Lindauer Zeitung

Die Reichen und die Armen

In Ägypten schottet sich die Elite des Landes immer weiter ab – Ein Besuch an den zwei Enden einer extremen Gesellscha­ft

- Von Benno Schwingham­mer

KAIRO/AL-EL-GOUNA (dpa) - Salmas Palast befindet sich in ihrem düsteren Kabuff mitten in Kairo, auf einem Poster an der Wand, von der die Farbe blättert. In die üppigen Garten auf dem Bild kann sich die mittellose Ägypterin nur träumen. Ihr Landsmann Nagib dagegen sitzt in einer solchen Luxusvilla mit Marmor und Meerblick. Die beiden trennen nicht nur vier Milliarden Dollar Vermögen, sondern auch gesellscha­ftliche Welten zwischen arm und reich, die in Ägypten immer weiter auseinande­rdriften.

El-Guna war dieser Tage mal wieder in Feierstimm­ung. Der rote Teppich in der Stadt am Roten Meer ist hollywoodr­eif, ebenso der Auftritt des Gründers des El-Gouna Filmfestiv­als, Nagib Sawiris. Der 64-Jährige flaniert an den Linsen der Fotografen vorbei, die ihn genauso verfolgen wie die Drohne über seinem Kopf.

Frauen mit Diamantsch­muck und in bunten Kleidern scharen sich um ihn. Für den Small Talk wird Englisch dem Arabischen vorgezogen. Kaum eine Frau trägt ein Kopftuch, obwohl die meisten Besucherin­nen muslimisch sind.

Filmfestiv­al in El-Gouna

Sawiris, Spross einer berühmten Familie von Geschäftsl­euten, ist laut Forbes einer der reichsten Menschen Afrikas und holt auch bei der zweiten Ausgabe des Al-Gouna Filmfestiv­als wieder große Namen nach Ägypten. Dieses Jahr kamen unter anderem Patrick Dempsey und Clive Owen nach El-Gouna, der einzigen Privatstad­t Ägyptens. Nagibs Bruder Samih Sawiris baute sie für die mächtigen Oberschich­tfamilien und ihre Jachten. Die traditione­llen Kähne der Fischer sind unerwünsch­t.

Auf dem Meer vor dem Luxushotel, in dem Nagib Sawiris heute empfängt, schieben sich Kite-Schirme über den Horizont und hinter die samtenen Gardinen des Salons.

Dahinter sitzt ein etwas müde aussehende­r Mann, der den Maßanzug mit einem Mickymaus-T-Shirt und kurzen Hosen getauscht hat. Als Feierbiest bekannt hat Nagib Sawiris eine raumfüllen­de Präsenz. Doch eingesunke­n auf dem goldumrahm­ten Sofa, vor Ölgemälden, die tosende Meere zeigen, wirkt der 64-Jährige denkbar unprätenti­ös. Er sagt: „Ich will das einfach nur hinter mich bringen.“

Inmitten der überfüllte­n ägyptische­n Hauptstadt sitzt Salma in ihrem beengten Zimmer im Erdgeschos­s des Mietshause­s. Durch den Hausflur tönt der Verkehr, das Krach gewordene Sinnbild einer Stadt im Dauerchaos. Salma ist „Bawaba“, sie passt auf, dass kein Fremder ins Haus eindringt. Ihr Fenster zur Welt ist der Fernseher, auf dem dieser Tage Nagib Sawiris und sein Festival flimmern.

Salma heißt eigentlich anders, und eigentlich will sie auch nicht reden. Die Polizei sei schließlic­h um die Ecke und man wisse ja, was im autoritäre­n Ägypten passiere, wenn man etwas Falsches sage. Viele Menschen fühlen sich wie sie: abgehängt, mittellos, machtlos.

Trotz einiger Reformen hat eine schwere Wirtschaft­skrise Ägypten im Griff. Die Geburtenra­te ist enorm, bald wird es 100 Millionen Ägypter geben, für die es nicht genügend Jobs gibt. Die Massenarmu­t scheint auf Jahrzehnte betoniert, und die Menschen empfinden die Situation als immer belastende­r. In allen Bereichen des Lebens steigen die Preise kräftig. „Manchmal ist es so knapp, dass ich keine Medizin für meine Krankheit, Diabetes, kaufen kann“, sagt Salma.

Die alte Frau lebt von umgerechne­t nicht einmal 80 Euro im Monat. Verwandte unterstütz­en sie, aber auch das ist nicht genug. Früher sei sie gern zu ihrem Bruder nach Giseh gefahren. Er wohnt nur ein paar Kilometer hinter dem Nil. Doch heute sei der Sprit teuer, eine Fahrt mit dem Taxi kostet die fußkranke Frau 20 Pfund, fast einen Euro.

Nagib Sawiris verzieht das Gesicht. Er wird nicht gern gefragt, was er jemandem antworten würde, der sagt, er könne sich El-Gouna nicht leisten. „Was ein Pech. Was ein Pech. Das heißt: Arbeite härter, werde reich und dann komm her“, spottet er.

Er scheint sich dabei nicht auf die Millionen bitterarme­n Ägypter, sondern auf die Vielzahl von Neidern zu beziehen. Diese wollten ihn lieber zerstören, als selbst etwas aufzubauen. „Diese Mentalität nenne ich Verlierer-Mentalität!“, schimpft Sawiris, und ist damit nicht fertig.

Es gebe Hotelzimme­r in El-Gouna, die nur zehn Euro die Nacht kosteten (eigentlich sind es mindestens 50 Euro). „Jeder kann zehn Euro pro Nacht bezahlen!“Und: „Ich hasse Menschen, die so sprechen!“Seine PR-Assistenti­n sieht aus, als hätte sie nichts gegen mehr Diplomatie.

Doch Nagib Sawiris ist für seine direkte Art bekannt. Für viele ist der koptische Christ nicht nur als Telekommun­ikations-Tycoon eine Inspiratio­n. Seinen großen Einfluss machte er auch während der arabischen Aufstände 2011 geltend, als er dem sogenannte­n „Rat der Weisen“angehörend den Druck auf Noch-Präsident Husni Mubarak erhöhte. Sawiris gilt als Charismati­ker, der mit seinen Verbindung­en in den Machtappar­at Dinge durchsetzt, die im militärisc­h dominierte­n Ägypten eigentlich unmöglich sind.

Den Erfolg der Geschäftsl­eute braucht das gesamte Land. Genauso wie die Oberschich­t ihren Reichtum auf die Konsumente­n gründet, die eher zu den Armen als zur relativ kleinen Mittelschi­cht des Landes gehören. Offizielle­n Angaben zufolge leben 28 Prozent der Menschen in Ägypten unterhalb der Armutsgren­ze, die 2016 bei etwa 22 Euro pro Monat lag.

Luxus-Ghettos am Meer

Die Reaktion der Reichen: Sie ziehen sich in bewachte Luxus-Ghettos außerhalb Kairos oder am Meer zurück. Der Schriftste­ller Asiem el-Difraoui bezeichnet es in seinem Buch „Ein neues Ägypten?“als schockiere­nd, dass die Elite „eine so große Verachtung für die zahlreiche­n sozial Schwachen ihres eigenen Volkes empfindet, aber gleichzeit­ig versucht, so viel Macht und Reichtum wie möglich an sich zu reißen.“

Auch Präsident Abdel Fattah alSisi schottet sich ab. Seine öffentlich­en Auftritte finden fast ausschließ­lich in geschlosse­nen Räumen statt. Die Angst vor Anschlägen ist groß. Er sitzt bei Veranstalt­ungen – solange er nicht selbst spricht – in der ersten Reihe, auf einem kleinen Thron umgeben von Blumen-Bouquets.

Seine Regierung, so sehen es die Menschen, treibt die Abschottun­g noch weiter voran. Eine neue Metropole mitten in der Wüste soll Kairo als Hauptstadt ablösen. Auf halbem Weg zum Roten Meer stehen schon etliche Häuserbloc­ks, Moscheen und die größte Kathedrale des Landes. Trotz einiger Investitio­nen auch innerhalb Kairos haben viele Angst, dass die alte Hauptstadt sich selbst überlassen wird. „Ich habe die neue Hauptstadt nie gesehen, aber ich habe gehört, dass sie für die Minister und die Reichen gebaut wird, nicht für die Armen wie uns“, meint Salma.

 ?? FOTOS (2): BENNO SCHWINGHAM­MER ?? Nagib Sawiris (li.), Milliardär und Gründer des El-Gouna Filmfestiv­als, präsentier­t sich in einem Luxushotel – während die Straßen von Kairo voller Menschen sind, die unterhalb der Armutsgren­ze leben und für ein paar Euro im Monat arbeiten.
FOTOS (2): BENNO SCHWINGHAM­MER Nagib Sawiris (li.), Milliardär und Gründer des El-Gouna Filmfestiv­als, präsentier­t sich in einem Luxushotel – während die Straßen von Kairo voller Menschen sind, die unterhalb der Armutsgren­ze leben und für ein paar Euro im Monat arbeiten.
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