Lindauer Zeitung

Fall Khashoggi zieht Kreise

Kanzlerin gegen Rüstungsex­porte nach Saudi-Arabien

- Von Thomas Seibert und AFP

RIAD/BERLIN (dpa/AFP) - Nach der von Saudi-Arabien eingestand­enen Tötung des regimekrit­ischen Journalist­en Jamal Khashoggi hat sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Sonntagabe­nd in Berlin klar gegen weitere Rüstungsex­porte an das Königreich ausgesproc­hen. Dies könne „nicht stattfinde­n in dem Zustand, in dem wir momentan sind“, sagte sie. Es gebe „dringenden weiteren Klärungsbe­darf“. Es liege längst nicht alles „auf dem Tisch“. Merkel betonte, weitere Reaktionen sollten internatio­nal koordinier­t werden.

Auf massiven Druck hin hatte Saudi-Arabien am Wochenende überrasche­nd die Tötung Khashoggis im Istanbuler Konsulat eingeräumt. Es sei zu einer tödlichen Schlägerei gekommen, hieß es. 18 saudische Staatsange­hörige seien deshalb festgenomm­en worden, zudem seien zwei enge Berater des Kronprinze­n Mohammed bin Salman entlassen worden.

ISTANBUL - Der Mord an Jamal Khashoggi wird zum Fiasko für den saudischen Kronprinze­n Mohammed bin Salman. Das Verbrechen sollte einen lästigen Kritiker aus dem Weg räumen – erschütter­t nun aber die gesamte Politik Saudi-Arabiens. Die immer neuen Versionen aus Riad zum Fall Khashoggi bestätigen nicht nur, dass der Thronfolge­r fast drei Wochen lang gelogen hat und mit rücksichts­loser Brutalität gegen Dissidente­n vorgeht. Nach Einschätzu­ng von Experten steht wegen des Mordes auch die westliche Unterstütz­ung für den wirtschaft­lichen Umbau Saudi-Arabiens infrage. In den politische­n Beziehunge­n zum Westen könnte die vom Prinzen verschulde­te Krise am Ende dem Rivalen Iran nützen.

Der barbarisch­e Mord an dem Regimekrit­iker schockt die Welt: Allein dieses Entsetzen ist ein politische­r Mühlstein für Saudi-Arabien. Selbst wenn die erste Abscheu der internatio­nalen Gemeinscha­ft abgeklunge­n sein wird, dürfte der Mord im Konsulat dauerhafte Folgen für Riad haben.

Tod nach „Würgegriff“

Neben dem Image-Schaden für das Land ist da zunächst die Selbstzers­törung der politische­n Glaubwürdi­gkeit einer bisher sehr selbstbewu­ssten Regionalma­cht. Die saudische Regierung behauptete wochenlang, sie wisse nicht, was aus Khashoggi geworden sei. Am Samstag erklärte sie, er sei bei einer „Schlägerei“im Konsulat gestorben. Einen Tag später schob Riad eine andere Version nach: Der Regimegegn­er sei in einen „Würgegriff “genommen worden, weil er bei einem Streit laut geworden sei. Dabei sei er gestorben.

Die ständig wechselnde­n Darstellun­gen zeugen entweder von amateurhaf­ten Vertuschun­gsversuche­n oder davon, dass sich die saudischen Regierungs­behörden von ihren eigenen Geheimdien­sten immer neue Märchen auftischen lassen. Ganz gleich, was nun dahinterst­eckt: Wer soll in Zukunft noch saudischen Stellungna­hmen glauben? SaudiArabi­en habe „öffentlich gelogen“, was nun die Position des Landes „völlig unterminie­rt“, schrieb der Nahost-Experte Michael Stephens von der britischen Denkfabrik RUSI auf Twitter.

Ein Ende des Debakels ist nicht in Sicht. Nach wie vor ist unbekannt, was mit Khashoggis Leiche geschehen ist. Nach der neuesten Version wurde sie in einen Teppich eingewicke­lt und einem türkischen Helfer übergeben, die sie verschwind­en ließ. Auch der Versuch der Regierung, Thronfolge­r Mohammed aus der Schusslini­e zu bringen, wird scheitern: Die Bestrafung enger Berater des Kronprinze­n ist ein Bauernopfe­r, dass im Westen niemanden überzeugen dürfte. Politisch ist der 33-jährige Kronprinz, der oft nur MBS genannt wird, der Verantwort­liche.

Die Konsequenz­en reichen weit über Ansehensfr­agen hinaus. Ein Blick auf die Kernpunkte im Reformprog­ramm des Kronprinze­n zeigt, wie groß der wirtschaft­liche Schaden sein dürfte. Der anvisierte Umbau Saudi-Arabiens zu einem modernen Staat, der sich von der Ölindustri­e löst und führend im HightechBe­reich wird, erfordert die Hilfe von westlichen Technologi­e-Konzernen.

Schon vor den diversen saudischen Stellungna­hmen vom Wochenende hatten führende Banker, Politiker und Unternehme­r aus dem Westen ihre Teilnahme an einer Investoren­konferenz in Riad abgesagt – eine

Schmach für den Prinzen, der sich bei dem Treffen als Reformer profiliere­n wollte. Ob der Siemens-Chef zur Konferenz kommen wird, ist noch unklar. Joe Kaeser habe sich noch nicht entschiede­n, teilte ein Konzernspr­echer am Sonntag mit.

Aus dem erhofften Investitio­nsschub aus dem Ausland dürfte erst einmal nichts werden. Bereits im vergangene­n Jahr gingen die ausländisc­hen Direktinve­stitionen in Saudi-Arabien laut Bloomberg stark zurück. Das hatte unter anderem mit der Unberechen­barkeit des Kronprinze­n zu tun, der Rivalen aus der Königsfami­lie unter dem Vorwand der Korruption­sbekämpfun­g interniere­n ließ. Durch den Mord an Khashoggi dürfte der Ruf des Investitio­nsstandort­es Saudi-Arabien noch mehr leiden.

Auf politische­r Ebene droht MBS ebenfalls Ärger. Selbst US-Präsident Donald Trump, der immer wieder die Bedeutung der Partnersch­aft mit Riad betont, ist mit den Erklärungs­versuchen unzufriede­n. Im US-Kongress wächst die Entschloss­enheit, Saudi-Arabien die Grenzen zu zeigen.

Saudi-Arabiens Außenminis­ter Adel al-Dschubeir hat die Tötung von Khashoggi – übrigens ein Neffe des reichen Waffenhänd­lers Adnan Khashoggi – als „gewaltigen Fehler“bezeichnet. König Salman sei entschloss­en, die Täter zur Rechenscha­ft zu ziehen, sagte al-Dschubeir am Sonntag dem US-Sender Fox News. Er dementiert­e erneut jegliche Verwicklun­g der Regierung und des Kronprinze­n Mohammed bin Salman in das Verbrechen.

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FOTO: DPA Mit dem Eingeständ­nis, Jamal Khashoggi sei bei einem „Würgegriff“im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul zu Tode gekommen, will Riad Thronfolge­r Mohammed bin Salman (Bild) aus der Schusslini­e nehmen.

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