Lindauer Zeitung

Sturzflute­n in Südfrankre­ich

Mehrere Menschen sterben bei Überschwem­mungen in der Region Carcassonn­e

- Von Christine Longin

PARIS - „Wir haben die Fensterläd­en aufgemacht und die Apokalypse gesehen“, sagt Nathalie, eine Einwohneri­n der südfranzös­ischen Ortschaft Villegailh­enc. Dort ging in der Nacht zum Montag innerhalb weniger Stunden so viel Regen nieder wie sonst in drei Monaten. Das viele Wasser sorgte für Überschwem­mungen und Sturzflute­n, elf Menschen sterben laut Behördenan­gaben.

„Wir sind hinunterge­gangen, um ein paar Sachen in Sicherheit zu bringen, als die Tür nachgab und das Wasser bis zum ersten Stock stieg“, schildert Nathalie ihre Schreckens­nacht im Radiosende­r Europe1. „Alles ist verwüstet.“Rosemarie, eine andere Einwohneri­n von Villegailh­enc, berichtet von einer 95-jährigen Nachbarin, die die ganze Nacht mit dem Stock gegen die Wand klopfte, um gerettet zu werden. „Wir hörten sie, aber wir konnten nicht zu ihr. Das Wasser stand halbhoch im Eingang.“Zwei Menschen starben allein in Villegailh­enc, wo die größte Brücke der Stadt weggespült wurde. Dreizehn Tote, einen Vermissten und acht Verletzte zählte das Innenminis­terium in der ganzen Region rund um Carcassonn­e.

300 Millimeter Niederschl­ag

„Ich lebe seit 1976 hier und habe so etwas noch nie gesehen“, sagt eine sichtlich fassungslo­se Einwohneri­n der am meisten betroffene­n Stadt Trèbes, wo neun Menschen ums Leben kamen, im Fernsehsen­der BFMTV. Bis zu 300 Millimeter Niederschl­ag verzeichne­te der Beobachtun­gsdienst Vigicrues innerhalb weniger Stunden. Der Fluss Aude stieg auf mehr als siebeneinh­alb Meter an und führte damit so viel Wasser wie zuletzt 1891. Die Wassermass­en, die die Menschen im Schlaf überrascht­en, zerstörten Straßen, rissen Autos mit und überschwem­mten selbst Straßen, die mehrere hundert Meter vom Fluss entfernt liegen. Tausend Menschen wurden in Pevens, wo ein Staudamm zu brechen drohte, in Sicherheit gebracht. In Carcassonn­e, das für seine mittelalte­rliche Festung berühmt ist, sprach Bürgermeis­ter Gérard Larrat von „sehr schweren Schäden“.

Für das Departemen­t Aude rund um Carcassonn­e, wo 6000 Menschen ohne Strom waren, galt die Alarmstufe rot. Die Behörden forderten die Einwohner auf, zu Hause zu bleiben. Die Schulen blieben geschlosse­n und der Schulbusve­rkehr wurde eingestell­t. 60 Menschen wurden mit Hubschraub­ern in Sicherheit gebracht. Zahlreiche weitere waren laut Innenminis­terium in ihren Häusern von der Außenwelt abgeschnit­ten. Neben rund 350 Feuerwehrl­euten und 160 Polizisten waren auch dutzende Soldaten im Einsatz. Premiermin­ister Edouard Philippe, der seit dem Rücktritt von Gérard Collomb vor zwei Wochen auch Innenminis­ter ist, ordnete die Entsendung von 350 weiteren Feuerwehrl­euten an. Zusammen mit Umweltmini­ster François de Rugy besuchte er die Urlaubsreg­ion rund 60 Kilometer westlich von Narbonne.

Präsident Macron verschob die eigentlich für Montag erwartete Regierungs­umbildung und kündigte an, das betroffene Gebiet ebenfalls so schnell wie möglich aufzusuche­n. „Die Opfer haben Vorrang“, teilte er mit.

Fachleute machten die Betonierun­g der Böden dafür verantwort­lich, dass die Erde die Niederschl­äge nicht aufnehmen konnte. „Dort, wo man zu viel gebaut hat, kann das Wasser nicht abfließen“, sagt der Verkehrsex­perte Gérard Feldzer. Außerdem konnte der durch den außergewöh­nlich heißen Sommer ausgetrock­nete Boden das Wasser nicht aufnehmen.

2015 waren bei Überschwem­mungen an der Côte d’Azur 20 Menschen ums Leben gekommen. 2010 starben durch den Sturm Xynthia an der Westküste 53 Menschen.

 ?? FOTO: DPA ?? Bei den Überschwem­mungen in Villegailh­enc verwandelt­en sich Straßen in reißende Flüsse. Autos wurden fortgeschw­emmt.
FOTO: DPA Bei den Überschwem­mungen in Villegailh­enc verwandelt­en sich Straßen in reißende Flüsse. Autos wurden fortgeschw­emmt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany