Den Spätsommer in spektakulärer Steillage genießen
Lange Historie, raue Bergwelt, rustikale Genüsse und edle Tropfen: Das Wallis ist ein vielseitiges Urlaubsziel
Das Glas schimmert im Sonnenlicht, während der kühle Weißwein die Außenseite beschlagen lässt. Es dauert nicht lange, bis sich ein Tropfen bildet, der – von Moment zu Moment immer schwerer geworden – schließlich hinabfließt zum Sockel, wie eine Träne. Vergossen für einen prächtigen Altweibersommer, der im Wallis wärmer ist und länger dauert als anderswo. Besonders auf den steilen Weinterrassen in einem der bewirteten Rebhäuschen, oberhalb der Kantonshauptstadt Sion, wo es sich unter Freunden und solchen, die es werden könnten, aufs Angenehmste anstoßen lässt. Wenn denn der richtige Tropfen im Glase funkelt.
Nicht nur der richtige, sondern sogar der ideale Wein für diesen Zweck ist zum Beispiel der sogenannte Brûlefer. Ein durch die kalkigen Terrassenböden außerordentlich mineralisch anmutender Weißwein, gewonnen aus der FendantTraube. Rassige Frucht, tiefe Noten von Zitrone und Holunderblüte und ein fast salzig am Gaumen schallender Abgang, der noch lange nachwirkt. Dieser Schluck im Weinberg markiert einen der Momente, die dem Wallis-Reisenden noch lange nach seiner Heimkehr im Bewusstsein bleiben. Und von dem er zehren kann, wenn die Tage bald von nasskalter Düsternis befallen sein werden. Gut, wenn dann noch ein Fläschchen von diesem weingewordenen Sonnenstrahl im heimischen Keller ruht, für die Tage, wenn es dringend sommerlicher Aufheiterung bedarf.
Handarbeit statt Maschinen
Im Gegensatz zum Piemont, zum Bordeaux oder zur Mosel löst die Erwähnung des Schweizer Wallis keine starken Assoziationen zu großen Weinen aus. Am geläufigsten ist außerhalb der eidgenössischen Grenzen tatsächlich noch die ChasselasTraube, auch Fendant genannt und im Deutschen als Gutedel bekannt. Dabei ist das Wallis die Weinregion der Schweiz schlechthin. Auf 5500 Hektar Fläche, die teils auf Hängen mit spektakulärem Gefälle von bis zu über 40 Prozent verteilt sind, recken sich die Reben in den Himmel. In Visperterminen, dem sogenannten Heidadorf, türmen sich die Terrassen zum höchsten zusammenhängenden Weinberg Europas auf: Von gegenüber betrachtet mutet der Hang fast senkrecht an, und die Frage tut sich auf, wie es überhaupt möglich ist, auf diesen 600 kompakten Höhenmetern Wein anzubauen, zu pflegen und schließlich zu lesen, da mit technischen Hilfsmitteln aufgrund der Unzugänglichkeit des Geländes fast nichts auszurichten ist. „Das ist ganz einfach: Wir machen alles mit der Hand“, sagt Markus Burgener von der St. Jodern Kellerei so trocken, wie es der Chasselas von diesen Hängen ist. Eine Zahl macht die Mühen der aus über 500 Mitgliedern bestehenden Genossenschaft noch deutlicher: Während der Arbeitsaufwand pro Hektar bei gut mit Maschinen zu bewirtschaftenden Flächen 600 Stunden im Jahr beträgt, sind es in Visperterminen glatt doppelt so viele. „Das macht den Wein besonders, aber auch teurer“, sagt Burgener und gießt in den exklusiven Degustationsräumen der Kellerei einen Roten ein, in dem das raue und steinige Terrain zu schmecken ist.
Rund um das Thema Wein sind im Wallis mehr und mehr Angebote entstanden, um die eigenen Gewächse entsprechend zu würdigen. Das beginnt schon bei einer Stadtführung durch Sion. An den geschichtsträchtigsten Stationen wie etwa dem Hexenturm oder auf dem Weg zur Basilika hoch über der Stadt schenken Führer wie die charmante Christin Cina einen jeweils passenden Tropfen aus. Damit die historischen Anekdoten nicht nur durch den Kopf, sondern auch durch den Gaumen gehen – was den Erinnerungswert an das Gehörte verstärkt. Überhaupt sorgt die mehr als 7000 Jahre währende Stadtgeschichte dafür, dass es eine Menge Historisches zu entdecken gibt – was für den Kanton insgesamt gilt.
Eine der besonderen Stärken des Wallis, das ja wörtlich nichts anderes als Tal bedeutet, ist seine alpine
Landschaft mit einer Reihe von 4000ern, die das Panorama prägen. Ganz so hoch muss es allerdings nicht unbedingt hinausgehen, um dem Thema Wein gerecht zu werden. Führungen durch die Weinberge sensibilisieren für die besonderen Bedingungen, die hier herrschen. Welche Rolle der Fön für die Reife der Frucht spielt? All das und noch eine Menge mehr weiß David Héritier, Direktor der Kellerei Les Celliers de Sion. Mit aller vorstellbaren Pracht haben die heimischen Weine im sogenannten Önopark am Fuße spektakulärer Terrassenhänge eine Art lebendiges Denkmal bekommen. Verkauf, Verkostung und Präsentation vereinen sich ästhetisch unter einem Dach.
Verbesserte Qualität
Und wie im Wallis üblich ist praktisch jede Degustation begleitet von einer reichhaltigen Platte mit Trockenfleisch, mildem Speck und Schinken. Käse und Rohwurst nicht zu vergessen. Diese überaus rustikalen Aromen verbinden sich insbesondere mit den gehaltvollen Roten gut, die im Wallis bisweilen etwas scharfkantig schmecken können. Vertreter sind etwa Spätburgunder aber auch Syrah. Auch im Wallis gilt wie überall: Es kommt darauf an, was der Winzer draus macht. Eine strenge Mengenbegrenzung und ein immer sensibler werdender Konsument haben die Qualität jedweder Lage spürbar verbessert. Aber es war auch im Wallis ein weiter Weg, bis sich sowohl Weinbauern als auch Weintrinker abgewöhnt haben, die Menge über alles zu stellen.
Und über den Wein hinaus? Hat dieser Teil des Wallis starke mediterrane Einflüsse. So wirkt Sion wie eine Mischung aus Italien, Frankreich und Schweiz: Die Boulevards sind voller Menschen. Die kulinarische Vielfalt vereint alle möglichen Einflüsse. Wer die Abgeschiedenheit, ja Weltabgewandtheit sucht, der wird sie im Heidadorf Visperterminen finden. Das Dorf wirkt wie auf steile Treppen gebaut, die zum Teil 500 Jahre alten Holzhäuser stecken die Köpfe zusammen und es gleicht dem Spaziergang durch ein Labyrinth, zwischen den Gebäuden seinen Weg zu suchen. Oberhalb des Ortes führt die Seilbahn hinauf zur Station Giw auf 2000 Metern Höhe. Von dort oben lassen sich die Alpen auch auf relativ flachen Touren erschließen. Wie aufgereiht an einer Kette aus alpinen Kostbarkeiten stehen die Gipfel.
Erschwingliche Weine
Und die Preisfrage? In der Schweiz sind bekanntermaßen bestimmte Dienstleistungen teurer als bei uns. Das Gastgewerbe gehört dazu – allerdings ist die Region deutlich moderater als die berühmten touristischen Zentren oder Großstädte. Und eine Flasche des wirklich exzellenten Brûlefer ist mit 16 Franken – also umgerechnet etwa 14,50 Euro – jeden Rappen wert.