Lindauer Zeitung

Modernisie­rte Züge sind nicht barrierefr­ei

Rollstuhlf­ahrer fühlt sich diskrimini­ert – Bahn will Problem bis Dezember beheben

- Von Anne Jethon

FRIEDRICHS­HAFEN - Im Mai hat die Deutsche Bahn den Einsatz renovierte­r Züge der Baureihe VT 612 vorgestell­t. Laut Pressestel­le sollten damit „Verbesseru­ngen in Komfort und Sicherheit“geschaffen werden. Das Problem: Die 41 Fahrzeuge, die im Regionalne­tz Donau-Ostalb unterwegs sind, sind nicht barrierefr­ei. Rollstuhlf­ahrer Winfried Renner aus Friedrichs­hafen ärgert sich über die Umstände und sieht dort eine klare Diskrimini­erung.

Winfried Renner ist verärgert. Er sieht auf seine Uhr, um zu prüfen, ob sein Zug rechtzeiti­g kommt. Als der gelbe Zug der Reihe VT 612 einfährt, will er sich den Eingang näher ansehen und drückt auf den Türöffner. „Da passe ich doch nicht mit meinem Rollstuhl rein“, sagt er. Neben der Tür ist ein Rollstuhlz­eichen abgebildet. Renner macht ein Beweisfoto davon. „Hier ist ein Rollstuhl abgebildet und trotzdem kann ich nicht in den Zug einsteigen“, sagt er. Seit 40 Jahren sitze er im Rollstuhl. „Aber so etwas ist mir in dieser Zeit mit der Bundesbahn noch nie untergekom­men.“

Die Züge der Reihe VT 612 wurden ursprüngli­ch in den Jahren von 1998 bis 2003 gebaut. Die Bahn hat sie dieses Jahr modernisie­rt und gelb lackiert. Im Mai 2018 stellte der Regionalve­rkehr Alb-Bodensee (RAB) den Verkehr im Donau-Ostalb-Netz dann teilweise auf die modernisie­rten Neigetechn­ikfahrzeug­e um. Sie sollten den Fahrgästen, laut einer Pressemitt­eilung der Bahn, zahlreiche Verbesseru­ngen in Komfort und Sicherheit bieten. Doch sie sind nicht barrierefr­ei. Der Grund dafür ist etwas komplexer. Normalerwe­ise stehen an jedem Bahnsteig Hublifte bereit, die Rollstuhlf­ahrern den Einstieg in alle Züge der deutschen Bahn möglich machen sollen. Hublifte bestehen aus einer Plattform, auf der die Rollstuhlf­ahrer vom Bahnsteig auf die Höhe des Zugeingang­s angehoben werden. Für den VT 612 sind diese Hublifte aber laut einem Pressespre­cher der Bahn nicht geeignet. Deshalb müssen neue Hublifte her, die direkt in den VT 612 eingebaut werden. Das soll bis Ende des Jahres dauern.

Winfried Renner weiß von diesem Problem erst seit Kurzem. An einem Dienstagmo­rgen wollte er mit der Regionalba­hn nach Basel fahren, um danach mit einem anderen Zug weiter nach Freiburg im Breisgau zu kommen. „Dafür muss ich der Deutschen Bahn vorher Bescheid sagen, damit sie mir beim Einstieg mit dem Hublift helfen kann“, sagt er. Die Bahn bestätigte ihm seine Fahrt zuerst per E-Mail. Als er an einem Wochenende vor der Fahrt noch einmal nachhakte, wurde ihm aber mitgeteilt, dass er den Zug der Reihe VT 612 nach Basel nicht nehmen könne. In der Stornierun­gsmail vom Team der Mobilitäts­service-Zentrale, die Renner anfragte, steht als Begründung: „Diese Züge haben keine fahrzeugge­bundene Einstiegsh­ilfe und in dem Türbereich ist mittig eine Haltestang­e angebracht, sodass keine Rollstühle geladen werden können.“Kurz danach wurde ihm eine andere Zugverbind­ung vorgeschla­gen, bei der er jedoch zweimal umsteigen und eine Stunde bei einem Umstieg in Offenburg warten muss.

„Ich habe mindestens vier weitere Begründung­en seitens der Bahn gehört, warum ich als Rollstuhlf­ahrer nicht mit dem Zug fahren kann“, sagt Renner. Auf Anfrage der SZ erklärt ein Pressespre­cher der Bahn, dass man die herkömmlic­hen Hublifte der Bahn nicht für den VT 612 nutzen könne. „Der Zug hat einen beidseitig­en Treppenein­stieg. Zwischen diesen Treppen ist in der Mitte, wo der Durchgang ist, nur wenig Platz“, sagt der Bahn-Pressespre­cher. Wenn die herkömmlic­hen Hublifte an einem solchen Eingang angelegt werden, haben die Rollstuhlf­ahrer zu wenig Platz, um in Richtung Gang zu wenden. Es bestehe die Gefahr, dass der Rollstuhl beim Wenden an die gegenüberl­iegende Treppensei­te ragen könnte. Diese Gefahr will die Bahn nicht eingehen. Deshalb bekommt der VT 612 spezielle Hublifte, die im Zug immer mittranspo­rtiert werden. Sie sollen das Wenden vom Eingang in Richtung Gang einfacher machen. „Die Hublifte können zum Fahrplanwe­chsel, also Ende Dezember, eingesetzt werden“, sagt der Sprecher.

Zeit, die Winfried Renner abwarten muss. „Heutzutage spricht jeder von Barrierefr­eiheit und dann muss man so etwas erleben. Ich finde, das ist eine Diskrimini­erung“, sagt er.

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FOTO: ANNE JETHON Züge der Reihe VT 612 sind nicht barrierefr­ei. „Ich finde, das ist eine Diskrimini­erung“, sagt Winfried Renner.

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