Lindauer Zeitung

Junger Raser zerstört mehrere Leben

Ein Jahr nach einem schrecklic­hen Unfall in Unterreitn­au steht der Fahrer vor Gericht – Fahrerlaub­nis entzogen

- Von Julia Baumann

LINDAU - Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass sich auf einer schmalen Landstraße in Unterreitn­au ein schrecklic­her Unfall ereignet hat: In einer S-Kurve verliert ein Fahrer die Kontrolle über sein Auto. Das Fahrzeug knallt auf eine Hauswand. Mit im Auto sitzt ein damals 18-jähriges Mädchen, das den Unfall nur knapp überlebt – und seitdem schwer behindert ist. Am Mittwochna­chmittag musste sich der Fahrer nun vor dem Lindauer Amtsgerich­t verantwort­en. Richter Moritz von Engel verurteilt­e ihn zu einer Geldstrafe und dem Entzug seiner Fahrerlaub­nis. Er stellte aber auch klar: „Keine Strafe kann ungeschehe­n machen, was passiert ist.“

Es war ein sonniger Samstagnac­hmittag, an dem der Angeklagte gemeinsam mit der 18-jährigen Frau aus dem Landkreis Ravensburg und deren Verlobten auf dem Weg nach Friedrichs­hafen war. Die beiden jungen Männer saßen vorne, das Mädchen auf der Rückbank. Er habe auf dem Handy nach dem Weg geschaut, als er aus dem Augenwinke­l bemerkt hatte, dass der Fahrer am Lenkrad herumreiße, sagte der Beifahrer aus. Doch da war es schon zu spät: Das Auto kam von der Straße ab, landete erst auf einem Stein, dann an einer Hauswand. Die 18-Jährige wurde dabei aus dem Autofenste­r geschleude­rt.

Nach mehreren Operatione­n ist die junge Frau heute noch immer in stationäre­r Behandlung. Sie hat schwere Schäden am Gehirn erlitten und kann nicht sprechen oder sich selbststän­dig bewegen. Einzig, wenn sie ihre Familie sehe, so heißt es in einem Schreiben einer Klinik, husche ihr ein Lächeln übers Gesicht.

Am Mittwoch galt es nun herauszufi­nden, ob der Fahrer zu schnell unterwegs gewesen war und sich dadurch einer fahrlässig­en Körperverl­etzung schuldig gemacht hatte.

Fahrer entschuldi­gt sich bei Familie

Der Angeklagte hatte sich zu Beginn der Verhandlun­g bei der Familie des Mädchens entschuldi­gt. Der Vater der heute 19-Jährigen trat als Nebenkläge­r auf und war sichtlich mitgenomme­n. Der Fahrer räumte den Hergang des Unfallgesc­hehens ein – beteuerte aber, dass er nicht zu schnell gefahren sei. „Ich wollte nach rechts lenken und hatte plötzlich das Gefühl, dass ich nicht mehr lenken kann“, erzählte er. Auf Nachfrage des Nebenklage­anwalts schätzte er seine Geschwindi­gkeit auf etwa 70 Stundenkil­ometer ein.

Die beiden Radfahrer, denen das Auto des Angeklagte­n wenige Sekunden vor dem Unfall entgegenge­kommen war, sahen das ganz anders. Sie erzählten, dass der Angeklagte sehr schnell unterwegs gewesen sei und die Kurven der Straße geschnitte­n habe, sodass es schon dort bereits beinahe zum Unfall gekommen wäre. „Wir sind ausgewiche­n, sonst wäre es knapp geworden“, sagte ein Radfahrer aus. Er habe beobachtet, wie das Auto im weiteren Verlauf immer wieder ausgebroch­en sei. „Mir war klar: So, wie der runter fährt, schafft er es niemals.“Als seine Frau und er zwei dumpfe Schläge gehört hätten, seien sie umgekehrt und zur Unfallstel­le geradelt. „Da haben wir das Auto an der Hauswand gesehen“, sagte die Frau. Mit welcher Geschwindi­gkeit es an ihnen vorbeigefa­hren war, konnten die beiden Fahrradfah­rer nicht schätzen. „Ich hielt sie aber für nicht angepasst“, sagte die Frau.

„Wir haben erst ein Quietschen gehört und dann ein lautes Scheppern. Dann kam uns der Inhalt der Küchenschr­änke entgegen“, sagte eine 21-jährige Bewohnerin des Hauses aus. Sie habe einen Notruf abgesetzt und sei aus dem Haus gelaufen. „Das Auto lag auf der Seite, das Mädchen war zwischen Auto und Hauswand eingeklemm­t.“

Angeklagte­r war mit mindestens 100 Stundenkil­ometern unterwegs

Keine Schätzunge­n, sondern Berechnung­en und Simulation­en hatte ein Gutachter parat. Ihnen zufolge musste der Fahrer mit 100 bis 120 Stundenkil­ometern unterwegs gewesen sein, damit das Fahrzeug in die Position kommen konnte, in der es am Ende war. Bei dieser Geschwindi­gkeit entstünden in Kurven Driftbeweg­ungen. „Da hat man dann keine Chance mehr. Man kann das Fahrzeug nicht mehr fangen, die Reifen reagieren nicht mehr“, erklärte er. Als angepasste Geschwindi­gkeit definierte er 50 bis 65 Stundenkil­ometer – wenn der Fahrer die Kurven ausfährt. In der „Ideallinie“, die der Angeklagte durch das Schneiden der Kurven ja gefahren sei, könne man an dieser Stelle im äußersten Fall mit bis zu 90 Stundenkil­ometern unfallfrei durchkomme­n.

Offen blieb bis zum Ende der Verhandlun­g, wer von den Fahrzeugin­sassen angeschnal­lt war. Beim Fahrer konnte der Gutachter das ausschließ­en, bei den beiden Beifahrern hielt er es zumindest für sehr wahrschein­lich, dass sie ebenfalls keine Gurte angelegt hatten.

Mit seinem Urteil folgte Richter von Engel dem Plädoyer der Staatsanwa­ltschaft. Er verurteilt­e den Angeklagte­n zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätze­n zu 65 Euro. Außerdem wird ihm die Fahrerlaub­nis entzogen, und er darf die kommenden fünf Monate keine neue beantragen. „Sie haben sich als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrz­euges erwiesen“, sagte von Engel. Etwas früher in der Verhandlun­g hatte der Richter bereits eingeräumt, dass man mit einer Strafe in diesem Fall in gewisser Weise auch den Zufall bestrafe. „Wäre nichts passiert, dann wäre das eine Ordnungswi­drigkeit gewesen.“

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FOTO: THOMAS WARNACK Aus der Luft sieht man rund um die Wasserburg­er Halbinsel sehr gut, wie wenig Wasser derzeit im Bodensee ist.
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ARCHIVFOTO: CHRISTIAN FLEMMING Bei einem schweren Unfall vor einem Jahr landet ein Auto in einer Hauswand.

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