Lindauer Zeitung

Bayern ist tief gespalten zwischen Land- und Stadtvolk

Das wirtschaft­liche Gefälle ist so ausgeprägt wie seit Jahrzehnte­n nicht

- Von Carsten Hoefer

(lby) - Die Wahlergebn­isse sprechen eine klare Sprache: Politisch ist Bayern nicht ein Freistaat, sondern zwei. Zwar haben sich die Lebensverh­ältnisse in Stadt und Land in den vergangene­n Jahrzehnte­n angegliche­n, ehedem wirtschaft­lich rückständi­ge Regionen in Niederbaye­rn, der Oberpfalz und Teilen Oberbayern­s sind heute blühende Landschaft­en. Doch die seit jeher unterschie­dliche politische Orientieru­ng von Stadt- und Landvolk hat sich keineswegs angegliche­n – eher im Gegenteil.

Die CSU war in den Großstädte­n schon immer schwächer als auf dem Land, doch ein Ergebnis von 16,1 Prozent wie im Stimmkreis MünchenMit­te mussten die Christsozi­alen noch nie verkraften. Die CSU holte in nur noch 31 der 91 Stimmkreis­e über 40 Prozent – von Ausnahmen wie Passau abgesehen die Mehrheit davon in ländlich geprägten Regionen. 2005 erteilte Seehofers Vorvorgäng­er Edmund Stoiber der damaligen Justizmini­sterin Beate Merk den Auftrag, die CSU attraktiv für Großstädte­r zu machen. 2009 gründete die CSU-Landtagsfr­aktion eine Arbeitsgru­ppe Großstädte, deren Wirken keine messbaren Ergebnisse hinterließ.

Die CSU teilt sich nun quasi die Rolle einer Landpartei mit Freien Wählern und AfD. Bei den Freien Wählern ist das Stadt-Land-Gefälle ebenso ausgeprägt: In NürnbergWe­st mit 3,9 Prozent unter der FünfProzen­t-Hürde, im niederbaye­rischen Kelheim 24,6 Prozent. Die Rechtspopu­listen von der AfD holten vor allem im Bayerische­n Wald und einigen ländlichen schwäbisch­en Kreisen überdurchs­chnittlich­e Ergebnisse.

Bei den Grünen hingegen ist das umgekehrte Phänomen zu beobachten. In der Landeshaup­tstadt München sind sie stärkste Kraft mit 30,3 Prozent, in Ostbayern liegen sie vielerorts 20 Prozentpun­kte schlechter. Die SPD war auf dem Land in Bayern immer schon schwach. Das erklärt, warum ein Einbruch in den Städten die Sozialdemo­kraten nun landesweit unter zehn Prozent sacken ließ.

Mit ländlichen Themen punkten

Grünen-Fraktionsc­hef Ludwig Hartmann verweist darauf, dass seine Partei auf dem Lande ebenfalls viel Boden gut gemacht hat und sich inzwischen auch in ostbayeris­chen Regionen den zehn Prozent nähert. „Der Zugewinn in den ländlichen Räumen kommt über die ländlichen Themen“, meint Hartmann, mit 44 Prozent in München-Mitte grüner Stimmenkön­ig.

Die Gründe für die andauernde politische Kluft sind nicht unmittelba­r ersichtlic­h. Im Königreich Bayern ging die politische Spaltung noch einher mit unterschie­dlichen Lebenswelt­en: Die Landbevölk­erung wohnte in ärmlichen Verhältnis­sen. München und Nürnberg waren auch vor dem Ersten Weltkrieg schon moderne Großstädte, industriel­le Inseln in einem Agrarstaat. Dementspre­chend war das Land politisch schwarz, die Städte rot. Doch krasse Einkommens­unterschie­de gibt es heute nicht mehr. „Die unterschie­dliche Kaufkraft hat sich sehr stark angenähert“, sagt Grünen-Fraktionsc­hef Hartmann.

Die Wahlergebn­isse legen zumindest die Vermutung nahe, dass Zugereiste auf dem Land anders wählen als Zugereiste in der Stadt. „Das Lebensgefü­hl ist unterschie­dlich“, sagt Freie-Wähler-Generalsek­retär Michael Piazolo, im neuen Landtag mutmaßlich einziger städtische­r Abgeordnet­er seiner Partei. Piazolo sieht das bayerische Wahlsystem als einen Faktor, der das Stadt-Land-Gefälle verstärkt. Anders als bei Bundestags­wahlen haben auch auf den Listenplät­zen Kandidaten aus den jeweiligen Hochburgen der Parteien bessere Chancen. „Das Wahlsystem stärkt die Starken und schwächt die Schwachen“, sagt Piazolo.

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FOTO: DPA Mutmaßlich einziger städtische­r Abgeordnet­er der Freien Wähler: Michael Piazolo.

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