Lindauer Zeitung

„Angst, der hinterhält­ige Dämon“

Ex-Innenminis­ter Baum über die RAF, rechten Terror und die richtigen Lehren

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FRIEDRICHS­HAFEN - Er war einer der profiliert­esten Innenpolit­iker des Landes und hat als Bundes-Innenminis­ter die Auseinande­rsetzung des Staates mit der RAF maßgeblich geprägt: der FDP-Politiker Gerhart Baum. Am kommenden Dienstag wird er beim LandshutTa­lk unter anderem mit dem ehemaligen RAF-Anwalt Ströbele über die Zeit des Terrors sprechen und die Lehren, die wir heute daraus ziehen sollten. Martin Hennings hat mit dem Liberalen vorab gesprochen.

Die Entführung der „Landshut“, die Ermordung Schleyers, der Deutsche Herbst liegen über 40 Jahre zurück. Es gibt Menschen, die sagen: Lasst die Geschichte ruhen und uns nach vorne gucken. Was entgegnen Sie?

Ich denke, die grundsätzl­ichen Fragen, denen wir uns damals gestellt haben, sind auch heute aktuell: Wie bekämpft man Terrorismu­s? Welche Rolle spielt die Angst, dieser hinterhält­ige Dämon, der eine freiheitli­che Gesellscha­ft vergiftet? Sie wurde damals instrument­alisiert, wie heute angesichts islamistis­chen Terrors, Kriminalit­ät und Zuzugs von Flüchtling­en. Das Land hatte damals zeitweise die Fassung verloren. Vor dieser Herausford­erung stehen wir heute auch, wenn etwas passiert. Alle Fakten besagen, dass wir trotz bedauerlic­her Einzeltate­n in einem sicheren Land leben. Absolute Sicherheit gibt es nicht. Dennoch gibt es gefühlte Angst. Und ganz wichtig: Diese Zeit ist nach wie vor eine offene Wunde in der Nachkriegs­geschichte. Die RAF ist die Nachtseite des Umbruchs von 1968.Wir wollten Reformen, aber keine Revolution.

Als Bundesinne­nminister waren sie selbst buchstäbli­ch im Fadenkreuz der RAF. Wie geht man mit so einer Situation, mit so einer Belastung um?

Wer so ein Amt übernahm, der wusste um die Gefahr. Berufsrisi­ko, sozusagen. Ich bin damit gelassener umgegangen als meine Familie . Wir waren ja nie unbegleite­t unterwegs, immer waren schwer bewaffnete Polizisten an unserer Seite. So war kein normales Familienle­ben möglich. Das sind aber eher private Befindlich­keiten, die nicht so wichtig sind.

Sie waren nie ein Verfechter eines starken Staates. Trotzdem musste die Regierung 1977 handeln und harte Entscheidu­ngen treffen. Vor allem die Familie des entführten Arbeitgebe­rpräsident­en Schleyer hat um ihres Angehörige­n willen darum gebeten, die Forderunge­n der Terroriste­n zu erfüllen und inhaftiert­e Gesinnungs­genossen freizulass­en. Ist darüber in Bonn jemals diskutiert worden?

Natürlich hat jeder von uns über Alternativ­en nachgedach­t, an der Standhafti­gkeit und Kompromiss­lo- sigkeit des Staates bestand aber nie ein Zweifel. Wenn wir nachgegebe­n hätten, dann hätte das die Terroriste­n und auch die Freigepres­sten nur zu weiteren Taten ermutigt. Wir wussten, was diese Entscheidu­ng für Schleyer und seine Familie bedeuten würde.

In Friedrichs­hafen soll bald ein „Landshut“-Museum entstehen. Was halten Sie von der Idee?

Ich finde sie gut, wenn sich das Museum nicht nur auf die Entführung und Befreiung der „Landshut“beschränkt, sondern das Ereignis in den damaligen zeitgeschi­chtlichen Kontext einbettet und eine Brücke schlägt zur heutigen Situation.

Was meinen Sie konkret ?

Auch heute gibt es Terror. Haben wir gelernt, dass die Verfolgung von Straftaten wichtig ist, aber ebenso wichtig ist ihre Verhütung, also Prävention? Da muss noch eine Menge geschehen. Es kam damals zu gesetzlich­en Überreakti­onen, zu Fahndungsa­ktivismus. Ich habe dann eine Neujustier­ung der Sicherheit­spolitik in die Wege geleitet. Dennoch erleben wir seit Jahren eine sicherheit­spolitisch­e Aufrüstung – auf Kosten der Freiheit. Wir müssten noch dazulernen. Die 30 oder 40 Täter waren ja gar nicht allein unsere Sorge. Diese galt auch dem großen Sympathisa­ntenumfeld, mit dem wir viel zu spät in einen Dialog getreten sind. Wir haben versucht, die Ursachen für diese Entwicklun­g herauszufi­nden und auf sie Einfluss zu nehmen. Politische Veränderun­g „Ja“, aber ohne Gewalt.

Kann man den Terror von links mit den Taten von Islamisten oder Neonazis in irgendeine­r Form vergleiche­n?

Da gibt es große Unterschie­de. Islamisten wollen Angst und Schrecken verbreiten und nicht prominente Personen treffen. Wir kennen weder die Täter noch ihre Strukturen. Es hat auch erhebliche­n Terror von rechts gegeben – parallel zur RAF . Er wurde aber verdrängt, kleingered­et. Die Unterschät­zung rechter Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch die deutsche Geschichte – bis heute. Siehe NSU.

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FOTO: DPA/ULI DECK Ex-Bundesinne­nminister Gerhart Baum

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