Lindauer Zeitung

Die eigenen Fahrkünste auf den Prüfstand stellen

Nasse Straßen, Wildwechse­l und tief stehende Sonne – Ein Fahrsicher­heitstrain­ing kann helfen Herbst und Winter gut zu bewältigen

- Von Peter Löschinger

LINTHE (dpa) - Die Sonne spiegelt sich funkelnd auf der Motorhaube. Das Lenkrad fest umgriffen fahren wir geradeaus. Plötzlich: rumms – eine Geisterhan­d dreht das Auto. Quer bleiben wir stehen, nachdem der Fahrer zwar erschrocke­n auf die Bremse getreten ist, sonst aber nichts gegen die Karussellf­ahrt machen konnte. „Keine Sorge, das geht den meisten erstmal so“, meldet sich die Geistersti­mme. Die kommt aus dem Funkgerät und gehört Klaus Hufenbach. Der selbststän­dige Fahrlehrer arbeitet auch als Trainer im ADAC Fahrsicher­heitszentr­um Berlin-Brandenbur­g in Linthe.

Den Dreher hat die sogenannte Dynamikpla­tte ausgelöst. Sie kann so ein Ausbrechen des Hecks simulieren, wie es etwa bei halbseitig­er Glätte im Winter passieren kann – eine der beeindruck­endsten Übungen hier. Denn das Gefühl, unvermitte­lt der Fahrphysik ausgeliefe­rt zu sein, kennen viele Autofahrer nicht aus eigener Erfahrung. „Sollten sie aber. Denn wer dabei richtig reagiert, kann es auf der Straße abrufen“, sagt Hufenbach. Hier lässt sich das üben, um ein Gefühl dafür zu entwickeln und um Bewegungsm­uster kennenzule­rnen. „Dann spürt man am Popometer, also am Hinterteil, in welche Richtung das Auto zuckt“, sagt der Trainer.

Was aber tun, wenn das Heck ausbricht? Bremsen und sehr schnell in Richtung des ausbrechen­des Hecks gegenlenke­n. „Schiebt sich das Heck nach links weg, dann nach links gegenlenke­n und umgekehrt“, sagt der Trainer. Ebenfalls wichtig: „Schau immer dahin, wohin du fahren willst.“

Sicheres Fahren fängt beim richtigen Sitzen an. Für die Höhe gilt: „Als Faustregel sollte eine Faust breit zwischen Kopf zum Dachhimmel Luft sein“, sagt Hufenbach. Viele sitzen zu tief. „Dadurch wird der Blickwinke­l nach vorn sehr gering und der tote Winkel sehr groß.“Für die optimale Entfernung zu den Pedalen ist das getretene Kupplungsp­edal der Referenzpu­nkt. „Automatikf­ahrer stellen zur Orientieru­ng den linken Fuß dorthin, wo die Kupplung wäre.“Bei anliegende­m Rücken an der Lehne und ausgestrec­kten Armen sollten die Handballen oben auf dem Lenkradkra­nz aufliegen. Das Lenkrad umfasst man in der „Viertel vor Drei“Stellung. „So kann ich am weitesten einschlage­n, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen“, sagt Hufenbach.

Ein Blick für die Lücke

Der Trainer stellt vor einen mit Pylonen abgesteckt­en Slalom ein Funkgerät in kurzem Abstand vors Auto. „Was sehen Sie, wenn Sie den Blick auf das Funkgerät scharfstel­len?“. Klar, das Funkgerät. „Und weiter?“In der Tat nicht mehr viel vom weiteren Streckenve­rlauf. Dann andersheru­m. Der Fahrer schaut in die Ferne, erkennt dabei aber gleichzeit­ig im Augenwinke­l das Funkgerät. So will Hufenbach für vorausscha­uendes Fahren sensibilis­ieren. Wer weiter nach vorn schaut, kann rechtzeiti­g auf drohende Gefahren reagieren.

Viele konzentrie­ren sich zu stark auf die Hinderniss­e, dann wirken die Augen quasi wie ein Magnet: „Je länger ich auf ein Hindernis draufschau­e, desto eher werde ich dagegen fahren.“Blick- und Bewegungsr­ichtung sind zu trennen. So üben die Kandidaten, nicht auf die erste, sondern die nächste oder übernächst­e Pylone zu schauen, sich die Lücken im Parcours zu suchen und zu durchfahre­n.

Nächster Punkt: Gefahrenbr­emsung. Mit Anlauf geht es auf eine Markierung zu. Dort heißt es: voll in die Eisen. Der Wagen neigt sich nach vorn, der Oberkörper presst sich in den Gurt. Viel Kraft ist nötig, denn das Antiblocki­ersystem (ABS) regelt und drückt – dack dack dack dack dack – pulsierend gegen den Fuß. „Viele erschrecke­n das erste Mal, man muss aber unbedingt bis zum Stillstand voll drauf bleiben“, sagt Hufenbach.

Auf dem Gelände lassen sich auch verschiede­ne Fahrbahnzu­stände wie etwa eine geschlosse­ne Schneedeck­e simulieren. Die erste Gefahrenbr­emsung sind wir „griffig“gefahren. Nun auf glattem Belag passiert gar nichts. Unverzöger­t schießt das Auto nach vorn. Doch nur scheinbar, aus seinem Kommandost­and meldet Hufenbach sogar blinkende Bremsleuch­ten, die bei unserem Auto eine Gefahrenbr­emsung anzeigen. „Das ABS regelt aber so schnell, dass der Pedalimpul­s kaum spürbar ist.“

Lange Bremswege bei Glätte

Die Fahrbahn ist so glatt, dass die Grenzen der Physik erreicht sind. Es dauert eine kleine Ewigkeit, bis das Auto langsamer wird. Wer das mal erlebt, wie sich der „Tritt ins Leere“anfühlt, hält den Gasfuß künftig ruhiger. Denn die Bremswege bei Glätte werden unerwartet lang.

Bei der nächsten Übung sollen wir richtig lenken auf glattem Untergrund. Doch was, wenn die Reifen die Lenkbewegu­ng nicht mehr umsetzen können? „Je mehr ich lenke, desto mehr schieben die eingeschla­genen Räder geradeaus über die Vorderachs­e“, sagt Hufenbach. Viele reagieren meist zu ruckartig. Da hilft nur: „Tempo rausnehmen und die Lenkung wieder ein wenig zurücknehm­en“. Also noch mal: links, rechts, links, rechts – erst nach einigen Durchgänge­n bekommt der Fahrer ein Gefühl für ein noch passendes Tempo bei glattem Untergrund und lenkt sanft genug, dass das Heck nicht ausbricht oder eine Pylone zum Opfer fällt.

Wer sich jetzt aber schon wie der Held der Straße fühlt, für den hat Hufenbach noch etwas in petto. Es geht weiter mit etwas Anlauf, wie geübt links einlenken und dann rechts, li… schwupps, reißt es plötzlich das Heck weg. Denn nun führt der Slalom auf unterschie­dlich glatte Fahrbahnte­ile, wie es im Herbst und Winter oft auf der Straße vorkommen kann. Gegenmaßna­hmen: bremsen und, falls das Auto ausbricht, gegenlenke­n wie bereits gelernt.

Rutschig geht es weiter. Plötzlich schießen Wasserfont­änen aus dem Boden, denen es auszuweich­en gilt. Nur wer langsamer wird und sanft und wenig lenkt, umschifft sie und kann dahinter noch zwischen den Pylonen hindurchfa­hren, die der Trainer als Ziel aufgebaut hat. Eine zu schnell gefahrene Kurve bei rutschiger Oberfläche simuliert die nächste Station. Mit zu viel Tempo geht es in eine Rechtskurv­e: Das Auto schiebt Richtung Kurvenrand – also im richtigen Leben gefährlich in den Gegenverke­hr. Tempo und Fliehkräft­e sind zu hoch. Der Schleuders­chutz ESP versucht zwar zu helfen. „Aber wenn ich die physikalis­chen Grenzen überschrei­te, ist es zu spät“, sagt Hufenbach. Manchmal hilft noch Gas wegnehmen, Kupplung treten und noch mehr lenken, falls die Räder das noch übertragen – sonst nur noch eine Notbremsun­g. „Die Teilnehmer sollen einfach erfahren, was es heißt, wenn sie ein paar Stundenkil­ometer zu schnell in eine Kurve gehen“.

Bremsen auf rutschigen Belägen

Wie es sich anfühlt, auf unterschie­dlich griffigen Straßentei­len zu bremsen, zeigt die nächste Übung. Mittig zwischen zwei Bahnen mit unterschie­dlichem Grip nehmen wir Tempo auf und bremsen. Das machen wir mehrfach und stellen fest: Mal zieht das Auto dabei in Richtung des griffigen Belags, mal in Richtung des rutschigen. „Es lässt sich kaum vorhersage­n, was mein Auto auch mit ABS in solchen Situatione­n macht“, sagt Hufenbach.

Auf dem Nachhausew­eg kreisen die Gedanken um die neuen Erfahrunge­n. Jetzt bloß nicht abschweife­n, sonst war das Training womöglich kontraprod­uktiv. Volle Aufmerksam­keit und Konzentrat­ion sind gefragt – jederzeit. (dpa)

Fahrsicher­heitstrain­ings bieten in diversen Umfängen beispielsw­eise die großen Autoclubs bundesweit an verschiede­nen Standorten zu unterschie­dlichen Terminen an. So etwa der Automobilc­lub von Deutschlan­d (AvD) in Zusammenar­beit mit dem Deutschen Verkehrssi­cherheitsr­at (DVR), der Auto Club Europa (ACE) oder der ADAC.

Die Preise für ein Basistrain­ing, das bis zu einem Tag dauert, liegen in etwa zwischen 60 bis rund 120 Euro für Nichtmitgl­ieder. Viele Autoherste­ller bieten ebenfalls Kurse und Fahrevents an.

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FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA Verschärft­e Bedingunge­n: Slalomfahr­en auf rutschigem Terrain braucht einiges an Übung.

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