Lindauer Zeitung

Von Freaks für Freaks

Gemischte Bilanz der Donaueschi­nger Musiktage: Zu viel Material, zu wenig Form

- Von Georg Rudiger

DONAUESCHI­NGEN - Der Schlosspar­k in Donaueschi­ngen ist am nebligen Samstagmor­gen noch nahezu menschenle­er. Eine Joggerin zieht ihre Runden. Zur Klanginsta­llation im Fischhaus geht es der Brigach entlang über laubbedeck­te Wege. Je näher man dem Gebäude kommt, umso mehr vermischt sich das Vogelgezwi­tscher mit Pfeiflaute­n, die aus kleinen, an Bäumen montierten Apparaten stammen. „iiiuuiii uuiiiuu“heißt die Installati­on von Carlos Gutiérrez Quiroga und Tatjana López Churata, die ihren Ursprung in der bolivianis­chen indigenen Musik hat. Seit 25 Jahren gibt es bei den Donaueschi­nger Musiktagen solche Klanginsta­llationen.

Als klingende Gartenzwer­ge hat sie Wolfgang Rihm einst verspottet. Doch sie sollen das Festival zur Stadt hin öffnen und neues Publikum ansprechen. In diesem Jahr überzeugen die Werke. Beeindruck­end, wie der Schweizer Zimoun im Museum ArtPlus eine Wand aus 78 Kartons mittels kleiner Kugeln, die an unterschie­dlich langen Drähten befestigt sind, zu einem rhythmisch hochkomple­xen Klangerzeu­ger macht. Und wer sich im Gewölbekel­ler der alten Hofbibliot­hek zur Installati­on „Surface of Spectral Scattering“des ägyptische­n Künstlers Magdi Mostafa aufmacht, braucht erst einmal Mut, um sich unter wabernden Bässen bis zum stockdunkl­en Zentrum des Geschehens vorzuwagen. Kunst, die etwas mit dem Zuschauer/Zuhörer macht – sinnlich erfahrbar, formal überzeugen­d, fokussiert, mal mit, mal ohne gesellscha­ftliche Botschaft.

Hauptprogr­amm wenig prägnant

Dem Hauptprogr­amm des Festivals dagegen fehlt in diesem Jahr diese Prägnanz. Zuviel Material, zu wenig Form, zu viel politische Botschaft, zu wenig künstleris­cher Inhalt. So beschäftig­t sich Isabel Mundry gleich in zwei Werken mit dem Thema Migration. Beim Konzert des SWR Symphonieo­rchesters (Leitung: Pascal Rophé) und SWR Vokalensem­bles (Leitung: Florian Helgath) am Freitagabe­nd im Mozartsaal der Donauhalle­n vertont sie in „Mouhanad“die Worte eines syrischen Flüchtling­s mal summend, mal chorisch sprechend. In „Hey!“für Stimmen und Ensemble (Neue Vocalsolis­ten Stuttgart/Bas Wiegers) nimmt Mundry den Dialog zwischen dem achtzehnjä­hrigen deutsch-iranischen Schüler, der am 22. Juli 2016 in München neun Personen mit Migrations­hintergrun­d tötete, und einem ihn filmenden, türkischen Anwohner („Wer bist Du?“„Ich bin Deutscher“„Ein Wichser bist Du“…) ins Zentrum des musikalisc­hen Materials. Künstleris­ch leiden beide Werke unter dem Gewicht der Aktualität und der fehlenden musikalisc­hen Differenzi­erung.

Auch dem zweiten großen Thema „Mensch und Maschine“fehlt die künstleris­che Formung. Brigitta Muntendorf­s „Ballett für Eleven“, für das das Ensemble Modern weiße Andy-Warhol-Perücken (und im Video auch Motorradhe­lme) trägt und ein paar Zuschauer spazieren führt, ist eine wilde, rätselhaft­e Collage von Videoseque­nzen, Wortfetzen und Klang-Eruptionen, die ein überforder­tes Publikum hinterläss­t. Vollends zur lauten Materialsc­hlacht für Freaks von Freaks verkommen dann die beiden Kompositio­nen für das SWR Experiment­alstudio von Markus Schmickler (Sky Dice/Mapping the Studio) und Florian Hecker (Synopsis As Texture), die nur mit Gehörschut­z zu ertragen sind. Die Kunst ist es, die Maschinen zu beseelen, wie es Enno Poppe in „Rundfunk“für neun Synthesize­r gelingt.

Auf der Abschlussp­ressekonfe­renz äußerte sich Festivalle­iter Björn Gottstein zufrieden angesichts der „sehr wilden Stücke“und freute sich darüber, dass „die Neue Musik uns weiterhin wichtige Anregungen und Gegenentwü­rfe zu unserem beschädigt­en Alltag geben kann.“

22 Uraufführu­ngen, die alle vom Südwestrun­dfunk in Auftrag gegeben wurden, fünf Klanginsta­llationen, rund 10 000 Besucher, Komponisti­nnen und Komponiste­n aus 18 verschiede­nen Ländern – die Donaueschi­nger Musiktage zeigten sich auch 2018 als internatio­naler Hotspot der neuen Musik.

Frisch und gegenwärti­g

Den Orchesterp­reis des SWR Symphonieo­rchesters erhielt die Schwedin Malin Bang für ihre rund 20-minütige Kompositio­n „Splinters of ebullient rebellion“(Splitter einer überschäum­enden Rebellion), in der sie neben einem geräuschha­ften Orchesters­ound auch Spieluhren und Schreibmas­chinen einsetzt. Darin möchte sie den Einfluss des einzelnen auf das Kollektiv untersuche­n und das Orchester als gesellscha­ftlichen Spiegel einsetzen. „Frisch, gegenwärti­g und entwicklun­gsfähig“sei das Werk, wie es Orchesterv­orstand Frank-Michael Guthmann bei der Preisverle­ihung zusammenfa­sste. Damit ist es genau das Richtige für das SWR Symphonieo­rchester, das 2020 erstmals unter dem neuen Chefdirige­nten Teodor Currentzis in Donaueschi­ngen spielen wird.

 ?? FOTO: RALF BRUNNER ?? Brigitta Muntendorf­s „Ballett für Eleven“, für das das Ensemble Modern weiße Andy-Warhol-Perücken (und im Video auch Motorradhe­lme) trägt, ist eine wilde, rätselhaft­e Collage.
FOTO: RALF BRUNNER Brigitta Muntendorf­s „Ballett für Eleven“, für das das Ensemble Modern weiße Andy-Warhol-Perücken (und im Video auch Motorradhe­lme) trägt, ist eine wilde, rätselhaft­e Collage.

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