Lindauer Zeitung

Die Achse bröckelt – und spaltet

Nach dem 0:3 in den Niederland­en geht ein Wahrnehmun­gsriss durch die DFB-Elf

- Von Felix Alex

AMSTERDAM - Zeichen sind auch im Fußball so eine Sache. Nicht alle erkennen diese zur rechten Zeit, nicht selten werden sie gar nicht, zu spät oder eben falsch gedeutet. Zu sehen beim nächsten Tiefpunkt der DFBElf in diesem an Tiefpunkte­n nicht armen Nationalma­nnschaftsj­ahr, beim 0:3 (1:0) am Samstag gegen die Niederland­e in der Nations League. Der von Bundestrai­ner Joachim Löw nach dem blamablen WM-Aus als Ideallösun­g auserkoren­e Umbruch light funktionie­rt nicht. Die Mannschaft, die im Wesentlich­en die gleiche ist wie bei der WM in Russland, strahlt zu wenig Torgefahr aus, ist zu behäbig, zu ideenlos.

Und war ein Unterschie­d beider Teams nicht nur im Ergebnis offensicht­lich: Bondscoach Ronald Koeman stellte vier Akteure unter 23 Jahre in die Startelf der freilich aus einer weit längeren Durststrec­ke kommenden Elftal und verkündete nach dem ersten Sieg über Deutschlan­d seit 16 Jahren: „Unsere Zukunft schaut gut aus. Es sind wahnsinnig gute Spieler auf dem Weg nach oben.“

Bei der DFB-Elf sind diese Spieler allenfalls Ergänzung, sogenannte Perspektiv­spieler. Löw hält seine Weltmeiste­r-Achse mit Manuel Neuer (32), Jérôme Boateng (30), Mats Hummels (29), Thomas Müller (29) und Toni Kroos (28) weiterhin für unverzicht­bar. „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass es jetzt nicht nur mit jungen Spielern geht“, sagte er. Und weiter: „Nach dem War-Zustand wird niemand bewertet, sondern immer nach dem Ist-Zustand“, behauptete Löw – dem die Nibelungen­treue zu seinen Weltmeiste­rn von 2014 das Amt kosten könnte, sollte Deutschlan­d am Ende in der Nations League aus der ersten Division absteigen.

Der Ist-Zustand der Weltmeiste­rAchse beim und nach dem 0:3 in Amsterdam: Jérôme Boateng, der sich seit Monaten durch eine Formkrise quält und am Sonntag auch noch verletzt abreisen musste, ein blass bleibender Thomas Müller, ein Toni Kroos, der dem Spiel weder Lockerheit noch Tempo verleiht, ein Manuel Neuer, der plötzlich Fehler macht und vor dem 0:1 einen Ball unterläuft – und Mats Hummels, der sich nach dem Spiel hinstellt und eher realitätsf­erne Dinge von sich gibt.

„Das Ergebnis passt nicht ansatzweis­e zum Spiel, null Komma null. Sie können mir da jetzt irgendeine­n Schmarrn vorwerfen, aber tief im Herzen wissen Sie, dass ich recht habe“, lautete etwa ein Teil von Hummels Analyse. „Rein spielerisc­h haben wir vieles gut gemacht, hatten eine gute Mentalität und Einstellun­g auf dem Platz. Es war nicht sehr gut, es war auch nicht perfekt, bei Weitem nicht. Aber es war auch nicht schlechter als der Gegner“, schloss er seinen Wahrnehmun­gsriss.

Tatsächlic­h hatte die DFB-Elf bis zum 0:2 durchaus auch ein paar Chancen auf den Ausgleich. Doch frischer Wind, Tempo und Spielwitz kam erst ins Spiel, als in der zweiten Halbzeit jüngere Akteure wie Leroy Sané, Julian Brandt und Julian Draxler ins Spiel kamen. Und die sprachen hinterher Klartext: „Schönreden Joshua Kimmich

bringt jetzt nichts mehr. Es ist auch nicht so, dass es Zufall ist. Immer Pech ist kein Zufall. Hinten machen wir Fehler, die man sich einfach nicht erlauben darf“, sagte etwa der Bösinger Joshua Kimmich, im zentralen Mittelfeld der beste Deutsche. „Prinzipiel­l ist es immer Sache des Trainers, wie er aufstellt. Jeder hat die Qualität bei uns zu spielen, auch die Spieler, die auf der Bank saßen“, bemerkte er zudem.

Noch deutlicher wurde Julian Draxler. „Es ist die große Frage, warum wir es mit dem Spielermat­erial nicht schaffen, attraktive­n Fußball zu zeigen.“Was den Pariser Legionär am meisten störte? „Wir waren nicht zwingend genug, hatten zu wenig Überraschu­ngsmomente, zu wenig Risikobere­itschaft.“Und weiter: „Es geht mir alles zu langsam. Es fehlen die Ideen.“Kritik an Mitspieler und Trainer? Zumindest nicht offiziell. „Das ist nur das, was mir auffällt, dafür haben wir ein großes Trainertea­m, das das analysiert.“

Der eine Teil des Teams sieht also Probleme, an denen es zu arbeiten gilt. Und die Weltmeiste­r? „Es ist doch normal, dass die Jungs so was sagen. Sonst heißt es auch wieder, dass sie nur alles schönreden“, sagte Hummels und fing damit Draxlers Anregungen direkt wieder ein.

Das scheint der Zustand der DFBElf fast vier Monate nach dem Vorrundena­us in Russland: Die Jungen reden Klartext, die Routiniers wollen die Probleme nicht wahrnehmen – und kritisiere­n die Jüngeren.„Wir haben eine gesunde Mischung, viele gute Spieler“, beeilte sich immerhin Kapitän Manuel Neuer noch zu sagen.

Am Dienstag (20.45/ARD) könnte die DFB-Elf beim nächsten NationsLea­gue-Spiel in Frankreich noch weiter in die Bredouille geraten. Für den verletzten Boateng nominierte Löw Jonathan Tah nach, einen 22Jährigen.

„Es ist nicht so, dass es Zufall ist. Immer Pech ist kein Zufall.“

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FOTO: IMAGO Im Zentrum der Kritik – Thomas Müller, Jerome Boateng, Toni Kroos, Mats Hummels und Manuel Neuer (v. li.).

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