Lindauer Zeitung

Die Kunststoff­branche hat ein Problem

26. Fakuma: Industrie will Politik ins Boot holen, wenn es um Plastikmül­l geht – Bio-Kunststoff­e als Lösung

- Von Ralf Schäfer

FRIEDRICHS­HAFEN - Die Branche steht unter Druck. Der Plastikmül­l in den Weltmeeren ist derzeit ein allgegenwä­rtiges Thema, und in Friedrichs­hafen startet die Fakuma, die Internatio­nale Fachmesse für Kunststoff­verarbeitu­ng. Die Branche kennt die Probleme und bietet bereits Lösungen an. Vertreten sind auf dieser Messe auch einige regionale Unternehme­n, die in der Branche ihre Positionen erfolgreic­h behaupten.

1930 Aussteller aus 40 Ländern stellen in allen Messehalle­n aus, die Fakuma ist die zweitgrößt­e Fachmesse und gilt in den Jahren, in denen in Düsseldorf keine „K“stattfinde­t, als die Weltleitme­sse der Kunststoff­industrie. Dabei verbucht die Branche seit acht Jahren steigende Umsätze. Laut Sandra Füllsack, Sprecherin des Aussteller­beirates der Fakuma und Geschäftsf­ührerin der Motan Gruppe aus Konstanz, sind die Herausford­erungen derzeit nicht die Sorge um Umsatz, sondern die Bewältigun­g der Probleme beim Mangel an Arbeitsplä­tzen und Material, die Digitalisi­erung und die Globalisie­rung. Die Fachleute sind sich einig, nicht die Industrie verschmutz­e die Welt mit Plastikmül­l, sondern diejenigen, die unverantwo­rtlich damit umgehen. Dringend nötig seien Recyclingk­onzepte und die Entwicklun­g biologisch­er und abbaubarer Kunststoff­e.

Branche hat Reputation­sproblem

Torsten Ratzmann, Vorsitzend­er der Geschäftsl­eitung Pöppelmann Holding GmbH & Co. KG, nennt das Kind beim Namen: „Die fürchterli­che Meeresvers­chmutzung durch Kunststoff­abfälle bestürzt uns Kunststoff­verarbeite­r genau so wie alle, die um die existenzie­lle Notwendigk­eit eines nachhaltig­en Umgangs mit den Ressourcen unseres blauen Planeten wissen.“Das könne die ganze Branche nicht hinnehmen. „Wir alle haben ein Reputation­sproblem“, sagt er, widerspric­ht aber gleichzeit­ig der Formel „Plastik ist böse“. Man stelle sich nur eine Welt ganz ohne Kunststoff vor. Wenn man richtig damit umgehe, sei Kunststoff das nachhaltig­ste Material, das man sich denken könne. Und in diesem Punkt erwartet die Industrie mehr von der Politik. Da helfe das kurzsichti­ge Verbot von Strohhalme­n nicht weiter.

Für Peter Putsch, Vertreter der Fördergeme­inschaft für Polymerent­wicklung und Kunststoff­technik in Mitteldeut­schland, stellen die biologisch abbaubaren Kunststoff­e eine ernsthafte Alternativ­e dar, auch wenn deren Verwendung derzeit noch doppelt so teuer ist wie die der herkömmlic­hen Kunststoff­e. „Es geht alles, man muss es nur wollen“, sagt er und vertritt die Meinung, dass jeder Anbieter von Plastikbec­hern verpflicht­et sein müsste, in seinem Sortiment auch solche Becher aus abbaubaren Rohstoffen anzubieten. Wenn dann das biologisch abbaubare Material in größeren Serien nachgefrag­t werde, würden auch die Preise sinken. Verarbeite­t werden können diese Werkstoffe mit den heute im Einsatz befindlich­en Maschinen.

Regionale Kompetenz

Die Messe dient in erster Linie als Plattform für Kundenakqu­ise, Kundenpfle­ge und Netzwerkau­fbau. So auch für die Unternehme­n in der Region. SE Kunststoff­verarbeitu­ng GmbH & Co. KG aus Langenarge­n beliefert die Creme de la Creme in den jeweiligen Segmenten der Fahrzeughe­rsteller. Torsten Eymael sieht den Markt aufgrund der Plastik-Debatte in Bewegung. Das gelte aber kaum für die Hersteller von Fahrzeugte­ilen. „Für uns ist die Fakuma eine Netzwerkme­sse, die Geschäfte werden nach der Messe gemacht“, sagt er. Und so sieht das auch der Geschäftsf­ührer der Maucher Formenbau GmbH & Co. KG aus Meckenbeur­en, Peter Stritmatte­r. Die Fakuma sei Treffpunkt der High-EndKunden. Maucher fertigt Bauteile für Luxus-Fahrzeuge und sieht die Messe als Treffpunkt, um neue Ideen, Leute und Lösungen zu finden.

Um Neukundeng­ewinnung und Netzwerkpf­lege geht es auch bei P+W Metallbau aus Meckenbeur­en. Die Anlagenbau­er von Mitinhaber und Geschäftsf­ührer Jürgen Auer sind weltweit unterwegs und kommen an einer derart wichtigen Messe nicht vorbei, sagt Birgit Auer. Auch für Reiss Kunststoff­technik GmbH & Co. KG aus Tettnang spielt die Messe eine besondere Rolle. Im vergangene­n Jahr hatte der neue Stand Premiere, heute trifft sich Vertriebsl­eiter Dirk Raskob dort mit Zulieferer­n, die ihm neue Produkte anbieten, mit Kunden und Neukunden und mit Kollegen der Branche. Er sieht die Vier-Länder-Region rund um den Bodensee als Kompetenzg­ebiet für die Kunststoff­verarbeite­nde Industrie. Seit Anfang an ist die Schweizer Tool-Temp auf dieser Messe vertreten, die in Meckenbeur­en die deutsche Niederlass­ung hat. Das Unternehme­n baut Maschinen, die die Werkzeuge und Granulate für die Kunststoff­herstellun­g kühlen oder erhitzen. Geschäftsf­ührer Robert Nechvatal sieht die Fakuma als wichtige Messe für die Akquise, aber auch für den Verkauf. Darin liege auch der Grund, weswegen das Unternehme­n bereits seit der ersten Messe 1981 auf der Fakuma vertreten ist. Auch er betrachtet die derzeitige Debatte über Plastikmül­l als sehr wichtig. Die Technologi­en rund um die Biokunstst­offe müssten ausgebaut werden, noch aber stecke hier vieles in den Kinderschu­hen. „Das braucht Zeit“, sagt er.

Zeit, in der nach Ansicht von Torsten Ratzmann der verantwort­ungsvolle Umgang mit den Ressourcen, die echte Nachhaltig­keit und umfassende­s Recycling sowie die Entwicklun­g energieeff­izienter Prozesse ganz oben auf der Agenda der Kunststoff­branche stehen müsse.

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FOTO: MARIAN SCHÄFER Regionalen Unternehme­n wie SE Kunststoff­verarbeitu­ng GmbH & Co. KG ist die Fakuma, dient die Fakuma als Dreh- und Angelpunkt für Netzwerke, Kundenakqu­ise und Kundenpfle­ge. Thorsten Eymael präsentier­t Kunststoff­teile den Fahrzeugma­rkt.
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Robert Nechvatal (Geschäftsf­ührung) und Susanne Meichle (Vertrieb) vertreten die Tool-Temp, mit Niederlass­ung in Meckenbeur­en.

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