Lindauer Zeitung

Gesundheit­sminister enttäuscht die Ärzte

Neues Gesetz fordert mehr Sprechstun­den – In Lindau reagieren Mediziner verärgert

- Von Gabriel Bock

LINDAU - Belustigun­g, Ärger und Enttäuschu­ng, das erntet man, wenn man die Ärzte in Lindau nach dem neuen Gesetz von Gesundheit­sminister Jens Spahn fragt. Sie fühlen sich verhöhnt, und einige werfen Spahn vor, sich auf ihre Kosten profiliere­n zu wollen.

Der Stein des Anstoßes ist ein Gesetz, das im April 2019 in Kraft treten soll. Spahn will damit dafür sorgen, dass Kassenpati­enten wieder schneller an Arzttermin­e kommen. Die wichtigste­n Punkte aus dem Gesetz klingen wie eine Verbesseru­ng: Die Ärzte sollen mindestens 25 Stunden Sprechstun­de pro Woche machen, statt wie bisher 20. Fachärzte, wie Augenärzte, Radiologen oder Frauenärzt­e sollen fünf dieser Sprechstun­den für Patienten mit akutem Leiden ohne Termin freihalten.

Gar nicht begeistert sind die Ärzte in Lindau. Allerdings nicht, weil sie mehr arbeiten müssten. „Das ist schon lustig, ich biete ja mehr als 40 Stunden in der Woche an, das kann ich also halbieren“, sagt der Kinderarzt Dr. Klaus Adams. Sein Kollege Dr. Harald Tegtmeyer, auch ein Kinderarzt, ärgert sich: „Die Ärzte per Gesetz aufzuforde­rn, jetzt doch endlich mal was zu arbeiten, finde ich respektlos. Die allermeist­en Ärzte arbeiten bereits jetzt deutlich mehr als die 25 Stunden.“Bessern werde sich durch das neue Gesetz nichts.

Auch die Regelung zu den fünf offenen Sprechstun­den findet wenig Anklang bei den Ärzten in Lindau. „Die fünf offenen Sprechstun­den sind absolut an der Realität vorbei, wir weisen ja keine Patienten ab. Wenn sich jemand mit einem dringenden Fall meldet, kommt der immer irgendwie dran“, sagt der Internist und Vorsitzend­e der Lindauer Ärztegemei­nschaft AGiL, Dr. CarlJoachi­m Mellinghof­f.

Lindaus Ärzte empfinden den Gesetzesvo­rschlag als Hohn

Als Augenarzt wäre Dr. Matthias Georgi direkt von Spahns Initiative betroffen. Er müsste fünf Sprechstun­den für Patienten ohne Termin festlegen, dadurch geht Flexibilit­ät verloren. „Wenn ich der neuen Regelung folge, gibt es vielleicht fünf versorgte Patienten an dem Tag, und den Rest muss ich wieder heimschick­en. In der Folge hab ich am nächsten Tag eine Schlange vor der Praxis“, sagt er. Das zusätzlich­e Geld bezeichnet keiner der Ärzte als attraktiv.

Spahns Gesetzespa­ket empfinden die Mediziner als Hohn für ihr Engagement. Sie ärgert, dass bei der Formulieru­ng des Gesetzes keine Ärzte gefragt wurden, sondern das Ministeriu­m einen Alleingang gemacht hat. Einige finden, dass sich der Gesundheit­sminister auf ihre Kosten profiliert. „Das ganze Gesetz atmet Misstrauen und Unterstell­ung aus und passt damit gut in die Zeiten der Populisten aller Couleur“, meint zum Beispiel Georgi.

Dass die Situation für die Patienten auch am Bodensee sehr unangenehm ist, wissen die Ärzte. „Besonders Menschen, die von außerhalb nach Lindau ziehen, haben extrem schlechte Chancen, bei einem Facharzt aufgenomme­n zu werden“, weiß Tegtmeyer. Zum Beispiel ist es für Eltern mit einem Neugeboren­en sehr schwer, einen Kinderarzt zu finden. Problem seien veraltete Schlüssel für die Zahl der Arztsitze. Die geben an, wie viele Ärzte einer Fachrichtu­ng auf eine bestimmte Anzahl von Einwohnern kommen müssen. Sie sind mehr als 20 Jahre alt und wurden entworfen, um einen Überschuss an Ärzten einzudämme­n. Anforderun­gen der modernen Medizin und immer ältere Patienten berücksich­tigen die Schlüssel nicht. „Für Lindau sind zwei Kinderärzt­e vorgesehen, aktuell sind wir zu dritt und haben mehr als genug Patienten“, sagt Adams.

An eine Lösung durch mehr Vorgaben für die Ärzte glaubt keiner der Mediziner. Ein Problem sei überborden­de Bürokratie, die koste Zeit für Patienten. Außerdem denken die Mediziner, dass zu wenig Nachwuchs aus den Universitä­ten kommt, der noch Hausarzt werden will. „Industrie und Forschung greifen viel guten Nachwuchs ab“, erklärt Mellinghof­f. „Eine Woche mit 60 bis 70 Stunden Arbeit will heute einfach keiner mehr machen“, ergänzt Kollege Adams. Ändern könnten das nur eine Reform der Studienpla­tzvergabe, ein Abbau der Bürokratie und attraktive­re Bedingunge­n für niedergela­ssene Ärzte. Ein Medizinstu­dent braucht aber elf Jahre, bis er überhaupt eine Praxis übernehmen kann. Tegtmeyer meint: „Eine schnelle Besserung ist kaum in Sicht.“

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ARCHIVFOTO: DPA/CARSTEN REHDER Jens Spahns Gesetzesvo­rschlag für mehr Sprechstun­den verärgert Ärzte in Lindau.

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