„Wir müssen tun, was Trump sagt“
Ulms IHK-Chef Jan Stefan Roell über Digitalisierung, Brexit und die chinesische Gefahr
ULM - Der Digitalisierung begegnet Jan Stefan Roell optimistisch, dem Brexit blickt er gelassen entgegen, Sorgen macht dem neuen Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Ulm vor allem eine Sache: die Industriepolitik der Volksrepublik China. Benjamin Wagener und Ludger Möllers haben mit dem Chef des Ulmer Prüfmaschinenbauers ZwickRoell über die digtale Revolution, fehlende Fachkräfte und die rote Gefahr gesprochen.
Mit welchen Themen werden Sie als IHK-Chef auf die Politik in der nächsten Zeit zugehen?
Das wichtigste Thema ist die Digitalisierung, die Industrie 4.0, das Internet der Dinge – also die technische Revolution, in der wir gerade drinstecken. Da müssen wir gemeinsam mit der Politik die Voraussetzungen schaffen, damit unsere Unternehmen da gut durchkommen. Und das Wichtigste ist, dass der Breitbandausbau funktioniert. Das ist die Erfolgsvoraussetzung Nummer 1. Wenn wir das nicht schaffen, dann werden die Leute aus dem ländlichen Raum weggehen, weil sie dort nicht arbeiten können.
Was können Sie tun?
Neben dem Breitbandausbau, den die Politik in den Griff zu bekommen hat, müssen wir die Initiativen zur Digitalisierung bündeln. Wir richten Stiftungsprofessuren an Hochschulen und Unis ein. Und wir müssen Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote vernetzen.
Wen wollen Sie auf diese Weise fördern?
Nicht in erster Linie die großen Industrieunternehmen. Die können das mit ihren IT-Abteilungen selber. Aber die mittelständischen Unternehmen in Industrie, Dienstleistung und Handel brauchen dabei Hilfe. Die brauchen Experten, die sie beraten, auf Ideen bringen, ihnen bei Diskussionen die Augen für neue Chancen und Produkte eröffnen.
Ist den mittelständischen Unternehmen denn bewusst, wie groß der Wandel wirklich sein wird?
Es wird Dinge geben, die ändern sich nicht oder nur ganz wenig, und es gibt Dinge, die ändern sich dramatisch. Der Feinmechaniker arbeitet oft noch so wie vor 40 Jahren, die Arbeit des technischen Zeichners hat sich völlig verändert. Es ist nicht leicht herauszufinden, welche Geschäfte von der Struktur her disruptiv sein werden, welche Geschäfte von technischen Entwicklungen überrollt werden. Aber ich kann schauen, was es heute gibt, mich damit beschäftigen, meine Antennen auf Empfang stellen, mir eine geistige, finanzielle und personelle Beweglichkeit erhalten, um reagieren zu können. Wir brauchen Experimentierfreude, um Sachen jetzt einfach einmal auszuprobieren.
Und was macht der 55-jährige Konstrukteur, dem die digitale Welt völlig fremd ist?
Das wird sich alles finden. Es wird ja nicht von heute auf morgen alles umgestellt, sondern die alten Produkte laufen weiter. Und dann ist es so, dass der 55-Jährige sich um das bestehende Produktprogramm kümmert und der 28-Jährige um die künftigen Produkte.
Was ist mit dem Thema Fachkräfte? Ist das Problem wirklich so groß?
Ja, das müssen wir auf verschiedenen Ebenen angehen. Wir müssen die Berufe ausbilden und anbieten, die morgen wirklich gebraucht werden – so zum Beispiel wie den Kaufmann für E-Commerce. Dann müssen wir die berufliche Ausbildung insgesamt attraktiv machen. Viele glauben, dass es gut ist, wenn alle jungen Leute an die Uni gehen. Ich behaupte, zum Teil produzieren wir da unglückliche Menschen, die scheitern und nach zwei Jahren sagen, das ist nichts für mich.
Wie wollen Sie das ändern?
Wir müssen umgekehrt vorgehen und sagen, mit einer Berufsausbildung kannst du keinen Fehler machen, denn du kannst danach weiterstudieren, wenn du willst. Aber am Thema Bildung hängt auch mein Lieblingsthema ...
... und das wäre?
Die Sprachförderung. Ich glaube fest daran, dass die Sozialisierung und die Sprachförderung entscheidend sind für den beruflichen Aufstieg. Und wenn ich höre, dass rund 50 Prozent der Migrantenkinder eine intensive Sprachförderung brauchen, um überhaupt die Grundschule zu schaffen, dann müssen wir in diesen Familien dafür werben, dass die deutsche Sprache kein notwendiges Übel, sondern eine wunderschöne Erfolgsvoraussetzung für eine berufliche Karriere ist. Denn es geht nicht ohne Deutsch.
Brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, um das Fachkräfteproblem zu lösen?
Was die Große Koalition macht, geht in die richtige Richtung. Beim Einwanderungsgesetz müssen wir wegkommen von der Exklusivität der akademisch Gebildeten, damit auch Fachkräfte kommen können. Natürlich ist die Anerkennung der fachlichen Ausbildung schwierig, weil es in den allermeisten Ländern eben keine duale Ausbildung wie bei uns gibt. Da müssen wir dann einfach darauf vertrauen, dass der Bewerber, der den Job jahrelang gemacht hat, auch etwas kann.
Was ist mit den Flüchtlingen, die seit ihrer Ankunft ohne gesicherten Aufenthaltsstatus arbeiten?
Bei diesen Geduldeten brauchen wir aus meiner politischen Überzeugung heraus eine Stichtagsregelung, und der Stichtag muss weit in der Vergangenheit liegen. Denn das Letzte, was wir brauchen, ist ein Sog aus der Hoffnung heraus, als Wirtschaftsflüchtling kann man in Deutschland Einwanderer werden. Ich befürworte eine Stichtagsregelung vor dem Hintergrund, dass die Betriebe, die sich bei der Integration Mühe gegeben haben, nun auch die Früchte ernten wollen. Die haben zurecht kein Verständnis, wenn die gut Integrierten, möglicherweise gut Deutsch sprechenden Menschen plötzlich nach Hause geschickt werden.
In der Industrie wächst die Angst, dass die Brexit-Verhandlungen zwischen Großbritannien und Europa scheitern und das Vereinigte Königreich ohne Abkommen ausscheidet. Was würde das bedeuten?
Mir geht als Bürger nicht in den Kopf, warum England schlechter behandelt werden sollte als Kanada. Mit Kanada haben wir auch keine Freizügigkeit. Wir können nicht einfach nach Kanada ziehen, Kanadier nicht einfach in Ulm leben, aber wir können handeln ohne irgendwelche Begrenzungen. Es gibt keinen Grund, diesen Status den Engländern vorzuenthalten.
Was wird passieren?
Es wird ein Abkommen wie mit Kanada geben oder vielleicht gar keines. Wenn es gar keines gibt, dann haben wir eine paar Monate große Schwierigkeiten, doch dann werden die Politiker die Themen lösen. Denn England ist ein zu wichtiger Handelspartner. Es würde ja kein Airbus mehr fertig werden, wenn keine Tragflächen mehr aus England nach Toulouse geliefert werden. Ich halte den Brexit nicht für den richtigen Weg und war dagegen. Aber nun müssen wir die Dinge so auf die Reihe bringen.
Chinesische Unternehmen investieren verstärkt in deutsche Mittelständler. Wie beurteilen Sie diese Expansion?
Die Tatsache, dass sie investieren, ist nicht das Gefährliche. Viel größer ist die Gefahr, dass die Chinesen in ihrem eigenen Land staatlich beschützte Großunternehmen aufbauen, die dann im Inland ihre Produkte und Dienstleistungen so lange verbessern, bis sie Weltstandard haben. Und danach greifen sie auf dem Weltmarkt an und erobern Branche für Branche, ganz systematisch. Für mich ist diese Vorgehensweise der Volksrepublik ein Alarmsignal.
Verlieren wir also das Rennen um die Elektromobilität?
In der Elektromobilität hat der chinesische Staat entschieden, dass 25 Großstädte jeweils 3000 Elektrobusse einsetzen müssen. Das sind 75 000 Elektrobusse. Dazu haben die Chinesen sechs Werke gebaut, um diese Busse zu bauen. Und wer 75 000 Busse gebaut hat, der weiß, wie man einen Elektrobus baut.
Was ist die Gegenstrategie?
Das werden Sie nun vielleicht nicht gerne hören, aber wir müssen das tun, was Donald Trump sagt: Wenn die Chinesen ihre Märkte nicht für unsere Produkte öffnen, dann öffnen wir unsere Märkte für deren Produkte nicht. Wir müssen die Chance haben, den chinesischen Konzernen vor Ort Konkurrenz zu machen, und dazu muss man in den Markt rein. Aber wenn China seine Märkte abriegelt, die chinesischen Unternehmen sich intern Konkurrenz machen, ihre Produkte verbessern und dann aus diesem geschützten Bereich auf den Weltmarkt gehen, ist das nicht fair.
Kann die Europäische Union einen Gegenpol bilden?
Ja, wenn die Europäische Union als Wirtschaftsgemeinschaft zusammensteht und mit einer Stimme spricht. Wir haben nur eine Chance auf der Welt, wenn Europa sich zusammenrauft. Wir müssen unsere 500 Millionen Verbraucher bündeln, um auf der Welt Einfluss zu haben.