Bayern ist tief gespalten zwischen Land- und Stadtvolk
Das wirtschaftliche Gefälle ist so ausgeprägt wie seit Jahrzehnten nicht
(lby) - Die Wahlergebnisse sprechen eine klare Sprache: Politisch ist Bayern nicht ein Freistaat, sondern zwei. Zwar haben sich die Lebensverhältnisse in Stadt und Land in den vergangenen Jahrzehnten angeglichen, ehedem wirtschaftlich rückständige Regionen in Niederbayern, der Oberpfalz und Teilen Oberbayerns sind heute blühende Landschaften. Doch die seit jeher unterschiedliche politische Orientierung von Stadt- und Landvolk hat sich keineswegs angeglichen – eher im Gegenteil.
Die CSU war in den Großstädten schon immer schwächer als auf dem Land, doch ein Ergebnis von 16,1 Prozent wie im Stimmkreis MünchenMitte mussten die Christsozialen noch nie verkraften. Die CSU holte in nur noch 31 der 91 Stimmkreise über 40 Prozent – von Ausnahmen wie Passau abgesehen die Mehrheit davon in ländlich geprägten Regionen. 2005 erteilte Seehofers Vorvorgänger Edmund Stoiber der damaligen Justizministerin Beate Merk den Auftrag, die CSU attraktiv für Großstädter zu machen. 2009 gründete die CSU-Landtagsfraktion eine Arbeitsgruppe Großstädte, deren Wirken keine messbaren Ergebnisse hinterließ.
Die CSU teilt sich nun quasi die Rolle einer Landpartei mit Freien Wählern und AfD. Bei den Freien Wählern ist das Stadt-Land-Gefälle ebenso ausgeprägt: In NürnbergWest mit 3,9 Prozent unter der FünfProzent-Hürde, im niederbayerischen Kelheim 24,6 Prozent. Die Rechtspopulisten von der AfD holten vor allem im Bayerischen Wald und einigen ländlichen schwäbischen Kreisen überdurchschnittliche Ergebnisse.
Bei den Grünen hingegen ist das umgekehrte Phänomen zu beobachten. In der Landeshauptstadt München sind sie stärkste Kraft mit 30,3 Prozent, in Ostbayern liegen sie vielerorts 20 Prozentpunkte schlechter. Die SPD war auf dem Land in Bayern immer schon schwach. Das erklärt, warum ein Einbruch in den Städten die Sozialdemokraten nun landesweit unter zehn Prozent sacken ließ.
Mit ländlichen Themen punkten
Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann verweist darauf, dass seine Partei auf dem Lande ebenfalls viel Boden gut gemacht hat und sich inzwischen auch in ostbayerischen Regionen den zehn Prozent nähert. „Der Zugewinn in den ländlichen Räumen kommt über die ländlichen Themen“, meint Hartmann, mit 44 Prozent in München-Mitte grüner Stimmenkönig.
Die Gründe für die andauernde politische Kluft sind nicht unmittelbar ersichtlich. Im Königreich Bayern ging die politische Spaltung noch einher mit unterschiedlichen Lebenswelten: Die Landbevölkerung wohnte in ärmlichen Verhältnissen. München und Nürnberg waren auch vor dem Ersten Weltkrieg schon moderne Großstädte, industrielle Inseln in einem Agrarstaat. Dementsprechend war das Land politisch schwarz, die Städte rot. Doch krasse Einkommensunterschiede gibt es heute nicht mehr. „Die unterschiedliche Kaufkraft hat sich sehr stark angenähert“, sagt Grünen-Fraktionschef Hartmann.
Die Wahlergebnisse legen zumindest die Vermutung nahe, dass Zugereiste auf dem Land anders wählen als Zugereiste in der Stadt. „Das Lebensgefühl ist unterschiedlich“, sagt Freie-Wähler-Generalsekretär Michael Piazolo, im neuen Landtag mutmaßlich einziger städtischer Abgeordneter seiner Partei. Piazolo sieht das bayerische Wahlsystem als einen Faktor, der das Stadt-Land-Gefälle verstärkt. Anders als bei Bundestagswahlen haben auch auf den Listenplätzen Kandidaten aus den jeweiligen Hochburgen der Parteien bessere Chancen. „Das Wahlsystem stärkt die Starken und schwächt die Schwachen“, sagt Piazolo.