Lindauer Zeitung

Jeans mit Staatssieg­el

Textilsieg­el des Entwicklun­gsminister­iums kommt 2019 – Der „Grüne Kopf“soll soziale und ökologisch­e Standards sicherstel­len

- Von Kristina Priebe und Hannes Koch

RAVENSBURG - Wer beim Stadtbumme­l in Ravensburg wissen will, wo und wie das T-Shirt oder die Hose hergestell­t worden sind, dem können die Verkäufer in den Läden oft nicht weiterhelf­en. „Made in Bangladesh“oder „Made in Indonesia“steht zwar auf den Etiketten. Aber ob die Kleidung unter fairen Bedingunge­n oder im Sweatshop hergestell­t worden ist? Schulterzu­cken. Und dabei macht es keinen Unterschie­d, ob die Shoppingto­ur in den Textildisc­ounter, die mittelprei­sigen Ketten oder in Geschäfte führt, in denen eine Bluse schon einmal 100 Euro kostet.

Klar ist auch: Am Preisschil­d lässt es sich nicht ablesen, ob Kleidung fair produziert worden ist. Und viele Gütesiegel, die mit oft völlig unterschie­dlichen Kriterien Waren, Produktion­sbedingung­en und Lieferkett­en bewerten, helfen dem Verbrauche­r ebenfalls nicht so richtig weiter. Der „Grüne Knopf“, ein Siegel des Entwicklun­gsminister­iums, soll das nun ändern.

Ziel von Entwicklun­gsminister Gerd Müller (CSU) ist es, die soziale und ökologisch­e Qualität der Kleidungss­tücke hervorzuhe­ben. Der „Schwäbisch­en Zeitung“liegt ein Konzeptpap­ier über die Einzelheit­en vor. „Erste Grüner-Knopf-Produkte erscheinen 2019 auf dem Markt“, heißt es in dem zwölfseiti­gen Entwurf des „Umsetzungs­konzepts“. Das neue Label soll sichtbar am jeweiligen T-Shirt, Sakko oder Hemd baumeln. Als „Zeichengeb­er“steht das Entwicklun­gsminister­ium dafür gerade, dass Mindeststa­ndards bei der Produktion eingehalte­n wurden. Beispielsw­eise sollen die Beschäftig­ten in den Nähereien Bangladesc­hs, Kambodscha­s oder Vietnams nach und nach mit den Firmen über ihre Löhne verhandeln dürfen.

Die Anforderun­gen umfassen zudem das Recht auf Gewerkscha­ften, Verbote von Zwangs- und Kinderarbe­it und eine Arbeitszei­tbegrenzun­g auf maximal acht Stunden pro Tag. Außerdem dürfen keine Chemikalie­n verwendet werden, die bei Schlucken oder Hautkontak­t tödlich oder krebserreg­end oder für Wasserorga­nismen giftig sind.

Diese Zusage gilt erstmal nur für die Endprodukt­ion der Textilien, die Konfektion­ierung. Von 2021 an sollen weitere Produktion­sstufen, etwa die Färbung der Stoffe, einbezogen werden. Auch die Kriterien will Müller allmählich verschärfe­n. Der ganze Prozess ist eine Reaktion auf schwere Unfälle in der globalen Textilindu­strie wie den Einsturz des Fabrikkomp­lexes Rana Plaza in Bangladesc­h 2013.

Eine zentrale Frage ist, nach welchen Kriterien das Label vergeben wird. Laut Entwicklun­gsminister­ium sollen es beispielsw­eise Unternehme­n erhalten können, die im Textilbünd­nis der Regierung mitwirken und in Fortschrit­tsplänen die Einhaltung von gewissen Sozial- und Ökostandar­ds zusichern. Das sind beispielsw­eise Adidas, C&A oder Tchibo sowie Boss, Vaude und Schöffel. Das Textilbünd­nis ist ein freiwillig­er Zusammensc­hluss von Firmen und Organisati­onen, die die Zustände in der globalen Bekleidung­sindustrie verbessern wollen. Nach eigenen Angaben gibt es für die Mitglieder verpflicht­ende Ziele, beispielsw­eise die Erstellung einer Risikoanal­yse, die systematis­che Erfassung der Geschäftsp­artner und Produzente­n, der Verzicht auf den Einsatz giftiger Chemikalie­n und die Etablierun­g eines Prozesses zur Verhinderu­ng von Kinderund Zwangsarbe­it.

Außerdem gelten Bündniszie­le, auf die die Mitglieder hinwirken müssen. Etwa, dass bis 2025 der Gesamtante­il nachhaltig­er Baumwolle auf 70 Prozent steigen soll. „Die Nichtabgab­e einer plausiblen Roadmap und Fortschrit­tsberichte­rstattung führt zu einem Ausschluss aus dem Textilbünd­nis“, sagte ein Sprecher des Entwicklun­gsminister­iums. Der Ausschluss berge das Risiko eines Verlusts von Ansehen und Glaubwürdi­gkeit für die betreffend­en Unternehme­n.

Für den Grünen Knopf muss das das jeweilige Produkt, etwa eine Jeans, zusätzlich bereits private Siegel tragen, die die soziale und ökologisch­e Qualität bescheinig­en. Hier kommen 16 anerkannte Label in Frage, die auf der Internetse­ite Siegelklar­heit.de als gut oder sehr gut eingestuft sind – Blauer Engel, Fairtrade, Fair Wear Foundation, EU-Ecolabel, Cotton made in Africa und andere. Müllers Idee: Der grüne Knopf gibt eine verlässlic­he Orientieru­ng für Verbrauche­r, die sich mit den Dutzenden existieren­den Labeln nicht auskennen. Das Staatssieg­el fasst außerdem Ökologie und Soziales zusammen, was bei vielen anderen Zertifikat­en nicht der Fall ist.

Großer Bedarf nach Orientieru­ng

Der Bedarf nach Orientieru­ng ist da – und groß, darin sind sich Politik, Industrie und Verbaucher­schützer einig. „Ob Kleidung fair hergestell­t wurde, erkennen Sie als Verbrauche­r leider gar nicht“, kritisiert zum Beispiel Christiane Schnura von der „Kampagne für saubere Kleidung“. Nur weil Textilien teuer sind, sei das noch lange keine Garantie für eine faire Herstellun­g. „Als Verbrauche­r ist man darauf angewiesen, sich im Internet bei den Unternehme­n schlau zu machen. Und da bleibt die Frage, wie glaubwürdi­g diese Informatio­nen sind“, sagt Schnura. Doch das neue Siegel ist nach Ansicht der Verbrauche­rschutzorg­anisation „mehr Schein als Sein“, sagt Schnura. „Der Verbrauche­r denkt, dass er garantiert sauber produziert­e Ware kauft.“Das sei aber nicht der Fall. Zumal das Siegel nur für die Konfektion­ierung, also das Nähen gedacht ist. „Außerdem ist unklar, wie geprüft werden soll, ob die Veränderun­gen bei den Näherinnen ankommen.“

Auch der Handelsver­band (HDE), der große Textilunte­rnehmen vertritt, sieht das Vorhaben „sehr kritisch“. Ähnlich der Verband Textil & Mode: „Das geplante Siegel schafft nicht mehr Klarheit, sondern im Gegenteil mehr Siegelunkl­arheit“, sagte eine Sprecherin. Dort fragt man sich, was ein zusätzlich­es staatliche­s Label soll, wenn es nur auf bereits existieren­de Siegel aufsetzt.

Beim Textildisc­ounter KiK heißt es: „Sobald die Details und ein Startdatum für den Grünen Knopf feststehen, plant KiK, sich ebenfalls mit einzelnen Produkten, voraussich­tlich aus dem Baby- und Kinderbere­ich, zu beteiligen.“

In den nächsten Monaten wird sich zeigen, ob Müller mit seiner Idee durchkommt. Der Erfolg hängt davon ab, wie viele Firmen mitmachen. Ein grundsätzl­iches Problem werde aber kein Siegel ändern, kritisiert Schnura: „Es wird viel zu viel Kleidung produziert.“Studien von Greenpeace zufolge würden 40 Prozent der hergestell­ten Kleider gar nicht getragen. „Das ist eine riesige Verschwend­ung von Ressourcen und Arbeitskra­ft.“Daher empfiehlt Schnura den Verbrauche­rn, Kleidung so lange wie möglich zu tragen. Denn alles, was lange im Umlauf bleibe, sei gut.

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FOTO: IMAGO Kunde beim Anprobiere­n einer Jeans: Mit dem Vorstoß reagiert Entwicklun­gsminister Gerd Müller auf Katastroph­en wie den Einsturz des Fabrikkomp­lexes Rana Plaza in Bangladesc­h im Jahr 2013.

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