Wenn in Syrien morgens wieder Vögel zwitschern
Adnan Wahhoud kümmert sich um viele Waisen und hegt leise Hoffnung, dass der Waffenruhe auch Frieden folgt
LINDAU - Nicht nur seine Familie atmet auf. Auch viele Lindauer, die Adnan Wahhouds humanitäre Arbeit in Syrien unterstützen, sind froh, wenn der 66-Jährige von seinen Fahrten in die Provinzen Idlib und Aleppo zurückgekehrt ist. Alle zwei Monate nimmt er die strapaziöse Tour auf sich. Besucht seine Ambulanzen und Waisenkinder, die er unterstützt. Was Wahhoud nach seiner jüngsten Reise freut: Statt des Lärms von Kampfflugzeugen und Bombendetonationen hat ihn jetzt morgens wieder Vogelgezwitscher geweckt.
Ein warmes Lächeln huscht über Adnan Wahhouds Gesicht, als er auf die Frage „Wie war die Reise?“antwortet: „Friedlich.“Das ist nicht selbstverständlich. Regelmäßig fährt der 66-Jährige für rund zehn Tage in den Nordwesten Syriens. Dort hat der in Damaskus geborene Lindauer in den vergangenen Jahren viel Leid gesehen, Angriffe von Kampfflugzeugen, zerbombte Straßen und Häuser, zerrissene Familien.
All das haben auch zwei kleine syrische Buben erlebt: Abdul und sein Bruder Yakob haben ihre Eltern, Geschwister und ihr Zuhause bei einem Bombenangriff verloren. Sie waren verschüttet, wurden von Dorfbewohnern aus den Trümmern herausgezogen, hat sich Wahhoud berichten lassen. Der Großvater nahm die zwei Kleinkinder bei sich auf. Yakobs schwerverletzte linke Hand musste amputiert werden. Kurz bevor Wahhoud jetzt wieder in Syrien angekommen war, starb nun der Großvater.
Für den Lindauer, selbst mehrfacher Vater, ist klar: Die beiden Jungen brauchen Hilfe. „Ein Onkel hat sich gefunden, nimmt Yakob und Abdul bei sich auf“, schildert Wahhoud – aus seinem Projekt Waisenhilfe bekommt der Onkel jetzt jeden Monat etwas Geld für die beiden.
Auch Hilfe für rund 25 katholische Familien
Sie sind nicht die einzigen, die zu jenen gut 330 Kindern hinzukommen, die der Lindauer mit Hilfe von deutschen Spendengeldern bereits unterstützt. Als Wahhoud den Medical Point in Yakobiya im Westen der Provinz Idlib besuchte, traf er zwei Frauen, die dort mithelfen: „Sie sind Christen, haben ebenfalls ihre Männer im Krieg verloren“, schildert der Deutsch-Syrer. Diese Witwen könnten sich und ihre Kinder kaum noch versorgen. In der Ambulanz erfuhr Wahhoud, dass es rund zwei Dutzend zerrissenen Familien in den drei christlichen Dörfern rund um Yakobiya ähnlich gehe. Der dortige katholische Pfarrer Jallouf wird für Wahhoud zum neuen Vertrauten: „Er sorgt dafür, dass diese Witwen und ihre Kinder künftig regelmäßig etwas Geld aus der Waisenhilfe erhalten.“ Das Personal in den sieben von Wahhoud aufgebauten Medical Points hat alle Hände voll zu tun: Im September wurden über 10 000 Patienten versorgt. Der Andrang ist so stark wie selten zuvor: Viele Syrer sind aus umkämpften Gebieten wie Homs und Ost-Ghouta in die Provinz Idlib geflohen. Gut 11 000 USDollar hat der Lindauer Ende September für Medikamente für die Ambulanzen ausgegeben: Drei von vier Patienten können dank der deutschen Spenden kostenlos behandelt werden. Mit deutscher Gründlichkeit lässt Wahhoud alles genau dokumentieren: So weiß er, dass allein der Medical Point Fattiere im September über 2500 Menschen medizinisch betreut hat.
Der Deutsch-Syrer ist froh, dass der noch Mitte September befürchtete Angriff der Assad-Truppen auf Idlib bisher ausgeblieben ist. Es herrsche Waffenruhe, „leider noch kein Frieden“. Zu verdanken sei das der Türkei: Deren Soldaten bilden nach Wahhouds Wissen eine Art „Trennlinie“zwischen Idlib und den AssadTruppen. Ob aber dieses „AngstGleichgewicht“Bestand haben werde, das wage niemand zu sagen.
140 Feigenbäume als Friedenszeichen
Immerhin: „Die Straßen sind wieder voll, die Geschäfte öffnen, die Menschen sind glücklich, dass die Waffen zur Zeit schweigen.“Als ein „Zeichen des Friedens“hat Wahhoud auf einem rund 6000 Quadratmeter großen Feld 140 kleine Feigenbäume pflanzen lassen. Ein Lindauer hat ihm Geld für diese Bäume gegeben. Eine weitere Spende kommt den Kindern in Blanta zugute: Der Verein Wüstenkind, mit dessen finanzieller Hilfe der Lindauer im Sommer eine Wasserpumpe in Syrien reparieren lassen konnte, will in die Schule in Blanta investieren.
Und Adnan Wahhoud hat von dieser jüngsten Reise eine ganz besondere Erinnerung mitgebracht: Statt Flugzeuglärm und Bombenpfeifen habe er morgens beim Aufwachen Vogelgezwitscher gehört. „Friedlich“sei das gewesen – und das wünscht sich der 66-Jährige auch für die Zukunft seines Geburtslandes.