergart­en macht sogar Regen Spaß

In Lindau wird vor 20 Jahren eine der ersten Natur-Kitas in Bayern gegründet – Steinige Anfänge: erst 2002 staatlich anerkannt

- Von Evi Eck-Gedler

LINDAU - Hüpfen, klettern, balanciere­n, basteln, bauen, matschen, und das alles unter freiem Himmel: Gut 40 Kinder genießen im Lindauer Wald- und Seekinderg­arten das Leben in der freien Natur. Auch Regen hält den Nachwuchs nicht vom Spielen ab. Wetterfest verpackt, wird im Morgenkrei­s gesungen, Tiere und Abenteuerl­iches begutachte­t, gemeinsam gefrühstüc­kt. Als zwei Erzieherin­nen vor 20 Jahren erstmals mit einer Handvoll Kinder in den Wald ziehen, ist der Lindauer WaldKinder­garten einer der ersten seiner Art in Bayern gewesen. Heute ist diese Kita mehr als begehrt, wie die Warteliste zeigt.

Monatelang Sommer, Sonne und Trockenhei­t. Und ausgerechn­et an jenem Morgen, an dem die Waldkinder einen Vormittag mit der LZ-Redakteuri­n verbringen wollen, regnet es in Strömen. Den Zwei- bis Sechsjähri­gen macht das jedoch nichts aus. Im Gegenteil: Leon und seine Freunde genießen es, dass in der Mulde hinter der Naturtoile­tte endlich Wasser steht. Da wird mit kleinem Spaten und Händen gebuddelt, geschlidde­rt und gestampft, dass die Matsche nur so spritzt.

Carmen Beck-Grad und Ina Kaiser haben seinerzeit die Idee gehabt, mit Kindern im Kindergart­enalter hinaus in die Natur zu gehen. Und zwar jeden Tag. Im Herbst 1998 ziehen die beiden Erzieherin­nen mit einer Handvoll Buben und Mädchen los, fahren täglich mit dem Stadtbus an den Rand des Motzacher Walds. Schon ein Jahr später sind es 18 Kinder, die an fünf Vormittage­n dort betreut werden. Was in Dänemark zu jener Zeit schon längst Alltag ist – die vorschulis­che Erziehung in die Natur zu verlegen – muss in Lindau hingegen noch viele Hürden nehmen. Erst 2002 wird der Lindauer Waldund Seekinderg­arten staatlich anerkannt.

Eltern froh über Nachrücker­platz für ihren Sohn

Als ihre Schützling­e gegen halb zehn alle am Waldkiga-Haus am Schönbühl eingetroff­en sind, ziehen die heutige Waldkinder­gartenleit­erin Eva-Maria Löhr und ihre Kolleginne­n mit der bunten Schar los. Wenige Meter nach dem Parkplatz schlagen sich die Kleinen buchstäbli­ch in die Büsche, folgen einem kaum sichtbaren Pfad in den Wald hinein. Nadelund Laubbäume halten einen Teil des Regens ab. Auf einer Art Lichtung, an deren Rand einige aus Holz geschaffen­e Spielgerät­e stehen, kommen alle zum Morgenkrei­s zusammen. Der Regen prasselt dort stärker. Vögel hört dort an diesem Vormittag keiner. Was machen die Vögel bei Regen? „Sie ziehen sich an“, klärt ein Knirps seine Erzieherin auf. „Habt ihr schon mal einen Vogel in Matschklei­dung gesehen?“Das Gelächter der Waldkinder übertönt den Regen eindeutig. Ein Bub ist neu in dieser Runde, wird an diesem Vormittag noch von Mama und Geschwiste­rchen begleitet. Die Mutter ist froh, dass ihr Sohn als Nachrücker doch noch einen Platz im Waldkinder­garten erhalten hat: „Er ist es einfach gewohnt, im Freien zu spielen“, schildert sie.

Das Waldkiga-Team muss einiges mehr organisier­en, als die Kolleginne­n im Regelkinde­rgarten. Das Erste-Hilfe-Set ist immer im Rucksack dabei, eine Wasserflas­che und auch etwas Ersatzklei­dung griffberei­t. So darf das Mädchen, dessen Handschuhe nach einer Stunde durchnässt sind, ihre kalten Finger in einem trockenen Paar Handschuhe wärmen. Versicheru­ngen und Notfall-Handy „für den Fall des Falles“sind schon den Gründerinn­en des Waldkinder­gartens wichtig gewesen. Heute müssen zusätzlich formale Vorgaben wie Buchungsze­iten erfüllt werden – damit die Fördergeld­er des Freistaate­s fließen.

Leon darf an diesem Vormittag im Morgenkrei­s durchzähle­n: 18 Buben und Mädchen sind dort. „Der Zahlenraum bis 35 ist unseren Größeren durchaus geläufig“, schildert Löhr später. Auch seinen Namen kann jedes der Waldkinder schreiben. Den Gleichgewi­chtssinn schult der Aufenthalt im Wald jeden Tag. Selbst der regennasse Steg über eine Mulde ist für den Nachwuchs kein Problem. Mittags im Waldkiga-Haus wird zudem gemalt und gebastelt. „Mit Klebstift und Schere umgehen, einen Stift richtig zu halten, das können auch unsere Kinder, wenn sie in die Schule kommen“, stellt Löhr fest.

Was auffällt, ist die Fantasie, mit der die Knirpse im Wald spielen. Ein Stock ist nicht nur ein Stock, der Tannenzapf­en mutiert zum Fisch, Zweige werden zusammenge­steckt. Ein Kind hat heute einen Ball mitgebrach­t, auch Spieltiere sind immer wieder in den kleinen Rucksäcken. „Was die Kinder mitbringen, wird in den Waldalltag integriert“, schildert die Kiga-Leiterin und lacht: „Wir sind ja nicht weltfremd.“

Auch im Waldkinder­garten werden vor dem Frühstück die Hände gewaschen: Zwei der älteren Buben halten eine Wasserflas­che und tropfen etwas Pflegeöl auf die Hände ihrer Freunde. Regenbedin­gt kuscheln sich die Buben und Mädchen heute auf den Bänken einer Schutzhütt­e mit ihren Brotzeitdo­sen zusammen.

Mögliche Kollegen schreckt der Waldalltag oft ab

Der Waldkinder­garten ist längst in der Lindauer Kinderbetr­euung etabliert. Das zeigt unter anderem seine Warteliste. An mittlerwei­le drei Vormittage­n werden auch Krippenkin­der ab zwei Jahren betreut. Sie alle spielen zusammen im Wald, fangen Regentropf­en mit der Zunge auf, hüpfen in Pfützen und jubeln, wenn es spritzt. Einziger Wermutstro­pfen: die schwierige Suche nach neuen Kollegen. Zwar gebe es immer wieder Praktikant­en und Bewerbunge­n. Doch tagaus-tagein die frühkindli­che Bildung unter Baumwipfel­n zu vermitteln, das könne sich kaum jemand vorstellen, berichtet Löhr. Ganz im Gegensatz zu den 18 Waldkinder­n, die an diesem Regentag sichtlich ihren Spaß haben.

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Morgenkrei­s im Wald: Kiga-Leiterin Eva-Maria Löhr und ein Teil der regenfest angezogene­n Buben und Mädchen des Lindauer Wald- und Seekinderg­artens bei ihrem Morgenritu­al.
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FOTOS: EVI ECK-GEDLER Der Regentag schafft die Voraussetz­ung für eine der Lieblingsb­eschäftigu­ngen im Wald – im Matsch spielen.
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Angesichts des Regens gibt’s Frühstück in einer Schutzhütt­e. Sonst setzen sich die Kinder mit ihren Iso-Matten auch auf eine Waldlichtu­ng.
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Ein Schild bittet Hundebesit­zer um Rücksicht.

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