Lindauer Zeitung

Freispruch für Mutter

42-Jährige war vor Aalener Amtsgerich­t wegen Missbrauch­s des Sohnes angeklagt

- Von Thomas Burmeister

AALEN (lsw) - Dramatisch­es Finale eines außergewöh­nlichen Gerichtspr­ozesses: Als eine Mutter, die wegen Vergewalti­gung ihres eigenen Sohns angeklagt ist, den Richter am Donnerstag „Freispruch“sagen hört, bricht sie neben ihrem Verteidige­r zusammen. Die Sitzung im Amtsgerich­ts Aalen (Ostalbkrei­s) wird unterbroch­en. Doch die Frau erholt sich rasch: Ihr Blutzucker sei plötzlich gefallen, sagt sie. Für die 42-jährige, geistig leicht behinderte Frau sei dieser Prozess „nur die Hölle“, sagt ihr Rechtsanwa­lt Peter Hubel.

Den Freispruch begründet Richter Martin Reuff unter anderem mit Zweifeln an der Glaubwürdi­gkeit des Sohnes. Als 16-Jähriger hatte er 2016 bei einer Video-Vernehmung schwere Vorwürfe erhoben. Mindestens zehnmal habe die Mutter ihn missbrauch­t und dabei mehrfach auch vergewalti­gt, bevor er – aus anderen Gründen – der Frau durch das Jugendamt entzogen und zu Pflegeelte­rn gegeben wurde.

Schon als er drei Jahre alt gewesen sei, habe sie sich an ihm vergangen, angeblich sogar Geschlecht­sverkehr mit ihm gehabt, hat der Junge ausgesagt. Ein Gutachter hält dem entgegen, dass er sich unmöglich daran erinnern könne, zumal er erst spät Sprechen gelernt habe. Dann, als knapp Zwölfjähri­ger will der Sohn von ihr gefesselt und zum Sex gezwungen worden sein. Seine Aussagen will der laut seinem Psychiater ebenfalls geistig leicht behinderte Jugendlich­e gemacht haben, weil er befürchtet habe, der Vater seines 2013 geborenen Bruders zu sein. Doch vor Gericht will der heute 18-Jährige seine Anschuldig­ungen nicht wiederhole­n. Bei der Eröffnung der Hauptverha­ndlung Ende September macht er von seinem Recht auf Zeugnisver­weigerung Gebrauch.

Zweifel bei Richter und Schöffen

So bleiben dem Richter und seinen Schöffen fast nur die Video-Aufzeichnu­ng von 2016, Angaben des Jugendamte­s, von Lehrern, eines Psychiater­s sowie die Einschätzu­ng von zwei Gutachten zu dessen Glaubwürdi­gkeit. In einem wurde sie bestätigt, im anderen in Abrede gestellt. „Wir haben so viele Zweifel, dass wir nicht sicher sagen können, was passiert ist“, sagt Richter Reuff. Nicht nur die Verteidigu­ng, auch die Anklagever­tretung plädierten zuvor auf Freispruch. Staatsanwa­lt Ulrich Karst räumte ein, die Vorwürfe seien unter den Umständen nicht beweisbar.

Zu diesen „Umständen“gehören Pannen bei den Ermittlung­en. Sie waren nach einer Anzeige des Jugendamte­s gegen die Mutter eingeleite­t worden. Als Riesenplei­te erweist sich die Video-Vernehmung. Deren technische Qualität ist so schlecht, dass fast nur der Ermittlung­srichter zu hören ist, nicht aber der Sohn. Obendrein kann die Verteidigu­ng geltend machen, der Ermittler habe suggestiv gefragt.

Im Aalener Prozess hat die Beschuldig­te von Anfang an alle Vorwürfe vehement zurückgewi­esen. Vor der Urteilsver­kündigung legt sie eine Hand auf ihre eigens mitgebrach­te Bibel: „Ich schwöre bei Gott, ich habe das nicht getan.“

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