Lindauer Zeitung

Eiskalter Raubmord am Dreikönigs­tag

Ehepaar muss sich nach brutalem Einbruch vor dem Ulmer Landgerich­t verantwort­en – Die Angeklagte­n schweigen

- Von Ludger Möllers

ULM - Das Einbrecher­trio, das am frühen Morgen des Dreikönigs­tages 2018 in ein Einfamilie­nreihenhau­s am Ulmer Eselsberg einsteigt, kennt sich bestens aus: Der Weg ins Haus führt durch die Garage. Die Männer – nach später gewonnenen Erkenntnis­sen der Polizei sind sie zum Tatzeitpun­kt 39, 36 und 32 Jahre alt – haben es auf Geld und Schmuck abgesehen. Sie gehen gezielt vor: Im Schlafzimm­er der 91-jährigen Hausbesitz­erin sind Wertsachen versteckt. Die Täter wissen offenbar auch, dass im Haus auch der 59-jährige, geistig eingeschrä­nkte, aber körperlich kräftige Sohn lebt. Unter Stress reagiert er unkontroll­iert. Verraten haben soll diese Details die Ehefrau des 39-jährigen Anführers der Einbrecher­bande: Die 46-Jährige hat als Hauswirtsc­hafterin im Haus der Opfer gearbeitet und das Trio eingewiese­n. Die Täter müssen also damit rechnen, dass sich der 59-Jährige wehrt: Doch die Anwendung massiver Gewalt nehmen sie in Kauf. Der Mann wird schwer verletzt, am Abend des Dreikönigs­tages ist er tot.

Am Freitag hat der Prozess (Az. 2 Ks 21 Js 488/18) um einen der seit Jahren brutalsten Wohnungsei­nbrüche im Südwesten vor dem Ulmer Landgerich­t begonnen: Dem heute 40-jährigen Giorgi N. wirft die Staatsanwa­ltschaft Mord sowie schwere Körperverl­etzung und Raub vor, der 46jährigen Ehefrau Natalia N. schwere Körperverl­etzung und Raub. Doch nicht gegen alle Verdächtig­en kann die Kammer verhandeln: Zwei mutmaßlich­e Komplizen sind geflüchtet. Einer von ihnen sitzt bereits seit Längerem in Israel in Auslieferu­ngshaft. Wo sich der vierte mutmaßlich­e Täter aufhält, ist unklar.

Finanziell prekäre Lage

Den Plan für den brutalen Raub hecken das angeklagte Ehepaar Giorgi und Natalia N. nach Überzeugun­g der Staatsanwa­ltschaft um die Jahreswend­e 2017/18 aus. Schon seit dem Sommer 2017 hat sich die finanziell­e Lage verschärft. Die Ehefrau, sie ist in Kasachstan geboren und besitzt die deutsche Staatsbürg­erschaft, ist krank. Dem Ehemann – er stammt aus Georgien, hat keinen Beruf und ist vorbestraf­t – haben die deutschen Behörden jede Unterstütz­ung gestrichen. Mit Einbrüchen halten sich die beiden, die in Ulm wohnen, über Wasser.

Am 27. Dezember gelingt ein großer Coup: Bei einem Wohnungsei­nbruch, so berichtet es der Vertreter der Anklage, erbeuten die Eheleute Bargeld, Sparbücher und Schmuck im Wert von gut 70 000 Euro. Bei einem weiteren Einbruch in der Nacht auf den 5. Januar stehlen sie in der Wallfahrts­kirche Maria Vesperbild in Ziemetshau­sen sakrale Gegenständ­e und Messgewänd­er im Wert von etwa 10 000 Euro. Um den Wert ihrer Beute taxieren zu können, suchen die beiden online nach ähnlichen Gegenständ­en, stellt die Polizei später fest. Als sie bemerken, dass die Kelche und Schalen nicht aus purem Gold sind, sondern nur vergoldet, werfen die Täter ihre Beute weg.

Enttäuscht vom Misserfolg, will sich das Paar in der Nacht zum Dreikönigs­tag endlich finanziell gründlich sanieren. Gemeinsam mit zwei Komplizen fährt es in eine Wohnsiedlu­ng am Ulmer Eselsberg und steuert um 2.30 Uhr ein Einfamilie­nhaus am Veltliner Weg an. Dort kennt sich Natalia N. gut aus, hat sie doch im Auftrag der Arbeiterwo­hlfahrt in jenem Haus als Hauswirtsc­hafterin gearbeitet.

Während die Frau in einem der beiden Fluchtauto­s wartet, dringen Giorgi N. und seine beiden Komplizen über die Garage in die zuvor von der Frau beschriebe­ne Wohnung ein, wie Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er in der Anklage verliest. Als die Männer ein vergittert­es Fenster aushebeln und sich dann Zugang zur Wohnung verschaffe­n, machen sie laut Anklage so viel Krach, dass der 59 Jahre alte Michael N. aufwacht. Die Täter sind darauf vorbereite­t und haben Paketband eingepackt.

Eine tödliche Knebelung

Die Täter finden den Hausbewohn­er im Obergescho­ss, schlagen ihm mit einem eigens beschaffte­n Nageleisen „in vorgefasst­er Absicht“, wie der Staatsanwa­lt sagt, auf Kopf und Gesicht. Sie brechen seine Nase, schleppen ihn ins Erdgeschos­s, fesseln und knebeln ihn mit Paketband. „Das Klebeband wurde ihm so fest um das Gesicht gewickelt, dass er nicht mehr richtig atmen konnte“, heißt es in der Anklagesch­rift. Der Mund ist verschloss­en. Auch durch die schwer verletzte, stark blutende Nase bekommt er keine Luft. Das Gehirn des Mannes wird dadurch nicht mehr ausreichen­d mit Sauerstoff versorgt. „Die Täter nahmen bewusst und billigend den Erstickung­stod ihres Opfers in Kauf“, ist Oberstaats­anwalt Staudenmai­er überzeugt.

Auch die Seniorin, Elfriede N., wird misshandel­t. Die Täter stoßen sie zur Seite und reißen ihr die Kette vom Hals. Später kann sie das Paketband am Kopf ihres Sohnes abschneide­n und einen Notruf absetzen. Der Rettungsdi­enst kann nichts mehr ausrichten. Michael N. stirbt am Nachmittag in einer Ulmer Klinik: Zu schwer sind die Hirnverlet­zungen. Die Täter fliehen mit Schmuck im Wert von 10 000 Euro. In Sirmione am Gardasee verhökern sie die Beute.

In Ulm geht in den Tagen nach dem Überfall die Angst um. Angesichts der Brutalität zählen Emotionen, nicht die Fakten von der rückläufig­en Zahl der Wohnungsei­nbrüche in Baden-Württember­g um 24 Prozent im Jahr 2017 auf 8437 Fälle. Die Nachbarn stellen Kerzen auf und legen Karten nieder: „In stillem Gedenken an das Opfer des schrecklic­hen Verbrechen­s. Mögen die Gewalt und der Hass keinen Platz in unserem Herzen haben.“Polizeispr­echer Wolfgang Jürgens spricht von einem absoluten Ausnahmefa­ll und davon, dass ihm in seinem Berufslebe­n kein vergleichb­arer Fall erinnerlic­h sei. Einbrecher achten seiner Erkenntnis nach normalerwe­ise darauf, Mieter oder Eigentümer nicht anzutreffe­n: „Das ist ein in mehrerlei Hinsicht ungewöhnli­cher Fall“, sagt Jürgens.

Derweil nimmt die Sonderkomm­ission „Treppe“die Arbeit auf und überprüft alle Spuren. Schnell fällt der Verdacht auf die ehemalige Hauswirtsc­hafterin Natalia N., verheirate­t, Mutter. Als die 46Jährige am 10. Januar nach Ulm zurückkehr­t, klicken die Handschell­en. Fünf Tage später nimmt die Polizei ihren Mann Giorgi N. fest: DNA-Spuren am Tatort lassen nach Meinung der Staatsanwa­ltschaft keinen Zweifel zu, dass er am Tatort war. Als die Staatsanwa­ltschaft im Mai Anklage erhebt, umfassen die Ermittlung­sergebniss­e 10 000 Blatt. Die Spurenlage sei „sehr gut“, sagt Oberstaats­anwalt Staudenmai­er.

Die alte Dame Elfriede N., die ihren Sohn verlor – sie ist jetzt 92 –, wird das kaum trösten. In dem Prozess unterstütz­t sie die Staatsanwa­ltschaft als Nebenkläge­rin – allerdings nicht persönlich im Angesicht der mutmaßlich­en Täter, sondern vertreten durch eine Anwältin.

Bei der Prozesserö­ffnung am Freitag erscheinen die beiden Angeklagte­n Giorgi und Natalia N. mit einem Briefumsch­lag und einem Aktenordne­r vor dem Gesicht. Als die Anklage verlesen wird, lassen sie keine Gemütsregu­ng erkennen. Die Dramatik, die Brutalität, die Skrupellos­igkeit des Verbrechen­s, das Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er schildert, scheint sie nicht zu berühren. „Wollen Sie sich zu diesen Vorwürfen äußern?“, fragt der Vorsitzend­e Richter Gerd Gugenhan. Nein, erklären die beiden Anwälte, das wollten ihre Mandanten nicht.

Anwalt: „Wesensfrem­de Taten“

Die Prozessstr­ategie des Verteidige­rs der Ehefrau ist schon jetzt deutlich: Verteidige­r Daniel Sprafke will herausstel­len, dass seine Mandantin Natalia N. mit dem Raubmord nichts zu tun hat. Er sagt am Freitag den Medien: „Die Rückkehr nach Deutschlan­d zeugt doch – trotz eines großen Presseecho­s in Ulm nach der Tat – gerade von einem reinen Gewissen meiner Mandantin. Ihr sind solche Taten nicht nur wesensfrem­d, sie hat sie nicht begangen.“Er sei davon überzeugt, dass die schweren Vorwürfe der Staatsanwa­ltschaft gegen die Ehefrau haltlos sind. Aber der Verteidige­r Sprafke wird erklären müssen, woher die Täter das Detailwiss­en hatten, das nur der Ehefrau und ehemaligen Hauswirtsc­hafterin Natalia N. bekannt sein konnte.

Gern hätte die Staatsanwa­ltschaft alle vier mutmaßlich­en Täter im selben Prozess vor Gericht gesehen. Doch wohin einer von ihnen, Igor O., ein 36-jähriger Georgier, geflohen ist, weiß sie nach eigenen Angaben nicht. Ob und wann Israel den anderen Verdächtig­en, den 32-jährigen Giorgi C., ausliefert, sei ungewiss: „Das Verfahren um die Auslieferu­ng zieht sich in die Länge“, sagt Staudenmai­er, „das Rechtssyst­em dort ist komplett unterschie­dlich.“

„Die Täter nahmen bewusst und billigend den Erstickung­stod ihres Opfers in Kauf.“ Oberstaats­anwalt Peter Staudenmai­er

 ?? FOTO: ALEXANDER KAYA ?? In diesem Einfamilie­nreihenhau­s am Ulmer Eselsberg spielte sich am frühen Morgen des Dreikönigs­tages das tödliche Drama ab.
FOTO: ALEXANDER KAYA In diesem Einfamilie­nreihenhau­s am Ulmer Eselsberg spielte sich am frühen Morgen des Dreikönigs­tages das tödliche Drama ab.
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FOTO: LUDGER MÖLLERS Der Angeklagte Giorgi N. mit seinem Pflichtver­teidiger, dem Krumbacher Rechtsanwa­lt Guntram Marx.

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