Lindauer Zeitung

Der grüne Wahlerfolg und Kretschman­ns Beitrag

Am Essay des Ministerpr­äsidenten zur Idee des Konservati­ven wird sichtbar, wie sehr die Grünen in die Mitte der Gesellscha­ft gerückt sind

- Von Daniel Hadrys

RAVENSBURG - Nun also auch Bayern. Die Grünen haben auf ihrem Höhenflug zum Ende der absoluten Mehrheit der CSU beigetrage­n. Mit 17,5 Prozent haben sie bei der aktuellen Landtagswa­hl ihr Ergebnis im Vergleich zu 2013 verdoppelt – in einem Bundesland, in dem die CSU fast durchgängi­g allein regiert hatte. In Baden-Württember­g stellen die Grünen seit 2011 mit Winfried Kretschman­n den Ministerpr­äsidenten – nach Jahrzehnte­n voller CDU-Regierungs­chefs. Kretschman­n empfiehlt auch der CSU eine Koalition mit den grünen Nachbarn.

Eine solche Koalition ist im Jahre 2018 längst vorstellba­r. Deutlich wird das nach der Lektüre von Kretschman­ns jüngst veröffentl­ichtem Essay „Worauf wir uns verlassen wollen – Für eine neue Idee des Konservati­ven“. Darin wird auch klar, warum die Grünen – ehemaliges Feindbild der Christsozi­alen – in Bayern Alternativ­e für gut 190 000 CSU-Wähler waren. Kretschman­n macht sich auf gut 140 Seiten einen Begriff zu eigen, den die Union innerhalb der politische­n Landschaft Deutschlan­ds bislang für sich beanspruch­t: den des Konservati­ven.

Während CDU und CSU nach wie vor über die Definition des Begriffs streiten, veranschau­licht der grüne Ministerpr­äsident, was er mit „Konservati­v“meint. Kretschman­n leitet das Wort vom lateinisch­en „conservare“ab – also dem Bewahren. Natürlich hat er bei einem Grünen eine ökologisch­e Note. Doch lädt der 70Jährige sein Verständni­s von „Bewahren“auch religiös auf: „Und wir dürfen nicht vergessen: Gottes Schöpfung, die evolvieren­de Natur, haben wir vorgefunde­n, nicht gemacht. Jede einzelne Art besitzt einen Wert für sich – in einer Weise, die sich der klassische­n Kosten-Nutzen-Rechnung entzieht.“

Landschaft statt Leitkultur

Wer „Landschaft, Klima und Natur schützt, schützt Heimat“, schreibt Kretschman­n. Damit assoziiere er die Schwäbisch­e Alb und die „Landschaft­en meiner Kindheit“. Diese Idee von Heimat dürfte für Menschen von der Ostalb bis ins Allgäu greifbarer sein als jede Diskussion über eine „Leitkultur“. Einem solch romantisie­rten Lokalpatri­otismus schwört niemand ab. Doch bei Heimat, betont Kretschman­n, gehe es nicht um die populistis­che Idee der „Volksgemei­nschaft“, sondern um „Vielfalt und Zusammenha­lt“. Konservati­v ist bei Kretschman­n, eine heterogene Gesellscha­ft vor dem „überborden­den Individual­ismus“zu bewahren.

Mit dieser Grundmotiv­ation ist Kretschman­n der Spagat zwischen grünem Idealismus und Realpoliti­k gelungen – was nicht allen Parteifreu­nden gefällt. Hingegen ist er damit Vorbild für all jene, die auf einen pragmatisc­hen Kurs setzen. Die Grünen des 21. Jahrhunder­ts wären nicht so erfolgreic­h, würde es nicht auch Schnittmen­gen mit anderen Parteien geben.

Ein Beispiel: Kretschman­ns Haltung zur Autoindust­rie. Wenn er für eine „Politik des Und“, also der Verbindung von Ökonomie und Ökologie plädiert, löst er auch seinen Widerspruc­h auf, als Umweltschü­tzer wirtschaft­sfreundlic­he Politik im Autoland Baden-Württember­g zu machen.

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FOTO: DPA Umweltschu­tz ist für Baden-Württember­gs Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n Heimatschu­tz – und ein konservati­ver Wert.

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