Lindauer Zeitung

Die Macht vom Land

Hubert Aiwanger ist der große Aufsteiger der bayerische­n Politik – Ein Porträt des Freie-Wähler-Chefs

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Falsche Bescheiden­heit muss sich Hubert Aiwanger nicht vorwerfen lassen. Der Vorsitzend­e der Freien Wähler (FW) im bayerische­n Landtag und höchstwahr­scheinlich künftige stellvertr­etende Ministerpr­äsident des Freistaats, sagte am Donnerstag: „Es kommt so, wie wir es seit Monaten vorausgesa­gt und auch angestrebt haben.“Seine Prophezeiu­ng, sagt Aiwanger, ist also eingetrete­n: Die dreimal stärkere CSU hat sich für den Eintritt in konkrete Koalitions­verhandlun­gen mit den FW entschiede­n.

In den zehn Jahren, in denen die in Orange auftretend­en FW im Landesparl­ament sitzen, hätten sie bewiesen, „dass wir es können“, ergänzte Aiwanger. Bayern, verkündete er im pompösen „Steinernen Saal“des Münchner Maximilian­eums, bleibe wohl „das einzige Bundesland, das überhaupt noch bürgerlich regiert" werde. Wobei sich die FW als Inbegriff der „Bürgerlich­keit“fühlen, die sie – wie die CSU – Sozialdemo­kraten und Grünen absprechen.

Kantiges Original aus Niederbaye­rn

Wer findet, dass es in der deutschen Politik keine kantigen Originale gebe, für den könnte die neue bayerische Staatsregi­erung etwas zu bieten haben. Wie es aussieht, wird es zur Koalition der geschwächt­en CSU mit den erstarkten FW kommen. Letztere werden repräsenti­ert vom Landwirt Aiwanger, der seit zehn Jahren den Landtag mit ausgefalle­nen Redebeiträ­gen in niederbaye­rischer Sprachfärb­ung unterhält.

Der 47-jährige Agraringen­ieur und Ferkelzüch­ter aus Rottenburg an der Laaber kennt kein Politsprec­h und weicht Fragen in aller Regel nicht aus. Auch nicht solchen nach seinem möglichen Regierungs­partner, Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU). Der sei zwar nicht sein „Traumtyp“. Aber: „Ich kann mit ihm", sagt Aiwanger. Nicht erst seit der Landtagswa­hl sei er im Besitz von Söders Handynumme­r. Die Freien Wähler hätten als einzige Opposition­sfraktion gelegentli­ch CSU-Anträgen zugestimmt, lobte Söder.

Mit taktischen Überlegung­en hält sich Aiwanger nicht auf. Drei große oder bis zu fünf normale Ministerie­n beanspruch­ten die FW, sagte er einen Tag nach der Landtagswa­hl.

Der Mann ist gewohnt, sich nicht groß rückversic­hern zu müssen, weil er alles selbst macht: FW-Bundesvors­itzender, FW-Landesvors­itzender, Landtagsfr­aktionsche­f und Spitzenkan­didat ist Aiwanger in einer Person. Nicht allen passt das. Immer wieder gab es in der Vergangenh­eit interne Turbulenze­n, weil der Chef nicht viel von Absprachen, dafür mehr von Basta-Politik hält – und gelegentli­ch aus dem Handgelenk und ohne jedes Manuskript neue Linien vorgibt.

Inhaltlich operiert der FW-Chef eher im rechten Feld seiner Partei, die zunächst gar keine sein wollte. Bei der Asyl- und Migrations­politik zum Beispiel überholte er mit manchen Vorstellun­gen die CSU rechts. Bei den am Freitag beginnende­n Koalitions­verhandlun­gen dürfte dieser Politikber­eich kaum zu Diskussion­en Anlass geben. Es sei denn, Aiwanger lässt sich nochmals über die seiner Ansicht nach völlig verfehlte Merkel-Politik des „Wir schaffen das“aus. Dabei dürfte ihm nicht allzu viel Widerspruc­h entgegen schallen. Auch das gefiel nicht allen Mitstreite­rn. Der niederbaye­rische Abgeordnet­e Alexander Muthmann verließ aus Protest auch gegen Aiwangers Sprüche die Freien Wähler – und kehrte jetzt als FDP-Abgeordnet­er zurück in den Landtag.

Kein Freund von Naturschüt­zern

Engagierte Natur- und Umweltschü­tzer in den FW-Reihen hatten mit Aiwanger nicht viel Freude. Der passionier­te Jäger führt seit Jahren einen zähen Kampf gegen neuerdings wieder frei laufende Wölfe und forderte einen Verzicht auf einen dritten bayerische­n Nationalpa­rk – ehe die CSU das Seehofer-Projekt in die Tonne trat. Der Umweltschu­tz in Bayern wird unter Schwarz-Orange wohl nicht zu neuen Ufern aufbrechen, obwohl Ministerpr­äsident Söder nach eigenen Worten auf diesem Feld einen weiterführ­enden „Wählerauft­rag“vermutet.

Unter Aiwanger haben sich die FW zur Kümmerer-Partei entwickelt. Die FW erreichten allein mit der Androhung von Volksbegeh­ren nacheinand­er die Abschaffun­g der Studiengeb­ühren, des achtjährig­en Gymnasiums und der Straßenaus­baubeiträg­e. Aiwangers FW hat ihre Wurzeln in der Kommunalpo­litik. Ihr liegen die Schlaglöch­er in den Staatsstra­ßen näher als der Ruhm Bayerns im Weltraum. Die hochfliege­nden Pläne des alten und vermutlich auch neuen Ministerpr­äsidenten Söder zur Förderung der Raumfahrt ist denn auch so gar nichts, mit dem sich Aiwanger anfreunden mag. Und er sieht auch nicht ein, warum der Münchener Flughafen eine weitere Startbahn und das Land große Überland-Stromleitu­ngen braucht. Mit Aiwanger sind die FW freilich noch mehr zur Partei des ländlichen Raumes geworden als sie es schon waren – während in den Städten die Grünen Aufwind haben. Eine verhängnis­volle Zange für CSU und SPD.

Seit Sonntagabe­nd sind indes Aiwangers Kritiker verstummt. Durch seine betont „unideologi­sche“Politik des Kümmerns um die „kleinen Leute“hat der Mann von der Laaber seiner Partei einen Zuwachs um 2,6 Prozentpun­kte auf 11,6 Prozent und

27 Landtagssi­tze (vorher: 17) verschafft. Und noch wichtiger: Einige FW-ler werden mit hoher Wahrschein­lichkeit demnächst auf der Regierungs­bank Platz nehmen. Allen voran natürlich der Chef, der zu seinen Funktionen dann auch noch „Staatsmini­ster“und „stellvertr­etender Ministerpr­äsident“hinzufügen kann. Die Aufgabe des Fraktionsc­hefs freilich muss dann doch einmal jemand anderes übernehmen.

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FOTO: DPA Bekannt wie nie: Hubert Aiwanger wird wohl der künftige stellvertr­etende Ministerpr­äsident Bayerns.

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