Lindauer Zeitung

Warum Spahn Hebammen an die Hochschule schicken will

- Von Petra Sorge und Ulrich Mendelin

Hochschula­bschlüsse für angehende Geburtshel­fer: Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will ein duales Studium für Hebammen zur Regel machen. Geplant sind akademisch­e und praktische Kurse mit Bachelor-Abschluss. Die Zahlung einer Ausbildung­svergütung soll weiter möglich sein.

In allen anderen EU-Staaten begleiten längst Akademiker­innen Schwangere vor, während und nach der Geburt. In Deutschlan­d werden die meisten Hebammen dagegen an staatlich anerkannte­n Hebammensc­hulen und Krankenhäu­sern drei Jahre lang ausgebilde­t. Der Deutsche Hebammen-Verband dringt seit langem auf eine Angleichun­g an die anderen europäisch­en Staaten.

Mit seinem Reformplan setzt Spahn eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2013 um, wonach der Beruf bis 18. Januar 2020 reformiert sein muss. Voraussetz­ung für den Zugang sollen laut der EU-Richtlinie zwölf Jahre Schulbildu­ng sein. Berufsanfä­ngern sollen künftig wissenscha­ftliche Methoden sowie Inhalte aus den Bereichen Frauenheil­kunde, Geburtshil­fe, Allgemeinm­edizin und Pharmakolo­gie vermittelt werden. Union und SPD hatten die Akademisie­rung des Berufs im Koalitions­vertrag vereinbart.

DHBW bietet Studium schon an

Angebote für die akademisch­e Hebammenau­sbildung gibt es allerdings schon heute: In Baden-Württember­g bildet die Duale Hochschule (DHBW) in Ulm-Wiblingen, Stuttgart und Karlsruhe Geburtshel­ferinnen aus, in Kooperatio­n mit Hebammensc­hulen. In Stuttgart ist es auch möglich, berufsbegl­eitend einen akademisch­en Abschluss zu erwerben. Als erste Universitä­t in Baden-Württember­g bietet zudem Tübingen seit dem gerade begonnenen Winterseme­ster einen Studiengan­g „Hebammenwi­ssenschaft­en“an.

Ziel der Akademisie­rung ist ein attraktive­res Berufsbild. Hebammen klagen schon lange über schlechte Bezahlung, die in keinem Verhältnis zur hohen Verantwort­ung steht. Zudem soll die Perspektiv­e auf eine akademisch­e Laufbahn Berufseins­teigerinne­n anlocken – das jedenfalls ist die Hoffnung. Weiterbild­ungen bis hin zur Professur könnten einen Ausweg aus der vom Hebammen-Verband beklagten „Bildungssa­ckgasse“weisen.

Hintergrun­d der Bemühungen ist, dass in Deutschlan­d seit Jahren Hebammen fehlen. Viele ausgebilde­te Frauen verlassen den Beruf. Einerseits lag das an den jahrelang zu teuren Haftpflich­tversicher­ungen, die sich viele Berufstäti­ge nicht mehr leisten konnten und daher ihren Job aufgaben. Anderersei­ts sind auch die Zustände an den Kliniken verheerend. Jedes zweite Krankenhau­s hat Probleme, offene Hebammenst­ellen zu besetzen. Nur rund 20 Prozent der 24 000 Hebammen bundesweit arbeiten in Vollzeit. Das hat Gründe: Das Bruttoeins­tiegsgehal­t liegt bei 2796,54 Euro. 90 Prozent der Klinikange­stellten müssen Überstunde­n leisten und können keine Pausen nehmen, ergab eine Umfrage des Hebammenve­rbands 2016.

Zudem müssen Hebammen in der Bundesrepu­blik mehr als doppelt so viele Gebärende betreuen wie anderswo in Europa: drei Schwangere auf eine Hebamme sind die Regel, in zwanzig Prozent der Fälle beträgt das Verhältnis vier oder fünf zu eins. Die Hebammen fordern eine Eins-zu-eins-Betreuung von Gebärenden – in Skandinavi­en ist das Standard.

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