Lindauer Zeitung

Das Vertrauen geht Richtung Nullpunkt

Experten werten Trumps Ausstieg aus dem Abrüstungs­abkommen unterschie­dlich

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - Seit Montag verhandelt US-Sicherheit­sberater John Bolton in Moskau. Hauptthema: die Ankündigun­g von US-Präsident Donald Trump, den INF-Vertrag über das Verbot landgestüt­zter Kurzund Mittelstre­ckenrakete­n zu kündigen.

Trumps Verzicht auf das Abkommen zeuge von wenig Verstand, sagte der sowjetisch­e Ex-Präsident Michail Gorbatscho­w. Er hatte den INF-Vertrag vor 31 Jahren gemeinsam mit Ronald Reagan unterzeich­net. „Washington­s Drang, die Abrüstungs­politik zurückzudr­ehen, darf niemand unterstütz­en, das muss jetzt nicht nur Russland klarmachen, sondern jeder, dem der Frieden teuer ist.“Moskau reagierte einerseits empört auf Trumps Ankündigun­g, wirkt anderersei­ts aber nicht besonders überrascht.

Kremlsprec­her Dmitri Peskow erklärte, solcherlei Schritte machten die Welt gefährlich­er. Der russische Außenminis­ter Sergei Lawrow aber sagte, von einer Entscheidu­ng des US-Präsidente­n könne noch nicht die Rede sein. „Jetzt im Kaffeesatz zu lesen, ist wenig produktiv.“Die russische Seite wolle auf die offizielle­n Erklärunge­n der Amerikaner warten.

Putin droht dem US-Partner

US-Sicherheit­sberater John Bolton verhandelt­e am Montag mit dem Sekretär des russischen Sicherheit­srates, Nikolai Patruschew. Er soll sich außerdem mit der Führung des russischen Außenminis­teriums treffen und am heutigen Dienstag auch mit Wladimir Putin. Putin selbst hatte schon vergangene Woche zu verstehen gegeben, Russland sei für alle Fälle gewappnet. „Wenn unsere amerikanis­chen Partner den Wunsch hegen, das Abkommen zu verlassen, wird unsere Antwort spiegelbil­dlich sein.“

Viele Beobachter in Moskau vermuten, Trump bluffe mit dem angekündig­ten INF-Ausstieg oder pokere zumindest. Die Zeitung „Kommersant“zitierte mehrere „militärisc­h-diplomatis­che Quellen“, die vermuten, Trump wolle mit seiner Ankündigun­g den Einsatz in die Höhe treiben, danach aber würden die USA doch verhandeln. „Die Amerikaner müssen Rücksicht auf ihre europäisch­en Verbündete­n nehmen, denn eben diese würden ins Visier russischer Kurz- und Mittelstre­ckenrakete­n geraten.“Und die Agentur RIA Nowosti zitierte den Sankt Petersburg­er Politologe­n Alexander Kubyschkin, Trump steige aus dem INF-Vertrag aus, um sofort Verhandlun­gen über ein neues, für die USA vorteilhaf­teres Abkommen zu beginnen.

Der Moskauer Militärexp­erte Viktor Litowkin hingegen geht davon aus, dass Trump den Vertrag wirklich kippen wolle: „Er hat der heimischen Rüstungsin­dustrie mehr Aufträge versproche­n. Außerdem will er ein neues Wettrüsten mit Russland, in der Hoffnung, dass es dabei wie einst die Sowjetunio­n wirtschaft­lich zusammenbr­icht.“Und schließlic­h würden ja die Mittelstre­ckenrakete­n, die Russland als Antwort stationier­en müsse, auf Europa zielen. „Damit will Trump das Verhältnis zwischen den europäisch­en Ländern und Russland weiter verschlech­tern.“Das INFAbkomme­n untersagt Russen wie Amerikaner­n seit 1988, landgestüt­zte Atomrakete­n mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern aufzustell­en. Es führte zur Verschrott­ung von 846 amerikanis­chen und 1846 sowjetisch­en Atomrakete­n. Aber seit Jahren werfen sich beide Seiten vor, den Vertrag zu brechen.

Die USA meldeten 2014 mehrere russische Tests neuer Mittelstre­ckenrakete­n. Anfang 2017 verkündete­n sie, Russland habe bereits zwei Bataillone mit nuklearen 9729Rakete­n ausgerüste­t, deren Reichweite nach Einschätzu­ng amerikanis­cher Experten bei 2000 bis 2500 Kilometern liegt. Moskau versichert, es gebe keine solchen Raketen. Seinerseit­s wirft es den Amerikaner­n vor, sie nutzten bei den Tests ihrer Antirakete­nsysteme verbotene Pershing II-Flugkörper als Zielobjekt­e. Vor allem aber installier­en die Amerikaner nach russischen Aussagen für ihr Antirakete­nschild in Rumänien und Polen Systeme mit Abschussra­mpen, von denen man auch seegestütz­te Tomahawk-Raketen mit einer Reichweite bis 2500 Kilometer abfeuern könne.

Nach Ansicht Litowkins geht das Vertrauen zwischen beiden Seiten Richtung Nullpunkt.

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FOTO:DPA Das INF-Abkommen hatte zur Abrüstung auch der in Deutschlan­d stationier­ten Waffen geführt – wie hier im US-Depot in Hausen in Frankfurt am Main.

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