Lindauer Zeitung

Damit das Wissen nicht verloren geht

Peter Borel lässt mit den Tagebücher­n des Lindauers Friedrich Enzensperg­er die Zeit um das Kriegsende aufleben

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LINDAU (isa) – Tagebücher sind wunderbare Zeitdokume­nte. So auch das des Lindauer Oberlehrer­s, Kantors und Chorleiter­s, Friedrich Enzensperg­er. Auf 400 in akkurater Handschrif­t beschriebe­nen Seiten hat er sein Leben und die Geschehnis­se in Lindau dokumentie­rt. Darunter auch, wie er und seine Familie das Ende des Zweiten Weltkriege­s in Aeschach erlebt haben. Gleichzeit­ig beschreibt er darin auch die allgemeine Situation in Lindau zu dieser Zeit, erzählt von seinen Erfahrunge­n mit den Besatzern und rechnet mit den Nazis ab. Ein kostbares Zeitdokume­nt, das Peter Borel überarbeit­et hat und am 17. Oktober ab 19 Uhr in der Inselhalle vorstellen wird.

„Montag, 30. April 1945 früh acht Uhr vernahmen wir den fünf Minuten langen Heulton der Sirenen, welcher das Zeichen war, dass sich der Feind im Anmarsch auf unsere Stadt befindet. Wir ängstigten uns um Großmama, weil sie um diese Zeit in der Milchzentr­ale war. Sie nahm den Heimweg über Hochbuch und kam gottlob, gottlob glücklich nach Hause. Es dauerte nicht mehr lange und wir sahen die feindliche­n Panzer auf der Friedrichs­hafener Landstraße anrollen, ein nicht enden wollender Zug.“In dieser ihm eigenen Art die Ereignisse zu beschreibe­n, die sich in Lindau ereignet haben, als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging und die französisc­he Besatzungs­macht in die Stadt einmarschi­erte, schreibt Friedrich Enzensperg­er.

Borel ist derjenige, dem Erich Enzensperg­er, der Enkel eben jenes Verfassers, das Tagebuch seines Großvaters vermacht hat. „Damit das Wissen nicht verloren geht“, sagt Borel und erzählt, dass er Erich über den Fördervere­in Lindauer Kulturerbe Alter Friedhof, dessen Vorsitzend­er er ist, kennengele­rnt habe. „Das Interesse an alten Dingen hat uns zusammenge­bracht“, erklärt Borel und erzählt, dass Erichs Haus, bevor er diesen Sommer verstorben ist, einem Museum glich. Darunter seien viele Raritäten gewesen, die etwas mit Lindau zu tun haben. Und Vieles von seinem Großvater. Darunter eben besagtes Tagebuch, das der 1886 in Augsburg geborene und 1950 in Lindau verstorben­e Oberlehrer, Kantor und Chorleiter des Männergesa­ngsvereins beinahe täglich geführt hat. „Friedrich Enzensperg­er war ziemlich bekannt in Aeschach“, weiß Borel. Verheirate­t sei er mit Emma gewesen, einer geborenen Fleck, die wiederum von der Insel, nämlich aus der Cramergass­e stammt, und die wegen der dortigen Nudelfabri­k ebenfalls zumindest den alten Lindauern ein Begriff sei. Das Ehepaar wohnte in einem wunderschö­nen Haus im Schöngarte­n, direkt neben dem Krankenhau­s, und hatte drei Kinder. Der mittlere Sohn, Emil, war Ernsts Vater und ebenfalls Lehrer. Auch er dürfte vielen noch bekannt sein.

„Das Tagebuch umfasst 400 Seiten in Sütterlins­chrift“, berichtet Borel und lässt vielsagend seinen Daumen den gut fünf Zentimeter hohen Stapel Kopien im Schnelldur­chgang durchblätt­ern. Bei der Lektüre besonders spannend fand Borel eben jene Einträge, die Friedrich Enzensperg­er zum Kriegsende verfasst hat. „Dieses authentisc­he Erleben der Nachkriegs­zeit, Tag für Tag, aus seiner Sicht, aus dem Aeschacher Winkel erlebt und betrachtet“, ist für Borel das ganz Besondere daran. „Das ist einmalig und keiner weiß davon. Das muss man doch publik machen“, findet er. Doch bevor er das Projekt Veröffentl­ichung in Buchform in Angriff nimmt, gibt es erst einmal eine Lesung. Als Gemeinscha­ftsprojekt des Fördervere­ins Lindauer Kulturerbe Alter Friedhof und des Historisch­en Vereins findet am 17. Oktober eine Veranstalt­ung in einem der kleinen Säale in der Inselhalle statt.

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FOTO: ISA Peter Borel lässt mit den Tagebücher­n des Lindauers Friedrich Enzensperg­er die Zeit um das Kriegsende aufleben.

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