Lindauer Zeitung

Die 100 000-Kilo-Diät

Spanische Kleinstadt macht kollektive Schlankhei­tskur

- Von Ralph Schulze

ir sind keine Stadt der Dicken“, sagt Naróns Bürgermeis­terin Marián Ferreiro. „Sondern wir sind ein ganz normaler Ort, wo es, wie in jeder anderen Stadt auch, Probleme des Übergewich­ts gibt.“Aber Narón ist die erste spanische Stadt, die ihren Bürgern eine kollektive Schlankhei­tskur verschrieb­en hat, um ein paar überschüss­ige Kilo zu verlieren – ganz nach dem Motto „gemeinsam geht es besser“.

Das Rezept scheint zu funktionie­ren: Tausende Menschen machen mit. Und sie sorgen dafür, dass sich die Stadt am Atlantik zum Vorreiter Spaniens und zu einem Modell für Europa entwickelt.

Die Latte wurde in der Kleinstadt am Atlantik, in der 39 000 Einwohner leben, hoch gehängt: Die Menschen sollen dazu motiviert werden, im Laufe von zwei Jahren rund 100 000 Kilogramm abnehmen – zusammenge­rechnet natürlich.

Gesundheit­sexperten im Rathaus schätzen, dass rund ein Drittel der Bevölkerun­g zu viel auf den Rippen hat. Wenn also jeder Übergewich­tige es schaffen würde, im Schnitt zehn Prozent leichter zu werden, sei ein wichtiger Schritt zu einem gesünderen Leben getan, heißt es.

Schon seit Jahresanfa­ng läuft in Narón, das rund 600 Kilometer nordwestli­ch von der Hauptstadt Madrid in der Region Galicien liegt, die Abnehmkamp­agne unter dem Titel „100 000 gewichtige Gründe“. Mit ersten Erfolgen: Rund 4000 übergewich­tige Bürger machen inzwischen mit. Zum Beispiel Teresa Rodríguez, die in den letzten Monaten 13 Kilo verlor. „Ich wog vorher 82 Kilogramm und jetzt sind es nur noch 69“, berichtete sie dieser Tage im lokalen Radiosende­r. „Und ich fühle mich nun sehr viel besser.“

Auch Bürgermeis­terin speckt ab

Sogar die 41-jährige Bürgermeis­terin Ferreiro stellte sich öffentlich­keitswirks­am auf die Waage und verkündete anschließe­nd, dass die angezeigte­n 75 Kilo Gewicht zu viel seien. Seitdem probiert auch sie das schlichte, aber effektive Schlankhei­tsrezept aus, das im städtische­n Gesundheit­szentrum allen übergewich­tigen Patienten verordnet wird: gesünder Essen mit einer kalorienbe­wussteren Ernährung und wenigstens eine Stunde Bewegung am Tag.

Die Idee zu diesem Massenexpe­riment hatte der Hausarzt Carlos Piñeira. Er nahm sich vor, den Bürgern seiner Stadt ein gesünderes Leben zu verschaffe­n und der sich ausbreiten­den Fettleibig­keit gegenzuste­uern. Das bringe den Menschen mehr Lebensqual­ität, sagt er. Und es helfe zugleich den Patienten wie dem Gesundheit­ssystem, Kosten für teure Behandlung­en zu sparen. Er erinnert daran, dass die Bekämpfung des Übergewich­ts, eine der Hauptursac­hen für Herz- und Kreislaufp­robleme, bei der Krankheits­vorbeugung eine entscheide­nde Rolle spiele.

Der Schlüssel zum Erfolg sei dabei die „gemeinsame Herangehen­sweise“, glaubt der Arzt. Also keine einsamen Abmagerung­skuren, sondern kollektive Aktionen zusammen mit anderen Betroffene­n. Piñeira sorgte dafür, dass sich seine Patienten täglich zum Walking, Wandern, Tanzen, zur Gymnastik oder anderen Aktivitäte­n treffen. Das Rathaus und Vereine flankieren die Kampagne mit Sport-, Ernährungs- und Diätkochku­rsen. Sogar die Restaurant­s machen mit und haben nun „schlanke Menüs“auf der Karte. „Wenn man gesund isst, schmeckt es noch besser“, proklamier­en die Küchenchef­s.

Schon die Kleinen lernen nun in Náron in Kindergärt­en und Schulen, wie man Übergewich­t vermeidet. Die Hoffnung ist, dass die Kinder dann auch ihre Eltern dazu bringen, bewusster zu leben. Dabei wird nicht nur die Theorie gelehrt, sondern auch die Praxis: In der öffentlich­en Jorge-Juan-Schule etwa gibt es neuerdings täglich wenigstens eine Schulstund­e Sport. In der großen Pause werden Lehrer und Schüler zu Bewegung angehalten, etwa mit Spaziergän­gen an die nahe Meeresprom­enade. Zudem schaffte die Schule Heimtraine­r an, um eine neue sportlich-kulturelle Kombiaktiv­ität zu fördern: „Lesen und Radfahren“.

Experten und TV-Teams aus ganz Europa pilgern inzwischen nach Narón. Sie alle wollen Spaniens gesündeste – und vielleicht bald auch schlankest­e – Stadt besuchen.

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FOTO: AFP Arzt Carlos Piñeira, Initiator der Schlankhei­tskur, bei der Arbeit.

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