Die CSU verliert ein Urgestein
Wilfried Scharnagl war ein enger Vertrauter Strauß ’ – Gesicht des „Bayernkurier“
MÜNCHEN (AFP) - CSU-Urgestein Wilfried Scharnagl ist tot. „Scharnagl schreibt, was Strauß denkt, Strauß denkt, was Scharnagl schreibt“, sagte Franz Josef Strauß, der Übervater der Christsozialen, über seinen Intimus. Kurz vor seinem Tod hatte dieser sich betrübt über den Zustand seiner Partei gezeigt. Der Ruf von Scharnagl ist untrennbar mit Strauß und dem CSUParteiblatt „Bayernkurier“verbunden. 24 Jahre, von 1977 bis 2001, war er dessen Chefredakteur. In dieser Zeit entstand der Ruf der „Schwarzen Prawda“, also ein Zentralorgan Bayerns, wie es die Prawda in der Sowjetunion unter Leonid Breschnew war.
Scharnagl war mit Strauß bei vielen Begegnungen mit Staatschefs. Etwa, als dieser in China Deng Xiaoping traf. Er saß mit in der Cessna, die der damalige bayerische Ministerpräsident 1987 eigenhändig nach Moskau flog, um dort den Präsidenten Michail Gorbatschow zu treffen.
Bei dem Gespräch antwortete der einstige Wehrmachtssoldat Strauß auf die Frage von Gorbatschow, ob er das erste Mal in der Sowjetunion sei: „Nein, das zweite Mal. Das erste Mal kam ich nur bis Stalingrad.“Eine historische Anekdote, die sie sich in der CSU in wehmütigen Momenten mit glänzenden Augen erzählen.
In knapp zwei Wochen hätte der aus dem Sudetenland stammende Scharnagl seinen 80. Geburtstag gefeiert. Schon in den vergangenen Wochen fehlte der seit längerer Zeit an Krücken gehende Scharnagl ungewöhnlich häufig im CSU-Vorstand, dem er auch nach Strauß’ Tod als kooptiertes Mitglied weiter angehören durfte. 2014 spannte die CSUSpitze den Historiker zudem an der Seite von Peter Gauweiler als Lokomotive für den Europa-Wahlkampf ein – doch das wortmächtige Granteln über Brüssel kam bei den Wählern nicht an, die CSU fuhr eine Rekordpleite ein. Scharnagl war so etwas wie die personifizierte Brücke in die Strauß-Vergangenheit, ein schlechtes Verhältnis hätte sich kein CSU-Chef erlauben können.
Scharnagl besaß den letzten BMW von Strauß, erst im vergangenen Jahr verkaufte er ihn an den Parteigenossen und jetzigen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Von den Strauß-Kindern bekam Scharnagl nach dessen Tod seine Uhr geschenkt, die behielt der Journalist.
Scharnagl fürchtete Wahlpleite
Im „Spiegel“sprach Scharnagl kürzlich von der Traurigkeit, die ihn noch immer wegen des Tods von Strauß im Jahr 1988 überkomme. Ähnlich äußerte er sich über die CSU. „Die Entwicklung meiner Partei macht mich traurig“, sagte er in Vorausschau auf das drohende und dann auch eingetretene Wahldesaster. Scharnagl fand in dem Gespräch mit dem „Spiegel“, dass Seehofer noch immer viel zu milde mit CDU-Chefin Angela Merkel umgehe. „Es muss mal krachen“, forderte der enge Beobachter der Kämpfe von Strauß mit CDU-Chef Helmut Kohl.
Doch bei aller Wertschätzung und nostalgischen Verehrung - diesen Ratschlag wird der angeschlagene Seehofer kaum befolgen. So wenig wie die CSU-Spitze 2012 folgte, als Scharnagl sein letztes für Aufsehen sorgendes Buch veröffentlichte. „Bayern kann es auch allein“, schrieb er damals ein Plädoyer für den eigenen Staat. Fraglich ist allerdings, ob das wirklich auch Strauß gewollt hätte.