Freispruch für Mutter
42-Jährige war vor Aalener Amtsgericht wegen Missbrauchs des Sohnes angeklagt
AALEN (lsw) - Dramatisches Finale eines außergewöhnlichen Gerichtsprozesses: Als eine Mutter, die wegen Vergewaltigung ihres eigenen Sohns angeklagt ist, den Richter am Donnerstag „Freispruch“sagen hört, bricht sie neben ihrem Verteidiger zusammen. Die Sitzung im Amtsgerichts Aalen (Ostalbkreis) wird unterbrochen. Doch die Frau erholt sich rasch: Ihr Blutzucker sei plötzlich gefallen, sagt sie. Für die 42-jährige, geistig leicht behinderte Frau sei dieser Prozess „nur die Hölle“, sagt ihr Rechtsanwalt Peter Hubel.
Den Freispruch begründet Richter Martin Reuff unter anderem mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit des Sohnes. Als 16-Jähriger hatte er 2016 bei einer Video-Vernehmung schwere Vorwürfe erhoben. Mindestens zehnmal habe die Mutter ihn missbraucht und dabei mehrfach auch vergewaltigt, bevor er – aus anderen Gründen – der Frau durch das Jugendamt entzogen und zu Pflegeeltern gegeben wurde.
Schon als er drei Jahre alt gewesen sei, habe sie sich an ihm vergangen, angeblich sogar Geschlechtsverkehr mit ihm gehabt, hat der Junge ausgesagt. Ein Gutachter hält dem entgegen, dass er sich unmöglich daran erinnern könne, zumal er erst spät Sprechen gelernt habe. Dann, als knapp Zwölfjähriger will der Sohn von ihr gefesselt und zum Sex gezwungen worden sein. Seine Aussagen will der laut seinem Psychiater ebenfalls geistig leicht behinderte Jugendliche gemacht haben, weil er befürchtet habe, der Vater seines 2013 geborenen Bruders zu sein. Doch vor Gericht will der heute 18-Jährige seine Anschuldigungen nicht wiederholen. Bei der Eröffnung der Hauptverhandlung Ende September macht er von seinem Recht auf Zeugnisverweigerung Gebrauch.
Zweifel bei Richter und Schöffen
So bleiben dem Richter und seinen Schöffen fast nur die Video-Aufzeichnung von 2016, Angaben des Jugendamtes, von Lehrern, eines Psychiaters sowie die Einschätzung von zwei Gutachten zu dessen Glaubwürdigkeit. In einem wurde sie bestätigt, im anderen in Abrede gestellt. „Wir haben so viele Zweifel, dass wir nicht sicher sagen können, was passiert ist“, sagt Richter Reuff. Nicht nur die Verteidigung, auch die Anklagevertretung plädierten zuvor auf Freispruch. Staatsanwalt Ulrich Karst räumte ein, die Vorwürfe seien unter den Umständen nicht beweisbar.
Zu diesen „Umständen“gehören Pannen bei den Ermittlungen. Sie waren nach einer Anzeige des Jugendamtes gegen die Mutter eingeleitet worden. Als Riesenpleite erweist sich die Video-Vernehmung. Deren technische Qualität ist so schlecht, dass fast nur der Ermittlungsrichter zu hören ist, nicht aber der Sohn. Obendrein kann die Verteidigung geltend machen, der Ermittler habe suggestiv gefragt.
Im Aalener Prozess hat die Beschuldigte von Anfang an alle Vorwürfe vehement zurückgewiesen. Vor der Urteilsverkündigung legt sie eine Hand auf ihre eigens mitgebrachte Bibel: „Ich schwöre bei Gott, ich habe das nicht getan.“